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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sich zutrauen kann. Zu den Mitteln dieser Lösung gehört denn freilich die Er¬
höhung der deutschen Wehrkraft als unwillkommene Last für die deutsche Nation,
deren Uebernahme aber unvergleichlich schlimmere Leiden abwehrt. Deutschland
übernimmt eine Last für sich, aber zugleich für den Welttheil, denn der Friede
ist für Alle eine Wohlthat, selbst für die Kreise der unbesonnenen Leiden¬
schaft, wo man den Krieg schüren möchte. In diesen Kreisen lenkt man ein,
weil man sieht, daß Deutschland noch lange nicht, wie man wähnte, am Ende
seiner Mittel angelangt ist, daß es noch reiche Menschenkräfte und wunderbare
Eigenschaften der Organisation für seine Erhaltung verfügbar machen kann.
Der Eindruck des Selbstvertrauens aus die diplomatische und militärische Fähig¬
keit, den Zielen der Friedensstörung alle Aussicht zu benehmen, wird erhöht
durch die Festigkeit, mit welcher der Fortgang innerer Reformen von großer
Tragweite ins Auge gefaßt wird. Der Organismus der Reichsinstitutionen hört
darum nicht auf zu wachsen, weil das Reich sich vor eine dankbare, aber schwere
Aufgabe der äußeren Politik gestellt sieht. Das ist der Charakter dieser Thron¬
rede, über deren Kahlheit und Unbedeutendheit liberale Zeitungen sich nicht
genug zu bekreuzigen wissen. Man kündigt an, daß man Nachhilfe schaffen will
durch eine Generaldiseussion, welche "klar zu stellen haben wird, inwieweit Deutsch¬
land durch die politische Lage gezwungen ist, für die Erhöhung seiner Wehr¬
kraft erhöhte Anstrengungen zu machen". Unglaublich! Meint man, Fürst
Bismarck solle geheime Actenstücke aus der Tasche ziehen? Wenn dies nützlich
und üblich wäre, was könnten solche Stücke auch nur im geringsten dazu bei¬
tragen, uns über die Quelle und Beschaffenheit einer Gefahr aufzuklären, für die
es kein Mittel der Vorbeugung giebt, als den Eindruck unserer überlegenen
Kraft und Geschicklichkeit? Wir haben einem Nachbar die Thür geschlossen, der
seit zweihundert Jahren gewohnt war, in Deutschland das bequeme Schlachtfeld
seines unruhigen Ehrgeizes zu finden. Wir haben gegen einen anderen Nachbar
unsere Unabhängigkeit in Anspruch genommen, der seit hundert Jahren gewohnt
war, in uns den ohnmächtigen Vasallen seiner gigantischen und haltlosen Träume
zu sehen. In beiden Nachbarvölkern brüten, nicht gerade die jeweiligen Inhaber
der Regierung, aber die Träger der Volksleidenschaften auf Rache. Es gehört
nichts dazu, als ein scheinbar günstiger Anlaß, um diese Leidenschaften zum
herrschenden Impuls der Regierungen zu machen. Nur wenn wir den Eindruck
unangreifbarer Ueberlegenheit machen, moralisch als Hort aller werthvollen
Interessen unseres Welttheils, militärisch als ein Kriegslager von unerreichbarer
Tüchtigkeit und unerschöpflichen Patriotismus, können wir jene Leidenschaften
zwingen, in sich zu verglimmen. Und über diesen Sachverhalt, den jedes Kind
init Händen greift, will man eine Generaldiseussiou anstellen und den Kanzler
auffordern, Beweise aus der Tasche zu ziehen! Beweise, daß das Sonnenlicht


sich zutrauen kann. Zu den Mitteln dieser Lösung gehört denn freilich die Er¬
höhung der deutschen Wehrkraft als unwillkommene Last für die deutsche Nation,
deren Uebernahme aber unvergleichlich schlimmere Leiden abwehrt. Deutschland
übernimmt eine Last für sich, aber zugleich für den Welttheil, denn der Friede
ist für Alle eine Wohlthat, selbst für die Kreise der unbesonnenen Leiden¬
schaft, wo man den Krieg schüren möchte. In diesen Kreisen lenkt man ein,
weil man sieht, daß Deutschland noch lange nicht, wie man wähnte, am Ende
seiner Mittel angelangt ist, daß es noch reiche Menschenkräfte und wunderbare
Eigenschaften der Organisation für seine Erhaltung verfügbar machen kann.
Der Eindruck des Selbstvertrauens aus die diplomatische und militärische Fähig¬
keit, den Zielen der Friedensstörung alle Aussicht zu benehmen, wird erhöht
durch die Festigkeit, mit welcher der Fortgang innerer Reformen von großer
Tragweite ins Auge gefaßt wird. Der Organismus der Reichsinstitutionen hört
darum nicht auf zu wachsen, weil das Reich sich vor eine dankbare, aber schwere
Aufgabe der äußeren Politik gestellt sieht. Das ist der Charakter dieser Thron¬
rede, über deren Kahlheit und Unbedeutendheit liberale Zeitungen sich nicht
genug zu bekreuzigen wissen. Man kündigt an, daß man Nachhilfe schaffen will
durch eine Generaldiseussion, welche „klar zu stellen haben wird, inwieweit Deutsch¬
land durch die politische Lage gezwungen ist, für die Erhöhung seiner Wehr¬
kraft erhöhte Anstrengungen zu machen". Unglaublich! Meint man, Fürst
Bismarck solle geheime Actenstücke aus der Tasche ziehen? Wenn dies nützlich
und üblich wäre, was könnten solche Stücke auch nur im geringsten dazu bei¬
tragen, uns über die Quelle und Beschaffenheit einer Gefahr aufzuklären, für die
es kein Mittel der Vorbeugung giebt, als den Eindruck unserer überlegenen
Kraft und Geschicklichkeit? Wir haben einem Nachbar die Thür geschlossen, der
seit zweihundert Jahren gewohnt war, in Deutschland das bequeme Schlachtfeld
seines unruhigen Ehrgeizes zu finden. Wir haben gegen einen anderen Nachbar
unsere Unabhängigkeit in Anspruch genommen, der seit hundert Jahren gewohnt
war, in uns den ohnmächtigen Vasallen seiner gigantischen und haltlosen Träume
zu sehen. In beiden Nachbarvölkern brüten, nicht gerade die jeweiligen Inhaber
der Regierung, aber die Träger der Volksleidenschaften auf Rache. Es gehört
nichts dazu, als ein scheinbar günstiger Anlaß, um diese Leidenschaften zum
herrschenden Impuls der Regierungen zu machen. Nur wenn wir den Eindruck
unangreifbarer Ueberlegenheit machen, moralisch als Hort aller werthvollen
Interessen unseres Welttheils, militärisch als ein Kriegslager von unerreichbarer
Tüchtigkeit und unerschöpflichen Patriotismus, können wir jene Leidenschaften
zwingen, in sich zu verglimmen. Und über diesen Sachverhalt, den jedes Kind
init Händen greift, will man eine Generaldiseussiou anstellen und den Kanzler
auffordern, Beweise aus der Tasche zu ziehen! Beweise, daß das Sonnenlicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/356>, abgerufen am 22.07.2024.