Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

vorgeworfen wurde, so kann man nicht umhin, die trübe Thatsache immer wieder
bestätigt zu finden, daß wenigstens ein großer, wo nicht der größte Theil der
Juden fortwährend durch Habsucht, durch Wucher und durch Spott über das
Christenthum und dessen Organe den Haß, den sie ernteten, selbst heraufzu¬
beschwören half."

Das Concil zu Avignon (1209) untersagte die Übertragung von Aemtern
an Juden und verbot ihnen, christliche Dienstboten zu halten. Das Lateranische
Concil (1215) beschränkte ihre Rechte noch weiter und schrieb ihnen vor, das
"Judenzeichen" zu tragen, einen Flecken oder Ring von gelber Farbe, der am
Hute oder Rocke angebracht werden mußte.

Man hat sich gewundert, daß der Hohenstanfenkaiser Friedrich II. trotz
seiner bekannten Gleichgiltigkeit und Freidenkerei in Sachen der Religion sich
ablehnend gegen die Juden verhielt und sie mit Härte behandelte. Die Sache
ist aber erklärlich: er haßte allen Fanatismus und so auch den jüdischen, der
überall hervorbrach, wo die Juden einige Freiheit genossen, und andrerseits
war ihm die schmutzige Habsucht eines großen Theils derselben ein Gräuel.

Als die Mongolen Deutschland zu überfluthen drohten, beschuldigte man
die Juden, denselben heimlich Waffen geliefert zu haben, und dies ist nicht
unglaublich, da sich Stammgenossen der Angeklagten unter den wilden Horden
befanden. In Frankfurt a. M. führten 1241 Reibereien zwischen Juden und
Deutschen zu eiuer förmlichen Schlacht, in der von den ersteren 180 auf dem
Platze blieben. Waren diese semitischen Handelsleute demnach hier sehr zahlreich,
so müssen sie trotz wiederholter Beschränkungen ihrer Geschäftigkeit hier und
anderwärts auch im Besitz bedeutender Geldmittel gewesen sein; denn wiederholt
wird aus dieser Zeit berichtet, daß sie Verfolgungen durch Bestechung abzuwenden
versuchten, und in England sollen ihnen um die Mitte des zwölften Jahrhunderts
binnen sieben Jahren durch Besteuerung und Beschlagnahme nicht weniger als
422000 Pfund Sterling abgenommen worden sein.

1247 erließ Innocenz IV. -- durch klingende Gründe bewogen, behauptet
unsere Quelle -- eine Bulle, in der er das vielverbreitete Gerücht, die Juden
pflegten am Charfreitage christliche Kinder zu kreuzigen und deren Blut zu
trinken*), für unwahr erklärte, die Bedrückung derselben entschieden mißbilligte
und ihre Verfolger mit dem Kirchenbanue bedrohte. Die Bulle fand indeß nur
geringe Beachtung. Wie Ludwig der Heilige die französischen Juden aus Ent¬
rüstung über deren Wucher -- immer und immer wieder der Wucher! -- wieder-



Das letztere war natürlich böswillige Erfindung; denn den Juden ist der Genuß
von Blut in ihrem Gesetz streng verboten, das erstere aber scheint ein Mißverständniß zu
sein, daraus entstanden, daß manche Juden (vgl. unsere Quelle S. 241) an diesem Tage
wahrscheinlich eine Wachsfigur kreuzigten.

vorgeworfen wurde, so kann man nicht umhin, die trübe Thatsache immer wieder
bestätigt zu finden, daß wenigstens ein großer, wo nicht der größte Theil der
Juden fortwährend durch Habsucht, durch Wucher und durch Spott über das
Christenthum und dessen Organe den Haß, den sie ernteten, selbst heraufzu¬
beschwören half."

Das Concil zu Avignon (1209) untersagte die Übertragung von Aemtern
an Juden und verbot ihnen, christliche Dienstboten zu halten. Das Lateranische
Concil (1215) beschränkte ihre Rechte noch weiter und schrieb ihnen vor, das
„Judenzeichen" zu tragen, einen Flecken oder Ring von gelber Farbe, der am
Hute oder Rocke angebracht werden mußte.

Man hat sich gewundert, daß der Hohenstanfenkaiser Friedrich II. trotz
seiner bekannten Gleichgiltigkeit und Freidenkerei in Sachen der Religion sich
ablehnend gegen die Juden verhielt und sie mit Härte behandelte. Die Sache
ist aber erklärlich: er haßte allen Fanatismus und so auch den jüdischen, der
überall hervorbrach, wo die Juden einige Freiheit genossen, und andrerseits
war ihm die schmutzige Habsucht eines großen Theils derselben ein Gräuel.

