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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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erweckt, auferzogen und gekräftigt, und wie die moderne Geschichtschreibung und
-sorschung ein Kind der Romantik ist, so verdankt auch die Historienmalerei
ihren Aufschwung diesem Hinabtauchen in die Vergangenheit, dieser theils wahren,
theils falschen Begeisterung für die Helden und sonstigen hervorragenden Per¬
sönlichkeiten längst entschwundener Zeiten. Fehlte so dieser Malerei wenn auch
uicht der nationale Inhalt, doch der Reiz des Unmittelbaren und dem entspre¬
chend auch die frische, natürliche Wirkung auf die Meuge, so suchte sie nun
auf der anderen Seite diesen Mangel auch nicht durch eine flotte, lebenswahre
Auffassung des Gegenständlichen und durch die Reizmittel des Colorits, welche
Correggio, Tizian, Rembrandt und Rubens für alle Zeiten der Malerei erobert
haben, auszugleichen. Die Hinterlassenschaften eines Cornelius, eines Overbeck,
eines Schmorr und anderer mit ihnen gleichstrebender Meister haben uns zwar
gezeigt, daß diese Künstler die Natur nicht minder gründlich kannten und ebenso
hoch achteten wie die modernen Realisten. Aber es verstieß wider ihre künst¬
lerische Ueberzeugung, die Natur so wiederzugeben, wie sie sich ihnen, und wäre
es auch in ihren vollkommensten Schöpfungen, präsentirte. Ueber der Natur
stand ihnen der Stil. Sie nahmen nichts in ihre Gemälde hinüber, was nicht
durch dieses Medium geläutert worden wäre. Die Kunst war ihnen nicht bloß
die Correctur, sondern geradezu die Opposition gegen die Wirklichkeit, das Höhere
über dem Niederen, das Ewige über dem Endlichen.

Diese stark idealistische Richtung hat eine große Zahl der besten und edel¬
sten Kunstwerke geschaffen. Aber ihre Einseitigkeit rief eine ebenso schroffe
Contrerevolution hervor, die um so leichteres Spiel hatte, als das weit über
menschliches hinaus gesteigerte Empfinden, welches die meisten der Nazarener
und Romantiker beseelte, bei der großen Masse des deutschen Volkes kein Echo
fand. Und daß sie selbst auf das Verständniß der Gebildeten nicht überall
zählen durfte, beweist eine charakteristische Stelle aus einem Briefe Alexander
von Humboldts an den französischen Maler Gerard (vom Oetober 1826): "Was
soll ich Ihnen über eine Gemäldeausstellung schreiben, die ein Gemisch von
Talent und langweiliger Dogmatik darbietet? Die Schule der Nazarener, so
bezeichnet man hier die Anhänger des neumodischen byzantinisch-germanischen
Stils, gewinnt die Oberhand. Nicht die Technik und das Wissen sind es, die
ihnen allen fehlen, sondern der Ausdruck des Lebens, die Freiheit in der Be¬
nutzung ihres Talents. Es ist gewiß sehr auffallend, daß eine Nation, die sich
in der Literatur so frei bewegt, sich in der Kunst durch ihre falschen Systeme
und Prinzipien selbst Fesseln anlegt." Vor Cornelius führte der zweideutige
Schmeichler freilich eine andere Sprache.

Die belgischen Bilder waren es, welche die Contrerevolution beschleunigten.
In München brachten sie das Talent Karl Pilotys zur Blüthe und zur Ent-


erweckt, auferzogen und gekräftigt, und wie die moderne Geschichtschreibung und
-sorschung ein Kind der Romantik ist, so verdankt auch die Historienmalerei
ihren Aufschwung diesem Hinabtauchen in die Vergangenheit, dieser theils wahren,
theils falschen Begeisterung für die Helden und sonstigen hervorragenden Per¬
sönlichkeiten längst entschwundener Zeiten. Fehlte so dieser Malerei wenn auch
uicht der nationale Inhalt, doch der Reiz des Unmittelbaren und dem entspre¬
chend auch die frische, natürliche Wirkung auf die Meuge, so suchte sie nun
auf der anderen Seite diesen Mangel auch nicht durch eine flotte, lebenswahre
Auffassung des Gegenständlichen und durch die Reizmittel des Colorits, welche
Correggio, Tizian, Rembrandt und Rubens für alle Zeiten der Malerei erobert
haben, auszugleichen. Die Hinterlassenschaften eines Cornelius, eines Overbeck,
eines Schmorr und anderer mit ihnen gleichstrebender Meister haben uns zwar
gezeigt, daß diese Künstler die Natur nicht minder gründlich kannten und ebenso
hoch achteten wie die modernen Realisten. Aber es verstieß wider ihre künst¬
lerische Ueberzeugung, die Natur so wiederzugeben, wie sie sich ihnen, und wäre
es auch in ihren vollkommensten Schöpfungen, präsentirte. Ueber der Natur
stand ihnen der Stil. Sie nahmen nichts in ihre Gemälde hinüber, was nicht
durch dieses Medium geläutert worden wäre. Die Kunst war ihnen nicht bloß
die Correctur, sondern geradezu die Opposition gegen die Wirklichkeit, das Höhere
über dem Niederen, das Ewige über dem Endlichen.

Diese stark idealistische Richtung hat eine große Zahl der besten und edel¬
sten Kunstwerke geschaffen. Aber ihre Einseitigkeit rief eine ebenso schroffe
Contrerevolution hervor, die um so leichteres Spiel hatte, als das weit über
menschliches hinaus gesteigerte Empfinden, welches die meisten der Nazarener
und Romantiker beseelte, bei der großen Masse des deutschen Volkes kein Echo
fand. Und daß sie selbst auf das Verständniß der Gebildeten nicht überall
zählen durfte, beweist eine charakteristische Stelle aus einem Briefe Alexander
von Humboldts an den französischen Maler Gerard (vom Oetober 1826): „Was
soll ich Ihnen über eine Gemäldeausstellung schreiben, die ein Gemisch von
Talent und langweiliger Dogmatik darbietet? Die Schule der Nazarener, so
bezeichnet man hier die Anhänger des neumodischen byzantinisch-germanischen
Stils, gewinnt die Oberhand. Nicht die Technik und das Wissen sind es, die
ihnen allen fehlen, sondern der Ausdruck des Lebens, die Freiheit in der Be¬
nutzung ihres Talents. Es ist gewiß sehr auffallend, daß eine Nation, die sich
in der Literatur so frei bewegt, sich in der Kunst durch ihre falschen Systeme
und Prinzipien selbst Fesseln anlegt." Vor Cornelius führte der zweideutige
Schmeichler freilich eine andere Sprache.

Die belgischen Bilder waren es, welche die Contrerevolution beschleunigten.
In München brachten sie das Talent Karl Pilotys zur Blüthe und zur Ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/341>, abgerufen am 22.07.2024.