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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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mit semitischen Elementen besetzten Norddeutschland geschah in Magdeburg, Han¬
nover und Königsberg in der Neumark Aehnliches. Sie waren aber nicht aus¬
zurotten und nicht zu bannen; denn die Fürsten glaubte" ihrer zu bedürfen.
Meist war, was in den Verfolgungen nicht umgekommen, "auf hundert Jahre"
aus deu betreffenden Städten feierlich ausgeschlossen worden. Aber bald öffneten
sich ihnen die Grenzen und Thore wieder. Die Landesherren wollten durchaus
"Juden haben", und so setzte man es durch, daß Kaiser Karl IV. durch die
"goldene Bulle" von 1355 den Kurfürsten das Recht verlieh, sich solche zu
halten, natürlich nicht der Liebhaberei wegen, sondern zur Ausbeutung; denn
man wußte, daß sie sich wie ein ausgedrückter Schwärmn immer wieder voll¬
sogen und so von Zeit zu Zeit abermals ausgedrückt werden konnten. Die
Folgen waren neue Selbsthilfe auf Seiten des durch den Wucher der Zurück¬
gerufenen geschädigten Volkes und neue Judenverfolgungen von Seiten desselben.
1384 wurde die israelitische Gemeinde in Nördlingen und sechs Jahre nachher
die Judencolonie in Prag beinahe gänzlich ausgerottet, Das Verfahren gegen
die letztere wurde von König Wenzel gebilligt; aus welchem Gründe hauptsächlich,
ist daraus zu ersehen, daß er 1390 alle Schuldscheine der Juden im Reiche für
ungiltig erklärte -- eine Maßregel, die indeß auch seine Kasse füllen mußte, da
die Schuldner 15 Procent der Guthaben ihrer Gläubiger an den König abzu¬
liefern hatten.

Allmählich hatte sich die Zahl der in Deutschland vorhandenen Juden doch
erheblich vermindert, indem viele namentlich nach Polen ausgewandert waren,
wo der König Kasimir 1334 ihnen Rechte verliehen und sie auch, nachdem er
1347 genöthigt gewesen war, ihren Wucher zu beschränken, gegen die durch diesen
hervorgerufene Erbitterung des Volkes nach Möglichkeit geschützt hatte. Sie
haben von da an redlich das Ihre beigetragen, das Land zu Grunde zu richten.

Das Gegentheil der Maßregeln Kasimirs war bekanntlich die Verjagung der
Juden aus Spanien, die etwa anderthalbhundert Jahre später erfolgte. Ihrer
300000 wanderten damals ins Exil -- "ein ungeheurer Verlust für die öko¬
nomischen Kräfte des Landes", sagt Henne Am-Rhyn, und wir dürfen das
vielleicht bis zu einem gewissen Grade zugeben, wollen aber darüber nicht ver¬
gessen, daß Spanien nach Entfernung dieser disparaten Elemente erst wirklich
Spanien war, und daß es gerade in dem darauf folgenden Jahrhundert seine
große Zeit hatte.

In Deutschland waren die Juden seit 1419, wo der Papst Martin V. auf
Andringen des Königs Sigismund eine Bulle zu ihren Gunsten erlassen, eine
Zeit lang leidlich gestellt; nur hie und da hatten sie von Fürsten oder dem Volke
gelegentlich zu leiden. So schon 1420 in Wien, wo sie in den wahrscheinlich nicht
unbegründeten Verdacht gerathen waren, es mit den Hussiten zu halten, die sich in


mit semitischen Elementen besetzten Norddeutschland geschah in Magdeburg, Han¬
nover und Königsberg in der Neumark Aehnliches. Sie waren aber nicht aus¬
zurotten und nicht zu bannen; denn die Fürsten glaubte» ihrer zu bedürfen.
Meist war, was in den Verfolgungen nicht umgekommen, „auf hundert Jahre"
aus deu betreffenden Städten feierlich ausgeschlossen worden. Aber bald öffneten
sich ihnen die Grenzen und Thore wieder. Die Landesherren wollten durchaus
„Juden haben", und so setzte man es durch, daß Kaiser Karl IV. durch die
„goldene Bulle" von 1355 den Kurfürsten das Recht verlieh, sich solche zu
halten, natürlich nicht der Liebhaberei wegen, sondern zur Ausbeutung; denn
man wußte, daß sie sich wie ein ausgedrückter Schwärmn immer wieder voll¬
sogen und so von Zeit zu Zeit abermals ausgedrückt werden konnten. Die
Folgen waren neue Selbsthilfe auf Seiten des durch den Wucher der Zurück¬
gerufenen geschädigten Volkes und neue Judenverfolgungen von Seiten desselben.
1384 wurde die israelitische Gemeinde in Nördlingen und sechs Jahre nachher
die Judencolonie in Prag beinahe gänzlich ausgerottet, Das Verfahren gegen
die letztere wurde von König Wenzel gebilligt; aus welchem Gründe hauptsächlich,
ist daraus zu ersehen, daß er 1390 alle Schuldscheine der Juden im Reiche für
ungiltig erklärte — eine Maßregel, die indeß auch seine Kasse füllen mußte, da
die Schuldner 15 Procent der Guthaben ihrer Gläubiger an den König abzu¬
liefern hatten.

