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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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dann die Compositionslosigkeit weniger fühlbar wird als bei einer größeren
Figurenmenge, die doch auf einem Bilde nicht so chaotisch durcheinander laufen
darf wie in der Natur auf der Kirmes.

Was Julius Meyer über Courbets Malweise gesagt hat, paßt genau auf
diejenige Gussows. Auch er setzt mit größter Sicherheit Ton neben Ton fertig
hin, weil er alle Töne unter gleichmäßiger Beleuchtung sieht und ebenso wieder¬
giebt. Gussow liebt die ungebrochenen Farben: ein leuchtendes Gelb und ein
kräftiges Roth bilden gewöhnlich die Dominante, der sich die übrige Scala
unterordnet. Das gelbe Kopftuch der einen Dirne auf.dem "Kätzchen" machte
ein solches Glück, daß es nicht bloß Gussow selbst wiederholte, sondern daß auch
seine Schüler lange Zeit kein Bild malen konnten, ohne dieses gelbe, weißpunk-
tirte Tuch daraus anzubringen.

Es ist natürlich, daß Gussow im Ueberschwang des Schöpfungsdranges,
in der Freude, es der Natur gleichthun zu können, über das Ziel hinausschoß
und bisweilen das künstlerische Maß verlor. Schon auf dein "Kätzchen" hatte
er die Naturwahrheit soweit getrieben, daß er sogar die Fingernagel der Bäue¬
rinnen zu säubern unterlassen hatte, und an den entblößten Armen und den
von Gesundheit strotzenden Wangen gingen einige branstig rothe Flecke selbst
über das Maß des Natürlichen hinaus. Hatte sich Gussow schon für diese
Vauerngestalten nicht die schönsten Modelle ausgesucht, so streifte das zweite
Bild, der "Blumenfreund", hart an die Caricatur. Der alte Mann, der am
Fenster steht und seine Lieblinge betrachtet, war nicht nur ein Blumenfreund,
sondern, wie die Kirchendiener auf Courbets "Begrübniß zu Oruaus", ein ebenso
eifriger Freund von spirituösen, wovon die Rubinen auf seiner Nase ein deut¬
sches Zeugniß ablegten. Man wäre nach diesen beiden Bildern geneigt ge¬
wesen, zu glauben, daß Gussow die höchste Naturwahrheit in der größten Hä߬
lichkeit und Niedrigkeit zu erreichen vermeint. Indessen widerlegte das dritte
Bild, "Verlorenes Glück", diese Ansicht. Eine junge Frau von strengen, aber
edlen Gesichtszügen, die in schmerzlicher Resignation vor sich hinblickt, hält ein
blondgelocktes Kind in ihrem Arme, welches in seliger Unbefangenheit nach einem
Gegenstände ausschaut, der seine Neugier gereizt hat. Hier fanden sich alle Vor¬
ige wieder, die man auf dem "Kätzchen" bewunderte: eine vollendete Zeichnung,
^nie plastische Modellirung und eine zu höchster Lebendigkeit gesteigerte Natur-
Wahrheit. Die Trailerkleider der Wittwe und des Kindes ließen eine Entfaltung
koloristischer Bravourstücke nicht zu, erhöhten aber auch zugleich die harmonische
Haltung des Bildes, welches nirgends durch eine Geschmacklosigkeit verletzte, wie
die meisten seiner Portraits, besonders die weiblichen, die Gussow von einem
Möglichst grell gefärbten Hintergrunde abzuheben liebt, gerade wie der ihm auch


Grenzboten I. 1380. S

dann die Compositionslosigkeit weniger fühlbar wird als bei einer größeren
Figurenmenge, die doch auf einem Bilde nicht so chaotisch durcheinander laufen
darf wie in der Natur auf der Kirmes.

Was Julius Meyer über Courbets Malweise gesagt hat, paßt genau auf
diejenige Gussows. Auch er setzt mit größter Sicherheit Ton neben Ton fertig
hin, weil er alle Töne unter gleichmäßiger Beleuchtung sieht und ebenso wieder¬
giebt. Gussow liebt die ungebrochenen Farben: ein leuchtendes Gelb und ein
kräftiges Roth bilden gewöhnlich die Dominante, der sich die übrige Scala
unterordnet. Das gelbe Kopftuch der einen Dirne auf.dem „Kätzchen" machte
ein solches Glück, daß es nicht bloß Gussow selbst wiederholte, sondern daß auch
seine Schüler lange Zeit kein Bild malen konnten, ohne dieses gelbe, weißpunk-
tirte Tuch daraus anzubringen.

