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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Jahrhunderte konnte man sie sich nicht mehr anders vorstellen als in der Eigen¬
schaft von Kaufleuten und, wie wir sogleich sehen werden, von Wucherern.

Die erste Judenverfolgung in Deutschland fand 1011 in Mainz unter
Kaiser Heinrich II. statt, wurde indeß bald wieder eingestellt. In der Zeit der
Kreuzzüge begann das Volk stärker gegen das unter ihm wohnende semitische
Element zu reagiren, und zwar keineswegs bloß aus Glaubenshaß, der hier
allerdings eine große Rolle spielte, und wegen ihres dreisten und maßlosen
Auftretens gegen das Christenthum, sondern auch aus weltlichen Gründen, in
Prag z. B. wegen ihres Selavenhandels, und anderswo wegen des Wuchers,
den sie trieben, und durch den sie sich allmählich eines großen Theils des be¬
weglichen und selbst des unbeweglichen Eigenthums ihrer christlichen Nachbarn
bemächtigt hatten, wie ihnen denn in dieser Zeit die Hälfte der Stadt Paris
gehört haben soll. So wurden im Jahre 1096 (vorwiegend von französischen
Kreuzfahrern) im Rheinland, besonders in Trier und Cöln, dann auch in
Regensburg und Prag Tausende von Juden grausam niedergemetzelt, und dies
wiederholt sich 1146 in Mainz und im nächsten Jahre zu Würzburg. Die
Negierung des Reiches betheiligte sich dabei nicht, Bischöfe versuchten die Ver¬
folgten zu schützen, auch Bernhard von Clairvaux trat für sie ein, und zuletzt
nahm sich der Kaiser ihrer an, indem er sie als "Kammerknechte des Reiches"
zu seinen Schützlingen machte.

Wie die Juden im letzten Drittel des zwölften Jahrhunderts auch in
Frankreich harte Verfolgung zu erleiden hatten und zuletzt zu Leibeignen der
Könige und ihrer Vasallen wurden, und wie ihnen in England unter Richard
Löwenherz und Johann ohne Land Aehnliches widerfuhr, wolle man a. a. O.
nachlesen; wir werden uns im Weiteren, einige besonders charakteristische That¬
sachen ausgenommen, auf Deutschland beschränken. Nur das eine sei noch
bemerkt, daß auch in England der Haß gegen sie seinen Grund zum Theil
darin gehabt zu haben scheint, daß sie durch Wucher oder andere faule Ge¬
schäfte reich geworden waren; denn es wird berichtet, daß sie in London palast¬
artige Hänser besaßen. <

Daß die Juden in Deutschland unter den Schutz des Kaisers gestellt und
damit gewissermaßen dessen Eigenthum, dessen Leibeigne geworden waren, sicherte
sie nicht vollständig vor Ausbrüchen der Volkswuth. 1179 wurden in rheinischen
Städten, 1196 in Wien Jsraeliten ausgeplündert und ermordet, und vergebens
schritten der Kaiser und mehrere Fürsten gegen den Unfug ein, zumal da sich
1205 auch der Papst Innocenz III. gegen das verhaßte Volk erklärte. "Seine
Erlasse," sagt unsre Quelle, "waren von den schwersten Anschuldigungen gegen
die Juden erfüllt; wenn man dieselben aber auch aller Uebertreibungen und
Erfindungen entkleidet und nur das bestehen läßt, was auch anderwärts ihnen


Grenzboten I. 1880. S4

Jahrhunderte konnte man sie sich nicht mehr anders vorstellen als in der Eigen¬
schaft von Kaufleuten und, wie wir sogleich sehen werden, von Wucherern.

Die erste Judenverfolgung in Deutschland fand 1011 in Mainz unter
Kaiser Heinrich II. statt, wurde indeß bald wieder eingestellt. In der Zeit der
Kreuzzüge begann das Volk stärker gegen das unter ihm wohnende semitische
Element zu reagiren, und zwar keineswegs bloß aus Glaubenshaß, der hier
allerdings eine große Rolle spielte, und wegen ihres dreisten und maßlosen
Auftretens gegen das Christenthum, sondern auch aus weltlichen Gründen, in
Prag z. B. wegen ihres Selavenhandels, und anderswo wegen des Wuchers,
den sie trieben, und durch den sie sich allmählich eines großen Theils des be¬
weglichen und selbst des unbeweglichen Eigenthums ihrer christlichen Nachbarn
bemächtigt hatten, wie ihnen denn in dieser Zeit die Hälfte der Stadt Paris
gehört haben soll. So wurden im Jahre 1096 (vorwiegend von französischen
Kreuzfahrern) im Rheinland, besonders in Trier und Cöln, dann auch in
Regensburg und Prag Tausende von Juden grausam niedergemetzelt, und dies
wiederholt sich 1146 in Mainz und im nächsten Jahre zu Würzburg. Die
Negierung des Reiches betheiligte sich dabei nicht, Bischöfe versuchten die Ver¬
folgten zu schützen, auch Bernhard von Clairvaux trat für sie ein, und zuletzt
nahm sich der Kaiser ihrer an, indem er sie als „Kammerknechte des Reiches"
zu seinen Schützlingen machte.

