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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Schäfte, wohin er nur kommt, selbst auf Kosten seines leiblichen Bruders und
mit arglistiger Täuschung seines greisen Vaters. Esau kehrt hungrig und müde
von der Jagd heim und bittet seinen Bruder, ihm das Gericht abzutreten, das
dieser sich bereitet hat. Jakob verweigert es ihm anfangs, ersieht aber bald
seinen Vortheil und verkauft ihm den Napf voll Linsen gegen Esaus Erstgeburts¬
recht -- mit einer ungeheuren Provision also, sagen wir: mit tausend Procent
Nutzen. Nun wissen wir sehr wohl, daß die Mär nur aus dem Bestreben der
Kinder Israel hervorgegangen ist, den benachbarten Edomitern gegenüber, die
in Esau ihren Stammvater verehrten, als die Vornehmeren zu erscheinen und
jene zugleich als Nachkommen eines guten dummen Teufels lächerlich zu machen,
der sich übers Ohr hauen läßt. Aber kein anderes, wenigstens kein nicht semi¬
tisches Volk hätte das in einer solchen Sage auszudrücken, hätte seinen Ahnherrn,
einen seiner Heroen als schmutzigen Schwindler auftreten zu lassen vermocht.
Jedes andere hätte sich dessen in die Seele hinein geschämt; die Juden dagegen
bewunderten das Resultat der Praktiken ihres Ur- und Vorbildes offenbar als
einen billigen Kauf, und das Verfahren selbst war ihnen nur ein Beweis von
Lebensklugheit.

Das Geschäft war indeß noch nicht perfect, es mußte durch den Vater der
beiden Brüder legitimirt und ergänzt werden. Es galt, dessen Segen für den
neuen Besitzer des Erstgeburtsrechts zu erschleichen, und dazu benutzt der "fromme"
Jakob die Blindheit des alten Isaak. Auf den Schacher mit dein Linsengericht
folgt der Kniff mit den Ziegenfellen. In der That, Franz Moor ist nicht
erheblich schlechter als dieser Urtypus des Judenvolkes.

Anderen Schattenseiten des letzteren begegnen wir in den Erzählungen von
Jakobs Verkehr mit seinem Schwiegervater Laban, und zwar treffen wir sie hier
auf beiden Seiten. Laban verweigert jenem den bedungenen Lohn. Jakob trägt
jahrelang gelassen das Joch eines Knechtes; denn er weiß, daß er auf geraden und
krummen Wegen schon seinen Schnitt noch machen wird. Und er versteht es
in der That, nicht nur zu seinem Lohne, der Hand Rahels, zu kommen, sondern
auch auf Kosten seines Schwiegervaters reich zu werden. Ganz in der Stille
erwirbt er sich aus dessen Herden durch einen schlauen Einfall einen Besitz an
Vieh und Sclaven, der den bedungenen Lohn bedeutend übersteigt, und schlie߬
lich nimmt er eine gute Gelegenheit war, sich mit seiner Familie und dem er¬
schwindelten Reichthum aus dem Staube zu machen. Die seiner würdige Rahel
aber heißt dabei die Hausgötter ihres Vaters heimlich mitgehen. So ist denn
Alles wohlgelungen. Jakob-Israel hat, wie er sich selbst rühmt, "als er über
den Jordan ging, nicht mehr als einen Stab gehabt", und siehe, jetzt ist er
"zwei Heere geworden" -- ungefähr wie die bettelnden Schnorrer, die heutzu¬
tage über die Weichsel gehen, um entweder selbst oder in ihrer nächsten Nach-


Schäfte, wohin er nur kommt, selbst auf Kosten seines leiblichen Bruders und
mit arglistiger Täuschung seines greisen Vaters. Esau kehrt hungrig und müde
von der Jagd heim und bittet seinen Bruder, ihm das Gericht abzutreten, das
dieser sich bereitet hat. Jakob verweigert es ihm anfangs, ersieht aber bald
seinen Vortheil und verkauft ihm den Napf voll Linsen gegen Esaus Erstgeburts¬
recht — mit einer ungeheuren Provision also, sagen wir: mit tausend Procent
Nutzen. Nun wissen wir sehr wohl, daß die Mär nur aus dem Bestreben der
Kinder Israel hervorgegangen ist, den benachbarten Edomitern gegenüber, die
in Esau ihren Stammvater verehrten, als die Vornehmeren zu erscheinen und
jene zugleich als Nachkommen eines guten dummen Teufels lächerlich zu machen,
der sich übers Ohr hauen läßt. Aber kein anderes, wenigstens kein nicht semi¬
tisches Volk hätte das in einer solchen Sage auszudrücken, hätte seinen Ahnherrn,
einen seiner Heroen als schmutzigen Schwindler auftreten zu lassen vermocht.
Jedes andere hätte sich dessen in die Seele hinein geschämt; die Juden dagegen
bewunderten das Resultat der Praktiken ihres Ur- und Vorbildes offenbar als
einen billigen Kauf, und das Verfahren selbst war ihnen nur ein Beweis von
Lebensklugheit.

