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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wir geben nun noch ein paar Proben aus der Eschatologie des Talmud,
sodann die Stellung, die derselbe sowie die spätere rabbinische Literatur zum
Stifter des Christenthums, der Kirche und den Christen einnehmen, und schließen
unsere Auszüge mit einem Blicke auf die talmudische Moral gegenüber andern
Völkern und Religionen. Nach dem Talmud werden die Juden einst die
Herrscherstellung in der Welt einnehmen, die ihnen als dem Volke Gottes, dem
auserwählten Volke, gebührt. Dies wird durch den Messias geschehen, der sich
nach dem Tractat Sanhedrin incognito am Thore von Rom, nach Andern im
Paradiese aufhält. Derselbe wird nach dem Tractat Apoda Sara nicht eher
erscheinen, als bis der Vorrath von Seelen, die im Guf sind (im lirakus in-
ktmtwin oder dem Orte, wo Gott die Seelen verwahrt, die er als Menschen¬
kinder geboren werden lassen will), zu Ende gegangen ist. Weiter nach dieser
Zeit zu forschen, ist zwar verboten; denn im Tractat Sanhedrin heißt es: "Die
Gebeine sollen dem zerbersten, der den bestimmten Zeiten (d. h. denen des
Messias) nachrechnet." Indeß hat verzeihliche Neugier dies doch gethan, und
in demselben Tractat lesen wir, daß Elias dem Rabbi Jehuda geoffenbart, die
Welt werde nicht weniger als 85 Jubeljahre, also nach jüdischer Rechnung bis
zum Jahre 4250 stehen, und in diesem werde der Sohn Davids kommen. Nach
dem Tractat Apoda Sara aber wird die Erlösung der Juden durch diesen, den
Messias, vierhundert Jahre nach Zerstörung des Tempels nahe sein. Spätere
Rabbinen verlegten, da dies nicht zugetroffen, den Termin noch weiter und
wußten von bestimmten Zeichen, die ihn ankündigen würden. Mit dem Messias
wird nach dem Tractat Sanhedrin "die Herrschaft wieder an die Kinder Israels
kommen, und diese werden wieder ins gelobte Land zurückkehren. Sein Name
und Ruhm wird größer sein als derjenige des Königs Salomo, und alle Völker
werden ihm dienen." Der Rabbi Abarbanel aber führt dies in seiner Aus¬
legung einer Stelle des Jesajas dahin weiter aus, daß den Jsraeliten "alle
Volker unterworfen werden sollen. Die Fremden sollen ihnen ihre Herden
weiden, und die Ausländer ihre Aecker und Weinberge bauen, auf daß die
Kinder Israel keine grobe Arbeit mehr verrichten müssen", und nach dein Jalkut
Schimoni wird dann "jeder Jsraelit 2800 Sclaven aus allerlei Sprachen haben".
Der Messias wird von allen Völkern Geschenke annehmen, nur vom "edomiti-
schen Reiche", d. h. von der Christenheit, nicht, heißt es im talmudischen Tractat
Pesachim. Hier ist auch von einem großen Schatze zu Rom die Rede, in welchem
nach der Ansicht von Späteren alles Geld jenes "Edomiter-Reiches" gesammelt
sein und der vom Messias unter die Juden vertheilt werden soll. Zuletzt werden,
obwohl der Tractat Jevammoth behauptet, daß zur Zeit des Messias keine
Proselyten mehr angenommen werden sollen, nach der Prophezeiung des Rabbi
Bechai alle Nationen sich zum Judenglauben bekehren- Nur die Christen werden