Wie die Juden im letzten Drittel des zwölften Jahrhunderts auch in
Frankreich harte Verfolgung zu erleiden hatten und zuletzt zu Leibeignen der
Könige und ihrer Vasallen wurden, und wie ihnen in England unter Richard
Löwenherz und Johann ohne Land Aehnliches widerfuhr, wolle man a. a. O.
nachlesen; wir werden uns im Weiteren, einige besonders charakteristische That¬
sachen ausgenommen, auf Deutschland beschränken. Nur das eine sei noch
bemerkt, daß auch in England der Haß gegen sie seinen Grund zum Theil
darin gehabt zu haben scheint, daß sie durch Wucher oder andere faule Ge¬
schäfte reich geworden waren; denn es wird berichtet, daß sie in London palast¬
artige Hänser besaßen. <

Daß die Juden in Deutschland unter den Schutz des Kaisers gestellt und
damit gewissermaßen dessen Eigenthum, dessen Leibeigne geworden waren, sicherte
sie nicht vollständig vor Ausbrüchen der Volkswuth. 1179 wurden in rheinischen
Städten, 1196 in Wien Jsraeliten ausgeplündert und ermordet, und vergebens
schritten der Kaiser und mehrere Fürsten gegen den Unfug ein, zumal da sich
1205 auch der Papst Innocenz III. gegen das verhaßte Volk erklärte. „Seine
Erlasse," sagt unsre Quelle, „waren von den schwersten Anschuldigungen gegen
die Juden erfüllt; wenn man dieselben aber auch aller Uebertreibungen und
Erfindungen entkleidet und nur das bestehen läßt, was auch anderwärts ihnen


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[0433] Jahrhunderte konnte man sie sich nicht mehr anders vorstellen als in der Eigen¬ schaft von Kaufleuten und, wie wir sogleich sehen werden, von Wucherern. Die erste Judenverfolgung in Deutschland fand 1011 in Mainz unter Kaiser Heinrich II. statt, wurde indeß bald wieder eingestellt. In der Zeit der Kreuzzüge begann das Volk stärker gegen das unter ihm wohnende semitische Element zu reagiren, und zwar keineswegs bloß aus Glaubenshaß, der hier allerdings eine große Rolle spielte, und wegen ihres dreisten und maßlosen Auftretens gegen das Christenthum, sondern auch aus weltlichen Gründen, in Prag z. B. wegen ihres Selavenhandels, und anderswo wegen des Wuchers, den sie trieben, und durch den sie sich allmählich eines großen Theils des be¬ weglichen und selbst des unbeweglichen Eigenthums ihrer christlichen Nachbarn bemächtigt hatten, wie ihnen denn in dieser Zeit die Hälfte der Stadt Paris gehört haben soll. So wurden im Jahre 1096 (vorwiegend von französischen Kreuzfahrern) im Rheinland, besonders in Trier und Cöln, dann auch in Regensburg und Prag Tausende von Juden grausam niedergemetzelt, und dies wiederholt sich 1146 in Mainz und im nächsten Jahre zu Würzburg. Die Negierung des Reiches betheiligte sich dabei nicht, Bischöfe versuchten die Ver¬ folgten zu schützen, auch Bernhard von Clairvaux trat für sie ein, und zuletzt nahm sich der Kaiser ihrer an, indem er sie als „Kammerknechte des Reiches" zu seinen Schützlingen machte. Wie die Juden im letzten Drittel des zwölften Jahrhunderts auch in Frankreich harte Verfolgung zu erleiden hatten und zuletzt zu Leibeignen der Könige und ihrer Vasallen wurden, und wie ihnen in England unter Richard Löwenherz und Johann ohne Land Aehnliches widerfuhr, wolle man a. a. O. nachlesen; wir werden uns im Weiteren, einige besonders charakteristische That¬ sachen ausgenommen, auf Deutschland beschränken. Nur das eine sei noch bemerkt, daß auch in England der Haß gegen sie seinen Grund zum Theil darin gehabt zu haben scheint, daß sie durch Wucher oder andere faule Ge¬ schäfte reich geworden waren; denn es wird berichtet, daß sie in London palast¬ artige Hänser besaßen. < Daß die Juden in Deutschland unter den Schutz des Kaisers gestellt und damit gewissermaßen dessen Eigenthum, dessen Leibeigne geworden waren, sicherte sie nicht vollständig vor Ausbrüchen der Volkswuth. 1179 wurden in rheinischen Städten, 1196 in Wien Jsraeliten ausgeplündert und ermordet, und vergebens schritten der Kaiser und mehrere Fürsten gegen den Unfug ein, zumal da sich 1205 auch der Papst Innocenz III. gegen das verhaßte Volk erklärte. „Seine Erlasse," sagt unsre Quelle, „waren von den schwersten Anschuldigungen gegen die Juden erfüllt; wenn man dieselben aber auch aller Uebertreibungen und Erfindungen entkleidet und nur das bestehen läßt, was auch anderwärts ihnen Grenzboten I. 1880. S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/433>, abgerufen am 23.07.2024.