Es ist natürlich, daß Gussow im Ueberschwang des Schöpfungsdranges,
in der Freude, es der Natur gleichthun zu können, über das Ziel hinausschoß
und bisweilen das künstlerische Maß verlor. Schon auf dein „Kätzchen" hatte
er die Naturwahrheit soweit getrieben, daß er sogar die Fingernagel der Bäue¬
rinnen zu säubern unterlassen hatte, und an den entblößten Armen und den
von Gesundheit strotzenden Wangen gingen einige branstig rothe Flecke selbst
über das Maß des Natürlichen hinaus. Hatte sich Gussow schon für diese
Vauerngestalten nicht die schönsten Modelle ausgesucht, so streifte das zweite
Bild, der „Blumenfreund", hart an die Caricatur. Der alte Mann, der am
Fenster steht und seine Lieblinge betrachtet, war nicht nur ein Blumenfreund,
sondern, wie die Kirchendiener auf Courbets „Begrübniß zu Oruaus", ein ebenso
eifriger Freund von spirituösen, wovon die Rubinen auf seiner Nase ein deut¬
sches Zeugniß ablegten. Man wäre nach diesen beiden Bildern geneigt ge¬
wesen, zu glauben, daß Gussow die höchste Naturwahrheit in der größten Hä߬
lichkeit und Niedrigkeit zu erreichen vermeint. Indessen widerlegte das dritte
Bild, „Verlorenes Glück", diese Ansicht. Eine junge Frau von strengen, aber
edlen Gesichtszügen, die in schmerzlicher Resignation vor sich hinblickt, hält ein
blondgelocktes Kind in ihrem Arme, welches in seliger Unbefangenheit nach einem
Gegenstände ausschaut, der seine Neugier gereizt hat. Hier fanden sich alle Vor¬
ige wieder, die man auf dem „Kätzchen" bewunderte: eine vollendete Zeichnung,
^nie plastische Modellirung und eine zu höchster Lebendigkeit gesteigerte Natur-
Wahrheit. Die Trailerkleider der Wittwe und des Kindes ließen eine Entfaltung
koloristischer Bravourstücke nicht zu, erhöhten aber auch zugleich die harmonische
Haltung des Bildes, welches nirgends durch eine Geschmacklosigkeit verletzte, wie
die meisten seiner Portraits, besonders die weiblichen, die Gussow von einem
Möglichst grell gefärbten Hintergrunde abzuheben liebt, gerade wie der ihm auch


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[0041] dann die Compositionslosigkeit weniger fühlbar wird als bei einer größeren Figurenmenge, die doch auf einem Bilde nicht so chaotisch durcheinander laufen darf wie in der Natur auf der Kirmes. Was Julius Meyer über Courbets Malweise gesagt hat, paßt genau auf diejenige Gussows. Auch er setzt mit größter Sicherheit Ton neben Ton fertig hin, weil er alle Töne unter gleichmäßiger Beleuchtung sieht und ebenso wieder¬ giebt. Gussow liebt die ungebrochenen Farben: ein leuchtendes Gelb und ein kräftiges Roth bilden gewöhnlich die Dominante, der sich die übrige Scala unterordnet. Das gelbe Kopftuch der einen Dirne auf.dem „Kätzchen" machte ein solches Glück, daß es nicht bloß Gussow selbst wiederholte, sondern daß auch seine Schüler lange Zeit kein Bild malen konnten, ohne dieses gelbe, weißpunk- tirte Tuch daraus anzubringen. Es ist natürlich, daß Gussow im Ueberschwang des Schöpfungsdranges, in der Freude, es der Natur gleichthun zu können, über das Ziel hinausschoß und bisweilen das künstlerische Maß verlor. Schon auf dein „Kätzchen" hatte er die Naturwahrheit soweit getrieben, daß er sogar die Fingernagel der Bäue¬ rinnen zu säubern unterlassen hatte, und an den entblößten Armen und den von Gesundheit strotzenden Wangen gingen einige branstig rothe Flecke selbst über das Maß des Natürlichen hinaus. Hatte sich Gussow schon für diese Vauerngestalten nicht die schönsten Modelle ausgesucht, so streifte das zweite Bild, der „Blumenfreund", hart an die Caricatur. Der alte Mann, der am Fenster steht und seine Lieblinge betrachtet, war nicht nur ein Blumenfreund, sondern, wie die Kirchendiener auf Courbets „Begrübniß zu Oruaus", ein ebenso eifriger Freund von spirituösen, wovon die Rubinen auf seiner Nase ein deut¬ sches Zeugniß ablegten. Man wäre nach diesen beiden Bildern geneigt ge¬ wesen, zu glauben, daß Gussow die höchste Naturwahrheit in der größten Hä߬ lichkeit und Niedrigkeit zu erreichen vermeint. Indessen widerlegte das dritte Bild, „Verlorenes Glück", diese Ansicht. Eine junge Frau von strengen, aber edlen Gesichtszügen, die in schmerzlicher Resignation vor sich hinblickt, hält ein blondgelocktes Kind in ihrem Arme, welches in seliger Unbefangenheit nach einem Gegenstände ausschaut, der seine Neugier gereizt hat. Hier fanden sich alle Vor¬ ige wieder, die man auf dem „Kätzchen" bewunderte: eine vollendete Zeichnung, ^nie plastische Modellirung und eine zu höchster Lebendigkeit gesteigerte Natur- Wahrheit. Die Trailerkleider der Wittwe und des Kindes ließen eine Entfaltung koloristischer Bravourstücke nicht zu, erhöhten aber auch zugleich die harmonische Haltung des Bildes, welches nirgends durch eine Geschmacklosigkeit verletzte, wie die meisten seiner Portraits, besonders die weiblichen, die Gussow von einem Möglichst grell gefärbten Hintergrunde abzuheben liebt, gerade wie der ihm auch Grenzboten I. 1380. S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/41>, abgerufen am 03.07.2024.