Grenzboten I. 1380. 46

Wir geben nun noch ein paar Proben aus der Eschatologie des Talmud,
sodann die Stellung, die derselbe sowie die spätere rabbinische Literatur zum
Stifter des Christenthums, der Kirche und den Christen einnehmen, und schließen
unsere Auszüge mit einem Blicke auf die talmudische Moral gegenüber andern
Völkern und Religionen. Nach dem Talmud werden die Juden einst die
Herrscherstellung in der Welt einnehmen, die ihnen als dem Volke Gottes, dem
auserwählten Volke, gebührt. Dies wird durch den Messias geschehen, der sich
nach dem Tractat Sanhedrin incognito am Thore von Rom, nach Andern im
Paradiese aufhält. Derselbe wird nach dem Tractat Apoda Sara nicht eher
erscheinen, als bis der Vorrath von Seelen, die im Guf sind (im lirakus in-
ktmtwin oder dem Orte, wo Gott die Seelen verwahrt, die er als Menschen¬
kinder geboren werden lassen will), zu Ende gegangen ist. Weiter nach dieser
Zeit zu forschen, ist zwar verboten; denn im Tractat Sanhedrin heißt es: „Die
Gebeine sollen dem zerbersten, der den bestimmten Zeiten (d. h. denen des
Messias) nachrechnet." Indeß hat verzeihliche Neugier dies doch gethan, und
in demselben Tractat lesen wir, daß Elias dem Rabbi Jehuda geoffenbart, die
Welt werde nicht weniger als 85 Jubeljahre, also nach jüdischer Rechnung bis
zum Jahre 4250 stehen, und in diesem werde der Sohn Davids kommen. Nach
dem Tractat Apoda Sara aber wird die Erlösung der Juden durch diesen, den
Messias, vierhundert Jahre nach Zerstörung des Tempels nahe sein. Spätere
Rabbinen verlegten, da dies nicht zugetroffen, den Termin noch weiter und
wußten von bestimmten Zeichen, die ihn ankündigen würden. Mit dem Messias
wird nach dem Tractat Sanhedrin „die Herrschaft wieder an die Kinder Israels
kommen, und diese werden wieder ins gelobte Land zurückkehren. Sein Name
und Ruhm wird größer sein als derjenige des Königs Salomo, und alle Völker
werden ihm dienen." Der Rabbi Abarbanel aber führt dies in seiner Aus¬
legung einer Stelle des Jesajas dahin weiter aus, daß den Jsraeliten „alle
Volker unterworfen werden sollen. Die Fremden sollen ihnen ihre Herden
weiden, und die Ausländer ihre Aecker und Weinberge bauen, auf daß die
Kinder Israel keine grobe Arbeit mehr verrichten müssen", und nach dein Jalkut
Schimoni wird dann „jeder Jsraelit 2800 Sclaven aus allerlei Sprachen haben".
Der Messias wird von allen Völkern Geschenke annehmen, nur vom „edomiti-
schen Reiche", d. h. von der Christenheit, nicht, heißt es im talmudischen Tractat
Pesachim. Hier ist auch von einem großen Schatze zu Rom die Rede, in welchem
nach der Ansicht von Späteren alles Geld jenes „Edomiter-Reiches" gesammelt
sein und der vom Messias unter die Juden vertheilt werden soll. Zuletzt werden,
obwohl der Tractat Jevammoth behauptet, daß zur Zeit des Messias keine
Proselyten mehr angenommen werden sollen, nach der Prophezeiung des Rabbi
Bechai alle Nationen sich zum Judenglauben bekehren- Nur die Christen werden


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[0369] Wir geben nun noch ein paar Proben aus der Eschatologie des Talmud, sodann die Stellung, die derselbe sowie die spätere rabbinische Literatur zum Stifter des Christenthums, der Kirche und den Christen einnehmen, und schließen unsere Auszüge mit einem Blicke auf die talmudische Moral gegenüber andern Völkern und Religionen. Nach dem Talmud werden die Juden einst die Herrscherstellung in der Welt einnehmen, die ihnen als dem Volke Gottes, dem auserwählten Volke, gebührt. Dies wird durch den Messias geschehen, der sich nach dem Tractat Sanhedrin incognito am Thore von Rom, nach Andern im Paradiese aufhält. Derselbe wird nach dem Tractat Apoda Sara nicht eher erscheinen, als bis der Vorrath von Seelen, die im Guf sind (im lirakus in- ktmtwin oder dem Orte, wo Gott die Seelen verwahrt, die er als Menschen¬ kinder geboren werden lassen will), zu Ende gegangen ist. Weiter nach dieser Zeit zu forschen, ist zwar verboten; denn im Tractat Sanhedrin heißt es: „Die Gebeine sollen dem zerbersten, der den bestimmten Zeiten (d. h. denen des Messias) nachrechnet." Indeß hat verzeihliche Neugier dies doch gethan, und in demselben Tractat lesen wir, daß Elias dem Rabbi Jehuda geoffenbart, die Welt werde nicht weniger als 85 Jubeljahre, also nach jüdischer Rechnung bis zum Jahre 4250 stehen, und in diesem werde der Sohn Davids kommen. Nach dem Tractat Apoda Sara aber wird die Erlösung der Juden durch diesen, den Messias, vierhundert Jahre nach Zerstörung des Tempels nahe sein. Spätere Rabbinen verlegten, da dies nicht zugetroffen, den Termin noch weiter und wußten von bestimmten Zeichen, die ihn ankündigen würden. Mit dem Messias wird nach dem Tractat Sanhedrin „die Herrschaft wieder an die Kinder Israels kommen, und diese werden wieder ins gelobte Land zurückkehren. Sein Name und Ruhm wird größer sein als derjenige des Königs Salomo, und alle Völker werden ihm dienen." Der Rabbi Abarbanel aber führt dies in seiner Aus¬ legung einer Stelle des Jesajas dahin weiter aus, daß den Jsraeliten „alle Volker unterworfen werden sollen. Die Fremden sollen ihnen ihre Herden weiden, und die Ausländer ihre Aecker und Weinberge bauen, auf daß die Kinder Israel keine grobe Arbeit mehr verrichten müssen", und nach dein Jalkut Schimoni wird dann „jeder Jsraelit 2800 Sclaven aus allerlei Sprachen haben". Der Messias wird von allen Völkern Geschenke annehmen, nur vom „edomiti- schen Reiche", d. h. von der Christenheit, nicht, heißt es im talmudischen Tractat Pesachim. Hier ist auch von einem großen Schatze zu Rom die Rede, in welchem nach der Ansicht von Späteren alles Geld jenes „Edomiter-Reiches" gesammelt sein und der vom Messias unter die Juden vertheilt werden soll. Zuletzt werden, obwohl der Tractat Jevammoth behauptet, daß zur Zeit des Messias keine Proselyten mehr angenommen werden sollen, nach der Prophezeiung des Rabbi Bechai alle Nationen sich zum Judenglauben bekehren- Nur die Christen werden Grenzboten I. 1380. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/369>, abgerufen am 23.07.2024.