Als die Mongolen Deutschland zu überfluthen drohten, beschuldigte man
die Juden, denselben heimlich Waffen geliefert zu haben, und dies ist nicht
unglaublich, da sich Stammgenossen der Angeklagten unter den wilden Horden
befanden. In Frankfurt a. M. führten 1241 Reibereien zwischen Juden und
Deutschen zu eiuer förmlichen Schlacht, in der von den ersteren 180 auf dem
Platze blieben. Waren diese semitischen Handelsleute demnach hier sehr zahlreich,
so müssen sie trotz wiederholter Beschränkungen ihrer Geschäftigkeit hier und
anderwärts auch im Besitz bedeutender Geldmittel gewesen sein; denn wiederholt
wird aus dieser Zeit berichtet, daß sie Verfolgungen durch Bestechung abzuwenden
versuchten, und in England sollen ihnen um die Mitte des zwölften Jahrhunderts
binnen sieben Jahren durch Besteuerung und Beschlagnahme nicht weniger als
422000 Pfund Sterling abgenommen worden sein.

1247 erließ Innocenz IV. — durch klingende Gründe bewogen, behauptet
unsere Quelle — eine Bulle, in der er das vielverbreitete Gerücht, die Juden
pflegten am Charfreitage christliche Kinder zu kreuzigen und deren Blut zu
trinken*), für unwahr erklärte, die Bedrückung derselben entschieden mißbilligte
und ihre Verfolger mit dem Kirchenbanue bedrohte. Die Bulle fand indeß nur
geringe Beachtung. Wie Ludwig der Heilige die französischen Juden aus Ent¬
rüstung über deren Wucher — immer und immer wieder der Wucher! — wieder-