Allmählich hatte sich die Zahl der in Deutschland vorhandenen Juden doch
erheblich vermindert, indem viele namentlich nach Polen ausgewandert waren,
wo der König Kasimir 1334 ihnen Rechte verliehen und sie auch, nachdem er
1347 genöthigt gewesen war, ihren Wucher zu beschränken, gegen die durch diesen
hervorgerufene Erbitterung des Volkes nach Möglichkeit geschützt hatte. Sie
haben von da an redlich das Ihre beigetragen, das Land zu Grunde zu richten.

Das Gegentheil der Maßregeln Kasimirs war bekanntlich die Verjagung der
Juden aus Spanien, die etwa anderthalbhundert Jahre später erfolgte. Ihrer
300000 wanderten damals ins Exil — „ein ungeheurer Verlust für die öko¬
nomischen Kräfte des Landes", sagt Henne Am-Rhyn, und wir dürfen das
vielleicht bis zu einem gewissen Grade zugeben, wollen aber darüber nicht ver¬
gessen, daß Spanien nach Entfernung dieser disparaten Elemente erst wirklich
Spanien war, und daß es gerade in dem darauf folgenden Jahrhundert seine
große Zeit hatte.

In Deutschland waren die Juden seit 1419, wo der Papst Martin V. auf
Andringen des Königs Sigismund eine Bulle zu ihren Gunsten erlassen, eine
Zeit lang leidlich gestellt; nur hie und da hatten sie von Fürsten oder dem Volke
gelegentlich zu leiden. So schon 1420 in Wien, wo sie in den wahrscheinlich nicht
unbegründeten Verdacht gerathen waren, es mit den Hussiten zu halten, die sich in


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[0436] mit semitischen Elementen besetzten Norddeutschland geschah in Magdeburg, Han¬ nover und Königsberg in der Neumark Aehnliches. Sie waren aber nicht aus¬ zurotten und nicht zu bannen; denn die Fürsten glaubte» ihrer zu bedürfen. Meist war, was in den Verfolgungen nicht umgekommen, „auf hundert Jahre" aus deu betreffenden Städten feierlich ausgeschlossen worden. Aber bald öffneten sich ihnen die Grenzen und Thore wieder. Die Landesherren wollten durchaus „Juden haben", und so setzte man es durch, daß Kaiser Karl IV. durch die „goldene Bulle" von 1355 den Kurfürsten das Recht verlieh, sich solche zu halten, natürlich nicht der Liebhaberei wegen, sondern zur Ausbeutung; denn man wußte, daß sie sich wie ein ausgedrückter Schwärmn immer wieder voll¬ sogen und so von Zeit zu Zeit abermals ausgedrückt werden konnten. Die Folgen waren neue Selbsthilfe auf Seiten des durch den Wucher der Zurück¬ gerufenen geschädigten Volkes und neue Judenverfolgungen von Seiten desselben. 1384 wurde die israelitische Gemeinde in Nördlingen und sechs Jahre nachher die Judencolonie in Prag beinahe gänzlich ausgerottet, Das Verfahren gegen die letztere wurde von König Wenzel gebilligt; aus welchem Gründe hauptsächlich, ist daraus zu ersehen, daß er 1390 alle Schuldscheine der Juden im Reiche für ungiltig erklärte — eine Maßregel, die indeß auch seine Kasse füllen mußte, da die Schuldner 15 Procent der Guthaben ihrer Gläubiger an den König abzu¬ liefern hatten. Allmählich hatte sich die Zahl der in Deutschland vorhandenen Juden doch erheblich vermindert, indem viele namentlich nach Polen ausgewandert waren, wo der König Kasimir 1334 ihnen Rechte verliehen und sie auch, nachdem er 1347 genöthigt gewesen war, ihren Wucher zu beschränken, gegen die durch diesen hervorgerufene Erbitterung des Volkes nach Möglichkeit geschützt hatte. Sie haben von da an redlich das Ihre beigetragen, das Land zu Grunde zu richten. Das Gegentheil der Maßregeln Kasimirs war bekanntlich die Verjagung der Juden aus Spanien, die etwa anderthalbhundert Jahre später erfolgte. Ihrer 300000 wanderten damals ins Exil — „ein ungeheurer Verlust für die öko¬ nomischen Kräfte des Landes", sagt Henne Am-Rhyn, und wir dürfen das vielleicht bis zu einem gewissen Grade zugeben, wollen aber darüber nicht ver¬ gessen, daß Spanien nach Entfernung dieser disparaten Elemente erst wirklich Spanien war, und daß es gerade in dem darauf folgenden Jahrhundert seine große Zeit hatte. In Deutschland waren die Juden seit 1419, wo der Papst Martin V. auf Andringen des Königs Sigismund eine Bulle zu ihren Gunsten erlassen, eine Zeit lang leidlich gestellt; nur hie und da hatten sie von Fürsten oder dem Volke gelegentlich zu leiden. So schon 1420 in Wien, wo sie in den wahrscheinlich nicht unbegründeten Verdacht gerathen waren, es mit den Hussiten zu halten, die sich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/436>, abgerufen am 23.07.2024.