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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wicklung, und in Berlin riefen sie eine Bewegung hervor, die niemandem unge¬
legener kommen konnte als Cornelius, welcher gerade die ersten Proben seines
Könnens in der preußischen Hauptstadt ablegen sollte. Unter dem Einfluß der
belgischen Bilder entfaltete sich dann das Talent Julius Schraders, der freilich
für die Berliner Schule nicht von derselben Bedeutung wurde wie Piloty für
die Münchener, der aber immerhin einige Jahrzehnte lang den Ruhm der Ber¬
liner Historienmalerei vertrat.

Wenn wir heute die beiden Bilder Gallaits und de Bicfves betrachten,
welche aller Orten eine so nachhaltige Bewegung hervorriefen, können wir den
Grund dieser Sensation nicht mehr in seinem vollen Umfange begreifen und
würdigen. Jacob Burckhardt hat im "Kunstblatt" bald nach der Ausstellung
der Gemälde in Berlin (im Spätherbst 1842) sehr fein und treffend ausein¬
andergesetzt, worin sich dieselben von den deutschen Historienbildern so vortheil¬
haft unterschieden. "Hier sehen wir endlich," sagt er, "einen geschichtlichen Stil
vor uns; wir erkennen in beiden Werken ein Gemeinsames, den Geist einer
gewaltigen Schule, die ihren höchsten Entwicklungen erst entgegengeht. Gro߬
artige Momente von hohem, nationalem Interesse fassen hier eine endlose Reihe
bedeutender Individualitäten zu einem Ganzen zusammen, welches durch leichte,
freie Handhabung aller äußere" Mittel einen Eindruck hervorbringt, dem sich
kein Beschauer hat entziehen können____Die deutschen Regierungen, besonders
König Ludwig, haben schon so viele Darstellungen ans der vaterländischen Ge¬
schichte malen lassen; woher kommt es denn, daß wir hinter unsern Nachbarvölkern
zurückgeblieben sind?" Mit der Antwort auf diese Frage trifft er sogleich ins
Schwarze. "Fürs Erste," sagt er, "genügt es nicht, eine Geschichte gehabt zu
haben; man muß eine Geschichte, ein öffentliches Leben mitleben
können, um eine Geschichtsmalerei zu schaffen. Sodann siud die großen
Gesammtaufträge alle für Ausführung in Fresco geschehen, während unsere Zeit
neben dem dramatisch-historischen Inhalt eine individuelle Tiefe des Einzelnen
verlangt, die nur der Oelmalerei zu Gebote steht. Und hier fehlt es unseren
Malern an den nöthigen Mitteln, an Keckheit, an Farbe, an Zeichnung.
Man schneide aus dem "Kompromiß" (dem Bilde de Biefves) die vordere
Mittelgrnppe (die Unterzeichnenden am Tische), die sonst nicht eben vollkommen
ist, heraus, setze sie auf einen einfachen dunkeln Grund und vergleiche sie mit
den Werken unserer Künstler. Man wird finden, daß diese vielleicht im Aus¬
druck, in der Charakteristik viel tiefer und geistreicher sind, aber sie vermögen es
nicht, solche Existenzen auszudrücken.....Hier sehen wir Menschen vor
uns und eine Wirklichkeit, die bis an die Illusion reicht."

Obwohl mitten im Gewirr der sich bekämpfenden Parteien stehend, hat
Burckhardt dennoch mit feinem Blick das Wesen der belgischen Historienmalerei


Wicklung, und in Berlin riefen sie eine Bewegung hervor, die niemandem unge¬
legener kommen konnte als Cornelius, welcher gerade die ersten Proben seines
Könnens in der preußischen Hauptstadt ablegen sollte. Unter dem Einfluß der
belgischen Bilder entfaltete sich dann das Talent Julius Schraders, der freilich
für die Berliner Schule nicht von derselben Bedeutung wurde wie Piloty für
die Münchener, der aber immerhin einige Jahrzehnte lang den Ruhm der Ber¬
liner Historienmalerei vertrat.

