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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sonst verwandte Carolus Duran in Paris, der zu denjenigen Malern gehört,
welche Courbet am nächsten stehen.

Nur das Portrait einer alten Dame, welches auf der Ausstellung von
1877 erschien, war von Geschmacklosigkeiten im Arrangement und in der eolo-
ristischen Haltung gänzlich frei: ein schlichtes, treues Abbild der Natur, dem es
sogar an einer gewissen Noblesse nicht gebrach. Dieselbe Ausstellung bot auch
eine ähnliche Bravourleistung wie das "Kätzchen", ebenso virtuos in der Farbe,
ebenso plastisch angelegt, aber durch die dramatische Bewegung der Figuren
noch unruhiger. "Willkommen!" hieß das Bild, und die Begrüßung heimkeh¬
render Krieger durch Frauen, Mädchen und Kinder, die sich in wilder Hast
durch einen Fensterrahmen hindurchdrängen, war sein Motiv. Sie lachen und
jauchzen und winken mit den Taschentüchern: so leidenschaftliche Ausbrüche der
Freude hatte noch nie zuvor jemand gemalt und mit solchem Erfolge gemalt!
Ein kleiner Blondkopf, der kaum bis ans Fensterbrett reicht, hatte sich ans die
Zehen gestellt und die Augen weit aufgerissen, um auch etwas von dem Schall¬
spiel da unten zu ergattern. Man glaubte zu sehen, wie der kleine Kerl unge¬
duldig mit den Füßen strampelte. In diesem urwüchsigen, derben Humor, der
an die joviale Breite, die krause Schnörkelhaftigkeit der amerikanischen Humo¬
risten erinnert, liegt auch ein gutes Stück Poesie, mit der Gussow im Uebrigen
nicht allzureich ausgestattet ist. Wie seine Malweise das Energische, Unzwei¬
deutige liebt, so ist auch seine Anfchauungs- und Auffassungsweise der Ausdruck
der unmittelbaren Gegenwart in ihrer ganzen prosaischen Kühle, aber auch mit
dem funkelnden Reiz des Origineller und Jmponirenden.

Seit 1877 hat Gussow keine Berliner Ausstellung mehr beschickt. Das
brüske Auftreten einiger Atelierschüler, die durch stümperhafte Nachäfferei das
immerhin unter strenger künstlerischer Zucht stehende Princip des Meisters zu
discreditiren drohten, scheint ihn so verstimmt zu haben, daß er vor der Hand
auf öffentliche Erfolge verzichten zu können glaubt. Doch ist er während dieser
Zeit nicht unthätig geblieben. Die "Venuswäscherin", welche er auf die Welt¬
ausstellung nach Paris geschickt hatte, behandelte einen scherzhaften Contrast mit
vielem Humor: eine alte Aufwärterin, eine jener verwittweten, verhutzelteil Ge¬
stalten, wie sie nur der Scharfblick Gussows ausfindig machen kann, ist damit
beschäftigt, im Atelier eines Malers einen kleinen Gypsabguß der milonischen
Venus abzuwaschen, und betrachtet bei diesem Geschäft die unverhüllten, herr¬
lichen Formen der Göttin mit höchlichem Mißvergnügen. Ein ähnlicher Ge¬
danke liegt auch dem "Modernen Atlas" zu Grunde, der den Künstler noch
gegenwärtig beschäftigt: ein alter Dienstmann, der eine große Erdkugel trägt.
Das letzte Bild, welches kürzlich vollendet aus Gussows Hand hervorgegangen
ist, zeigt uns das Brustbild eiues hübschen, jungen Mädchens, welches lachend


sonst verwandte Carolus Duran in Paris, der zu denjenigen Malern gehört,
welche Courbet am nächsten stehen.

Nur das Portrait einer alten Dame, welches auf der Ausstellung von
1877 erschien, war von Geschmacklosigkeiten im Arrangement und in der eolo-
ristischen Haltung gänzlich frei: ein schlichtes, treues Abbild der Natur, dem es
sogar an einer gewissen Noblesse nicht gebrach. Dieselbe Ausstellung bot auch
eine ähnliche Bravourleistung wie das „Kätzchen", ebenso virtuos in der Farbe,
ebenso plastisch angelegt, aber durch die dramatische Bewegung der Figuren
noch unruhiger. „Willkommen!" hieß das Bild, und die Begrüßung heimkeh¬
render Krieger durch Frauen, Mädchen und Kinder, die sich in wilder Hast
durch einen Fensterrahmen hindurchdrängen, war sein Motiv. Sie lachen und
jauchzen und winken mit den Taschentüchern: so leidenschaftliche Ausbrüche der
Freude hatte noch nie zuvor jemand gemalt und mit solchem Erfolge gemalt!
Ein kleiner Blondkopf, der kaum bis ans Fensterbrett reicht, hatte sich ans die
Zehen gestellt und die Augen weit aufgerissen, um auch etwas von dem Schall¬
spiel da unten zu ergattern. Man glaubte zu sehen, wie der kleine Kerl unge¬
duldig mit den Füßen strampelte. In diesem urwüchsigen, derben Humor, der
an die joviale Breite, die krause Schnörkelhaftigkeit der amerikanischen Humo¬
risten erinnert, liegt auch ein gutes Stück Poesie, mit der Gussow im Uebrigen
nicht allzureich ausgestattet ist. Wie seine Malweise das Energische, Unzwei¬
deutige liebt, so ist auch seine Anfchauungs- und Auffassungsweise der Ausdruck
der unmittelbaren Gegenwart in ihrer ganzen prosaischen Kühle, aber auch mit
dem funkelnden Reiz des Origineller und Jmponirenden.

