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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Zeit nichts in den Weg.*) Erst im Jahre 50? wurde den Christen in Burgund
der Besuch jüdischer Gastmähler und erst 533 im Frankenlande die Ehe zwischen
Juden und Christen untersagt, und bald nachher erfolgte das Verbot, für die
Juden Proselyten zu machen. Erst um den Anfang des siebenten Jahrhunderts
gab es Verfolgungen gegen sie, wobei König Dagobert sie 629 zwischen Taufe
und Tod wählen ließ, das betreffende Edict aber nicht durchführte. Unter den
Westgothen Spaniens, wo die Juden zahlreicher waren und es förmliche Juden¬
städte wie Granada und Tarragona gab, ging es den dort angesiedelten Semiten
gleichfalls lange Zeit gut, und als später die Könige gelegentlich gegen sie ein¬
schritten, sie in ihrem Erwerb einschränkten oder sie aus dem Laude zu treiben
versuchten, wurden diese Maßregeln gewöhnlich von den Großen nicht beachtet
oder von den Nachfolgern der betreffenden Könige zurückgenommen. Erst Egika
wollte sie zur Bekehrung nöthigen; als er aber zu diesem Zwecke die Güter
der sich weigernden Juden einzuziehen drohte, riefen sie die ihnen stammver¬
wandten Araber aus Afrika ins Land, bewiesen also, daß sie keine Bürger
desselben, sondern eine Colonie von Fremden, ein Staat im Staate waren.

Unter Karl dem Großen genossen die Juden, die damals bereits den
Welthandel beherrschten, gleiche Rechte mit den Christen, nur hatten sie bei
der Ablegung eines Zeugnisses gegen solche einen furchtbaren Eid zu leisten.
Unter Ludwig, dem Sohne Karls, erfreuten sie sich sogar wichtiger Vorrechte,
und ein besonderer Beamter, der "Judenmeister", wachte über deren Beachtung.
Die Hauptursache dieser Begünstigungen war die zweite Gemahlin Ludwigs,
Judith, die für das Judenthum schwärmte -- eines der ersten Beispiele, daß
weiblicher Einfluß schwache Fürsten bei Erwägungen politischer Art bestimmte.
In Folge dieser Liebhaberei der Königin, die der mächtige Kämmerer Bernhard
theilte, sah man Juden sogar am Hofe aus- und eingehen, und wer dort beliebt
sein wollte, sprach nicht nur vortheilhaft vom Judenthum, sondern besuchte sogar
die Synagogen. Auch der Sturm, der sich um 827, vom Lyoner Bischof Agoberd
veranlaßt, gegen die semitischen Colonien und ihre Privilegien erhob und sich
hauptsächlich gegen ihren gierigen Eigennutz richtete, blieb erfolglos. Erst unter
Ludwigs Nachfolger Karl dem Kasten begannen hie und da Verfolgungen der
Juden, und an manchen Orten wurden sie geradezu verjagt. Schon im zehnten



*) Ein uns befreundeter Culturhistoriker schreibt uns hierzu: "In den ersten Jahr¬
hunderten des Mittelalters ging ein durch die Juden betriebner schwunghafter Sclavenhandel
vom fernsten Osten Europas bis nach Spanien, ja Afrika. Aus jener Zeit stammt der
Name der Slawen als Appellativum für ssrvus. Ein russischer gelehrter Panslawist nimmt
sogar die Bevölkerung Andalusiens als slawisch für Rußland in Anspruch, eben wegen der
massenhaften Einführung slawischer Sclaven, bei der die Juden Böhmens den spanischen die
Hand reichten."

Zeit nichts in den Weg.*) Erst im Jahre 50? wurde den Christen in Burgund
der Besuch jüdischer Gastmähler und erst 533 im Frankenlande die Ehe zwischen
Juden und Christen untersagt, und bald nachher erfolgte das Verbot, für die
Juden Proselyten zu machen. Erst um den Anfang des siebenten Jahrhunderts
gab es Verfolgungen gegen sie, wobei König Dagobert sie 629 zwischen Taufe
und Tod wählen ließ, das betreffende Edict aber nicht durchführte. Unter den
Westgothen Spaniens, wo die Juden zahlreicher waren und es förmliche Juden¬
städte wie Granada und Tarragona gab, ging es den dort angesiedelten Semiten
gleichfalls lange Zeit gut, und als später die Könige gelegentlich gegen sie ein¬
schritten, sie in ihrem Erwerb einschränkten oder sie aus dem Laude zu treiben
versuchten, wurden diese Maßregeln gewöhnlich von den Großen nicht beachtet
oder von den Nachfolgern der betreffenden Könige zurückgenommen. Erst Egika
wollte sie zur Bekehrung nöthigen; als er aber zu diesem Zwecke die Güter
der sich weigernden Juden einzuziehen drohte, riefen sie die ihnen stammver¬
wandten Araber aus Afrika ins Land, bewiesen also, daß sie keine Bürger
desselben, sondern eine Colonie von Fremden, ein Staat im Staate waren.

Unter Karl dem Großen genossen die Juden, die damals bereits den
Welthandel beherrschten, gleiche Rechte mit den Christen, nur hatten sie bei
der Ablegung eines Zeugnisses gegen solche einen furchtbaren Eid zu leisten.
Unter Ludwig, dem Sohne Karls, erfreuten sie sich sogar wichtiger Vorrechte,
und ein besonderer Beamter, der „Judenmeister", wachte über deren Beachtung.
Die Hauptursache dieser Begünstigungen war die zweite Gemahlin Ludwigs,
Judith, die für das Judenthum schwärmte — eines der ersten Beispiele, daß
weiblicher Einfluß schwache Fürsten bei Erwägungen politischer Art bestimmte.
In Folge dieser Liebhaberei der Königin, die der mächtige Kämmerer Bernhard
theilte, sah man Juden sogar am Hofe aus- und eingehen, und wer dort beliebt
sein wollte, sprach nicht nur vortheilhaft vom Judenthum, sondern besuchte sogar
die Synagogen. Auch der Sturm, der sich um 827, vom Lyoner Bischof Agoberd
veranlaßt, gegen die semitischen Colonien und ihre Privilegien erhob und sich
hauptsächlich gegen ihren gierigen Eigennutz richtete, blieb erfolglos. Erst unter
Ludwigs Nachfolger Karl dem Kasten begannen hie und da Verfolgungen der
Juden, und an manchen Orten wurden sie geradezu verjagt. Schon im zehnten



*) Ein uns befreundeter Culturhistoriker schreibt uns hierzu: „In den ersten Jahr¬
hunderten des Mittelalters ging ein durch die Juden betriebner schwunghafter Sclavenhandel
vom fernsten Osten Europas bis nach Spanien, ja Afrika. Aus jener Zeit stammt der
Name der Slawen als Appellativum für ssrvus. Ein russischer gelehrter Panslawist nimmt
sogar die Bevölkerung Andalusiens als slawisch für Rußland in Anspruch, eben wegen der
massenhaften Einführung slawischer Sclaven, bei der die Juden Böhmens den spanischen die
Hand reichten."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/432>, abgerufen am 22.07.2024.