Wenn wir heute die beiden Bilder Gallaits und de Bicfves betrachten,
welche aller Orten eine so nachhaltige Bewegung hervorriefen, können wir den
Grund dieser Sensation nicht mehr in seinem vollen Umfange begreifen und
würdigen. Jacob Burckhardt hat im „Kunstblatt" bald nach der Ausstellung
der Gemälde in Berlin (im Spätherbst 1842) sehr fein und treffend ausein¬
andergesetzt, worin sich dieselben von den deutschen Historienbildern so vortheil¬
haft unterschieden. „Hier sehen wir endlich," sagt er, „einen geschichtlichen Stil
vor uns; wir erkennen in beiden Werken ein Gemeinsames, den Geist einer
gewaltigen Schule, die ihren höchsten Entwicklungen erst entgegengeht. Gro߬
artige Momente von hohem, nationalem Interesse fassen hier eine endlose Reihe
bedeutender Individualitäten zu einem Ganzen zusammen, welches durch leichte,
freie Handhabung aller äußere« Mittel einen Eindruck hervorbringt, dem sich
kein Beschauer hat entziehen können____Die deutschen Regierungen, besonders
König Ludwig, haben schon so viele Darstellungen ans der vaterländischen Ge¬
schichte malen lassen; woher kommt es denn, daß wir hinter unsern Nachbarvölkern
zurückgeblieben sind?" Mit der Antwort auf diese Frage trifft er sogleich ins
Schwarze. „Fürs Erste," sagt er, „genügt es nicht, eine Geschichte gehabt zu
haben; man muß eine Geschichte, ein öffentliches Leben mitleben
können, um eine Geschichtsmalerei zu schaffen. Sodann siud die großen
Gesammtaufträge alle für Ausführung in Fresco geschehen, während unsere Zeit
neben dem dramatisch-historischen Inhalt eine individuelle Tiefe des Einzelnen
verlangt, die nur der Oelmalerei zu Gebote steht. Und hier fehlt es unseren
Malern an den nöthigen Mitteln, an Keckheit, an Farbe, an Zeichnung.
Man schneide aus dem „Kompromiß" (dem Bilde de Biefves) die vordere
Mittelgrnppe (die Unterzeichnenden am Tische), die sonst nicht eben vollkommen
ist, heraus, setze sie auf einen einfachen dunkeln Grund und vergleiche sie mit
den Werken unserer Künstler. Man wird finden, daß diese vielleicht im Aus¬
druck, in der Charakteristik viel tiefer und geistreicher sind, aber sie vermögen es
nicht, solche Existenzen auszudrücken.....Hier sehen wir Menschen vor
uns und eine Wirklichkeit, die bis an die Illusion reicht."

Obwohl mitten im Gewirr der sich bekämpfenden Parteien stehend, hat
Burckhardt dennoch mit feinem Blick das Wesen der belgischen Historienmalerei


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[0342] Wicklung, und in Berlin riefen sie eine Bewegung hervor, die niemandem unge¬ legener kommen konnte als Cornelius, welcher gerade die ersten Proben seines Könnens in der preußischen Hauptstadt ablegen sollte. Unter dem Einfluß der belgischen Bilder entfaltete sich dann das Talent Julius Schraders, der freilich für die Berliner Schule nicht von derselben Bedeutung wurde wie Piloty für die Münchener, der aber immerhin einige Jahrzehnte lang den Ruhm der Ber¬ liner Historienmalerei vertrat. Wenn wir heute die beiden Bilder Gallaits und de Bicfves betrachten, welche aller Orten eine so nachhaltige Bewegung hervorriefen, können wir den Grund dieser Sensation nicht mehr in seinem vollen Umfange begreifen und würdigen. Jacob Burckhardt hat im „Kunstblatt" bald nach der Ausstellung der Gemälde in Berlin (im Spätherbst 1842) sehr fein und treffend ausein¬ andergesetzt, worin sich dieselben von den deutschen Historienbildern so vortheil¬ haft unterschieden. „Hier sehen wir endlich," sagt er, „einen geschichtlichen Stil vor uns; wir erkennen in beiden Werken ein Gemeinsames, den Geist einer gewaltigen Schule, die ihren höchsten Entwicklungen erst entgegengeht. Gro߬ artige Momente von hohem, nationalem Interesse fassen hier eine endlose Reihe bedeutender Individualitäten zu einem Ganzen zusammen, welches durch leichte, freie Handhabung aller äußere« Mittel einen Eindruck hervorbringt, dem sich kein Beschauer hat entziehen können____Die deutschen Regierungen, besonders König Ludwig, haben schon so viele Darstellungen ans der vaterländischen Ge¬ schichte malen lassen; woher kommt es denn, daß wir hinter unsern Nachbarvölkern zurückgeblieben sind?" Mit der Antwort auf diese Frage trifft er sogleich ins Schwarze. „Fürs Erste," sagt er, „genügt es nicht, eine Geschichte gehabt zu haben; man muß eine Geschichte, ein öffentliches Leben mitleben können, um eine Geschichtsmalerei zu schaffen. Sodann siud die großen Gesammtaufträge alle für Ausführung in Fresco geschehen, während unsere Zeit neben dem dramatisch-historischen Inhalt eine individuelle Tiefe des Einzelnen verlangt, die nur der Oelmalerei zu Gebote steht. Und hier fehlt es unseren Malern an den nöthigen Mitteln, an Keckheit, an Farbe, an Zeichnung. Man schneide aus dem „Kompromiß" (dem Bilde de Biefves) die vordere Mittelgrnppe (die Unterzeichnenden am Tische), die sonst nicht eben vollkommen ist, heraus, setze sie auf einen einfachen dunkeln Grund und vergleiche sie mit den Werken unserer Künstler. Man wird finden, daß diese vielleicht im Aus¬ druck, in der Charakteristik viel tiefer und geistreicher sind, aber sie vermögen es nicht, solche Existenzen auszudrücken.....Hier sehen wir Menschen vor uns und eine Wirklichkeit, die bis an die Illusion reicht." Obwohl mitten im Gewirr der sich bekämpfenden Parteien stehend, hat Burckhardt dennoch mit feinem Blick das Wesen der belgischen Historienmalerei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/342>, abgerufen am 23.07.2024.