Seit 1877 hat Gussow keine Berliner Ausstellung mehr beschickt. Das
brüske Auftreten einiger Atelierschüler, die durch stümperhafte Nachäfferei das
immerhin unter strenger künstlerischer Zucht stehende Princip des Meisters zu
discreditiren drohten, scheint ihn so verstimmt zu haben, daß er vor der Hand
auf öffentliche Erfolge verzichten zu können glaubt. Doch ist er während dieser
Zeit nicht unthätig geblieben. Die „Venuswäscherin", welche er auf die Welt¬
ausstellung nach Paris geschickt hatte, behandelte einen scherzhaften Contrast mit
vielem Humor: eine alte Aufwärterin, eine jener verwittweten, verhutzelteil Ge¬
stalten, wie sie nur der Scharfblick Gussows ausfindig machen kann, ist damit
beschäftigt, im Atelier eines Malers einen kleinen Gypsabguß der milonischen
Venus abzuwaschen, und betrachtet bei diesem Geschäft die unverhüllten, herr¬
lichen Formen der Göttin mit höchlichem Mißvergnügen. Ein ähnlicher Ge¬
danke liegt auch dem „Modernen Atlas" zu Grunde, der den Künstler noch
gegenwärtig beschäftigt: ein alter Dienstmann, der eine große Erdkugel trägt.
Das letzte Bild, welches kürzlich vollendet aus Gussows Hand hervorgegangen
ist, zeigt uns das Brustbild eiues hübschen, jungen Mädchens, welches lachend


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[0042] sonst verwandte Carolus Duran in Paris, der zu denjenigen Malern gehört, welche Courbet am nächsten stehen. Nur das Portrait einer alten Dame, welches auf der Ausstellung von 1877 erschien, war von Geschmacklosigkeiten im Arrangement und in der eolo- ristischen Haltung gänzlich frei: ein schlichtes, treues Abbild der Natur, dem es sogar an einer gewissen Noblesse nicht gebrach. Dieselbe Ausstellung bot auch eine ähnliche Bravourleistung wie das „Kätzchen", ebenso virtuos in der Farbe, ebenso plastisch angelegt, aber durch die dramatische Bewegung der Figuren noch unruhiger. „Willkommen!" hieß das Bild, und die Begrüßung heimkeh¬ render Krieger durch Frauen, Mädchen und Kinder, die sich in wilder Hast durch einen Fensterrahmen hindurchdrängen, war sein Motiv. Sie lachen und jauchzen und winken mit den Taschentüchern: so leidenschaftliche Ausbrüche der Freude hatte noch nie zuvor jemand gemalt und mit solchem Erfolge gemalt! Ein kleiner Blondkopf, der kaum bis ans Fensterbrett reicht, hatte sich ans die Zehen gestellt und die Augen weit aufgerissen, um auch etwas von dem Schall¬ spiel da unten zu ergattern. Man glaubte zu sehen, wie der kleine Kerl unge¬ duldig mit den Füßen strampelte. In diesem urwüchsigen, derben Humor, der an die joviale Breite, die krause Schnörkelhaftigkeit der amerikanischen Humo¬ risten erinnert, liegt auch ein gutes Stück Poesie, mit der Gussow im Uebrigen nicht allzureich ausgestattet ist. Wie seine Malweise das Energische, Unzwei¬ deutige liebt, so ist auch seine Anfchauungs- und Auffassungsweise der Ausdruck der unmittelbaren Gegenwart in ihrer ganzen prosaischen Kühle, aber auch mit dem funkelnden Reiz des Origineller und Jmponirenden. Seit 1877 hat Gussow keine Berliner Ausstellung mehr beschickt. Das brüske Auftreten einiger Atelierschüler, die durch stümperhafte Nachäfferei das immerhin unter strenger künstlerischer Zucht stehende Princip des Meisters zu discreditiren drohten, scheint ihn so verstimmt zu haben, daß er vor der Hand auf öffentliche Erfolge verzichten zu können glaubt. Doch ist er während dieser Zeit nicht unthätig geblieben. Die „Venuswäscherin", welche er auf die Welt¬ ausstellung nach Paris geschickt hatte, behandelte einen scherzhaften Contrast mit vielem Humor: eine alte Aufwärterin, eine jener verwittweten, verhutzelteil Ge¬ stalten, wie sie nur der Scharfblick Gussows ausfindig machen kann, ist damit beschäftigt, im Atelier eines Malers einen kleinen Gypsabguß der milonischen Venus abzuwaschen, und betrachtet bei diesem Geschäft die unverhüllten, herr¬ lichen Formen der Göttin mit höchlichem Mißvergnügen. Ein ähnlicher Ge¬ danke liegt auch dem „Modernen Atlas" zu Grunde, der den Künstler noch gegenwärtig beschäftigt: ein alter Dienstmann, der eine große Erdkugel trägt. Das letzte Bild, welches kürzlich vollendet aus Gussows Hand hervorgegangen ist, zeigt uns das Brustbild eiues hübschen, jungen Mädchens, welches lachend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/42>, abgerufen am 23.07.2024.