Das letztere war natürlich böswillige Erfindung; denn den Juden ist der Genuß
von Blut in ihrem Gesetz streng verboten, das erstere aber scheint ein Mißverständniß zu
sein, daraus entstanden, daß manche Juden (vgl. unsere Quelle S. 241) an diesem Tage
wahrscheinlich eine Wachsfigur kreuzigten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146363"/>
          <p xml:id="ID_1252" prev="#ID_1251"> vorgeworfen wurde, so kann man nicht umhin, die trübe Thatsache immer wieder<lb/>
bestätigt zu finden, daß wenigstens ein großer, wo nicht der größte Theil der<lb/>
Juden fortwährend durch Habsucht, durch Wucher und durch Spott über das<lb/>
Christenthum und dessen Organe den Haß, den sie ernteten, selbst heraufzu¬<lb/>
beschwören half."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1253"> Das Concil zu Avignon (1209) untersagte die Übertragung von Aemtern<lb/>
an Juden und verbot ihnen, christliche Dienstboten zu halten. Das Lateranische<lb/>
Concil (1215) beschränkte ihre Rechte noch weiter und schrieb ihnen vor, das<lb/>
&#x201E;Judenzeichen" zu tragen, einen Flecken oder Ring von gelber Farbe, der am<lb/>
Hute oder Rocke angebracht werden mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1254"> Man hat sich gewundert, daß der Hohenstanfenkaiser Friedrich II. trotz<lb/>
seiner bekannten Gleichgiltigkeit und Freidenkerei in Sachen der Religion sich<lb/>
ablehnend gegen die Juden verhielt und sie mit Härte behandelte. Die Sache<lb/>
ist aber erklärlich: er haßte allen Fanatismus und so auch den jüdischen, der<lb/>
überall hervorbrach, wo die Juden einige Freiheit genossen, und andrerseits<lb/>
war ihm die schmutzige Habsucht eines großen Theils derselben ein Gräuel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1255"> Als die Mongolen Deutschland zu überfluthen drohten, beschuldigte man<lb/>
die Juden, denselben heimlich Waffen geliefert zu haben, und dies ist nicht<lb/>
unglaublich, da sich Stammgenossen der Angeklagten unter den wilden Horden<lb/>
befanden. In Frankfurt a. M. führten 1241 Reibereien zwischen Juden und<lb/>
Deutschen zu eiuer förmlichen Schlacht, in der von den ersteren 180 auf dem<lb/>
Platze blieben. Waren diese semitischen Handelsleute demnach hier sehr zahlreich,<lb/>
so müssen sie trotz wiederholter Beschränkungen ihrer Geschäftigkeit hier und<lb/>
anderwärts auch im Besitz bedeutender Geldmittel gewesen sein; denn wiederholt<lb/>
wird aus dieser Zeit berichtet, daß sie Verfolgungen durch Bestechung abzuwenden<lb/>
versuchten, und in England sollen ihnen um die Mitte des zwölften Jahrhunderts<lb/>
binnen sieben Jahren durch Besteuerung und Beschlagnahme nicht weniger als<lb/>
422000 Pfund Sterling abgenommen worden sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1256" next="#ID_1257"> 1247 erließ Innocenz IV. &#x2014; durch klingende Gründe bewogen, behauptet<lb/>
unsere Quelle &#x2014; eine Bulle, in der er das vielverbreitete Gerücht, die Juden<lb/>
pflegten am Charfreitage christliche Kinder zu kreuzigen und deren Blut zu<lb/>
trinken*), für unwahr erklärte, die Bedrückung derselben entschieden mißbilligte<lb/>
und ihre Verfolger mit dem Kirchenbanue bedrohte. Die Bulle fand indeß nur<lb/>
geringe Beachtung. Wie Ludwig der Heilige die französischen Juden aus Ent¬<lb/>
rüstung über deren Wucher &#x2014; immer und immer wieder der Wucher! &#x2014; wieder-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot"> Das letztere war natürlich böswillige Erfindung; denn den Juden ist der Genuß<lb/>
von Blut in ihrem Gesetz streng verboten, das erstere aber scheint ein Mißverständniß zu<lb/>
sein, daraus entstanden, daß manche Juden (vgl. unsere Quelle S. 241) an diesem Tage<lb/>
wahrscheinlich eine Wachsfigur kreuzigten.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] vorgeworfen wurde, so kann man nicht umhin, die trübe Thatsache immer wieder bestätigt zu finden, daß wenigstens ein großer, wo nicht der größte Theil der Juden fortwährend durch Habsucht, durch Wucher und durch Spott über das Christenthum und dessen Organe den Haß, den sie ernteten, selbst heraufzu¬ beschwören half." Das Concil zu Avignon (1209) untersagte die Übertragung von Aemtern an Juden und verbot ihnen, christliche Dienstboten zu halten. Das Lateranische Concil (1215) beschränkte ihre Rechte noch weiter und schrieb ihnen vor, das „Judenzeichen" zu tragen, einen Flecken oder Ring von gelber Farbe, der am Hute oder Rocke angebracht werden mußte. Man hat sich gewundert, daß der Hohenstanfenkaiser Friedrich II. trotz seiner bekannten Gleichgiltigkeit und Freidenkerei in Sachen der Religion sich ablehnend gegen die Juden verhielt und sie mit Härte behandelte. Die Sache ist aber erklärlich: er haßte allen Fanatismus und so auch den jüdischen, der überall hervorbrach, wo die Juden einige Freiheit genossen, und andrerseits war ihm die schmutzige Habsucht eines großen Theils derselben ein Gräuel. Als die Mongolen Deutschland zu überfluthen drohten, beschuldigte man die Juden, denselben heimlich Waffen geliefert zu haben, und dies ist nicht unglaublich, da sich Stammgenossen der Angeklagten unter den wilden Horden befanden. In Frankfurt a. M. führten 1241 Reibereien zwischen Juden und Deutschen zu eiuer förmlichen Schlacht, in der von den ersteren 180 auf dem Platze blieben. Waren diese semitischen Handelsleute demnach hier sehr zahlreich, so müssen sie trotz wiederholter Beschränkungen ihrer Geschäftigkeit hier und anderwärts auch im Besitz bedeutender Geldmittel gewesen sein; denn wiederholt wird aus dieser Zeit berichtet, daß sie Verfolgungen durch Bestechung abzuwenden versuchten, und in England sollen ihnen um die Mitte des zwölften Jahrhunderts binnen sieben Jahren durch Besteuerung und Beschlagnahme nicht weniger als 422000 Pfund Sterling abgenommen worden sein. 1247 erließ Innocenz IV. — durch klingende Gründe bewogen, behauptet unsere Quelle — eine Bulle, in der er das vielverbreitete Gerücht, die Juden pflegten am Charfreitage christliche Kinder zu kreuzigen und deren Blut zu trinken*), für unwahr erklärte, die Bedrückung derselben entschieden mißbilligte und ihre Verfolger mit dem Kirchenbanue bedrohte. Die Bulle fand indeß nur geringe Beachtung. Wie Ludwig der Heilige die französischen Juden aus Ent¬ rüstung über deren Wucher — immer und immer wieder der Wucher! — wieder- Das letztere war natürlich böswillige Erfindung; denn den Juden ist der Genuß von Blut in ihrem Gesetz streng verboten, das erstere aber scheint ein Mißverständniß zu sein, daraus entstanden, daß manche Juden (vgl. unsere Quelle S. 241) an diesem Tage wahrscheinlich eine Wachsfigur kreuzigten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/434>, abgerufen am 23.07.2024.