Das Geschäft war indeß noch nicht perfect, es mußte durch den Vater der
beiden Brüder legitimirt und ergänzt werden. Es galt, dessen Segen für den
neuen Besitzer des Erstgeburtsrechts zu erschleichen, und dazu benutzt der „fromme"
Jakob die Blindheit des alten Isaak. Auf den Schacher mit dein Linsengericht
folgt der Kniff mit den Ziegenfellen. In der That, Franz Moor ist nicht
erheblich schlechter als dieser Urtypus des Judenvolkes.

Anderen Schattenseiten des letzteren begegnen wir in den Erzählungen von
Jakobs Verkehr mit seinem Schwiegervater Laban, und zwar treffen wir sie hier
auf beiden Seiten. Laban verweigert jenem den bedungenen Lohn. Jakob trägt
jahrelang gelassen das Joch eines Knechtes; denn er weiß, daß er auf geraden und
krummen Wegen schon seinen Schnitt noch machen wird. Und er versteht es
in der That, nicht nur zu seinem Lohne, der Hand Rahels, zu kommen, sondern
auch auf Kosten seines Schwiegervaters reich zu werden. Ganz in der Stille
erwirbt er sich aus dessen Herden durch einen schlauen Einfall einen Besitz an
Vieh und Sclaven, der den bedungenen Lohn bedeutend übersteigt, und schlie߬
lich nimmt er eine gute Gelegenheit war, sich mit seiner Familie und dem er¬
schwindelten Reichthum aus dem Staube zu machen. Die seiner würdige Rahel
aber heißt dabei die Hausgötter ihres Vaters heimlich mitgehen. So ist denn
Alles wohlgelungen. Jakob-Israel hat, wie er sich selbst rühmt, „als er über
den Jordan ging, nicht mehr als einen Stab gehabt", und siehe, jetzt ist er
„zwei Heere geworden" — ungefähr wie die bettelnden Schnorrer, die heutzu¬
tage über die Weichsel gehen, um entweder selbst oder in ihrer nächsten Nach-


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[0362] Schäfte, wohin er nur kommt, selbst auf Kosten seines leiblichen Bruders und mit arglistiger Täuschung seines greisen Vaters. Esau kehrt hungrig und müde von der Jagd heim und bittet seinen Bruder, ihm das Gericht abzutreten, das dieser sich bereitet hat. Jakob verweigert es ihm anfangs, ersieht aber bald seinen Vortheil und verkauft ihm den Napf voll Linsen gegen Esaus Erstgeburts¬ recht — mit einer ungeheuren Provision also, sagen wir: mit tausend Procent Nutzen. Nun wissen wir sehr wohl, daß die Mär nur aus dem Bestreben der Kinder Israel hervorgegangen ist, den benachbarten Edomitern gegenüber, die in Esau ihren Stammvater verehrten, als die Vornehmeren zu erscheinen und jene zugleich als Nachkommen eines guten dummen Teufels lächerlich zu machen, der sich übers Ohr hauen läßt. Aber kein anderes, wenigstens kein nicht semi¬ tisches Volk hätte das in einer solchen Sage auszudrücken, hätte seinen Ahnherrn, einen seiner Heroen als schmutzigen Schwindler auftreten zu lassen vermocht. Jedes andere hätte sich dessen in die Seele hinein geschämt; die Juden dagegen bewunderten das Resultat der Praktiken ihres Ur- und Vorbildes offenbar als einen billigen Kauf, und das Verfahren selbst war ihnen nur ein Beweis von Lebensklugheit. Das Geschäft war indeß noch nicht perfect, es mußte durch den Vater der beiden Brüder legitimirt und ergänzt werden. Es galt, dessen Segen für den neuen Besitzer des Erstgeburtsrechts zu erschleichen, und dazu benutzt der „fromme" Jakob die Blindheit des alten Isaak. Auf den Schacher mit dein Linsengericht folgt der Kniff mit den Ziegenfellen. In der That, Franz Moor ist nicht erheblich schlechter als dieser Urtypus des Judenvolkes. Anderen Schattenseiten des letzteren begegnen wir in den Erzählungen von Jakobs Verkehr mit seinem Schwiegervater Laban, und zwar treffen wir sie hier auf beiden Seiten. Laban verweigert jenem den bedungenen Lohn. Jakob trägt jahrelang gelassen das Joch eines Knechtes; denn er weiß, daß er auf geraden und krummen Wegen schon seinen Schnitt noch machen wird. Und er versteht es in der That, nicht nur zu seinem Lohne, der Hand Rahels, zu kommen, sondern auch auf Kosten seines Schwiegervaters reich zu werden. Ganz in der Stille erwirbt er sich aus dessen Herden durch einen schlauen Einfall einen Besitz an Vieh und Sclaven, der den bedungenen Lohn bedeutend übersteigt, und schlie߬ lich nimmt er eine gute Gelegenheit war, sich mit seiner Familie und dem er¬ schwindelten Reichthum aus dem Staube zu machen. Die seiner würdige Rahel aber heißt dabei die Hausgötter ihres Vaters heimlich mitgehen. So ist denn Alles wohlgelungen. Jakob-Israel hat, wie er sich selbst rühmt, „als er über den Jordan ging, nicht mehr als einen Stab gehabt", und siehe, jetzt ist er „zwei Heere geworden" — ungefähr wie die bettelnden Schnorrer, die heutzu¬ tage über die Weichsel gehen, um entweder selbst oder in ihrer nächsten Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/362>, abgerufen am 22.07.2024.