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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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selbst wenn seine Gesinnung es erlaubt hätte. Er sah den Tod kommen, heiter,
zufrieden und bis zur letzten Stunde thätig. Noch im Sommer ging er nach
Partenkirchen, um Heilung zu suchen; als er aber nach München zurückgekehrt
war, erlag er, wie sieben Jahre früher sein Vater, am 27. September 1832
einem Schlagflusse. Noch bis eine Stunde vor seinem Tode arbeitete der Uner¬
müdliche und plauderte dann traulich mit seinen Kindern; als er den tödtlichen
Schlag fühlte, rief er: "Es drückt mir das Herz ab -- lebt wohl, ihr Kinder!"
Fünf seiner Schüler und ein junger Gelehrter trugen ihn hinaus; seinem Sarge
folgten außer dem Geistlichen und einem Bekannten nur feine weinenden Kinder.

So einsam ging der Mann zur letzten Ruhe, der den "Menschheitbund"
in seinen: Herzen trug, bis es brach, und mit einer Liebe, wie nur wenige
Menschen, die je gelebt haben, alle Menschen umfaßte. Seine Schuld war, daß
er in seiner Redlichkeit das Gute für stärker hielt, als es ist, und die Macht
des Bösen unterschätzte; daß er niemals das, was er für recht und gut hielt,
zu thun unterließ, auch wenn er voraussah, daß es ihm schaden würde, und
niemals mit den irdischen Mächten pactirte, auch wo es ihm nützen konnte.
"Ich muß einmal in der Welt leben; so will ich auch mit ihr leben", hatte
einst Lessing gesagt; "ich kenne die Welt, wie sie sein sollte, und es lohnt sich
in der That wenig der Mühe, sie zu finden, wie sie ist", sagte Krause. Jener
hat sich durch seinen Grundsatz wenigstens eine äußerlich erträgliche Existenz
geschaffen, während Krause äußerlich nahezu zu Grunde ging. Aber wie völlig
verschieden auch beide Männer im Uebrigen sind, darin sind sie doch zu ver¬
gleichen, daß sie beide für die Menschheit gelebt haben und beide unter den
Menschen Fremdlinge geblieben sind. Heute sagt einer seiner Schiller, Tiberghien,
Professor der Philosophie an der Universität zu Brüssel, in der Vorrede zur
dritten Auflage seiner Leisnes as I'imrs: "In dem Spiritualismus von Krause
füllen sich alle Lücken, die Methode vervollkommnet sich und die Philosophie
erscheint als ein harmonisches System, welches alles zusammen umfaßt, Gott,
das Universum und die Menschheit, wo alle Dissonanzen verschwinden, wo alles
mit allem zusammenstimmt... Die Schule Krauses hat schmerzliche Verluste
erfahren durch den Tod von Schliephake, H. v. Leonhardi und Ahrens, meinem
Lehrer. Ihre Arbeiten bleiben und werden Früchte tragen. Bestimmte An¬
zeichen von der Wiederaufnahme der philosophischen Studien in verschiedenen
Ländern gestatten die Vermuthung, daß die Zeit nahe ist, wo die Krausische
Schule ihre Rolle zu spielen haben wird in der Organisation
der geistigen Bewegung. Ich kann, gestützt auf eine Vergleichung
der Systeme, versichern, daß sie allein allen Anforderungen der
Theorie und der Praxis genügt, daß sie allein die Kraft einer
organischen Lehre besitzt." Dann bespricht er die einzelnen Theile der


selbst wenn seine Gesinnung es erlaubt hätte. Er sah den Tod kommen, heiter,
zufrieden und bis zur letzten Stunde thätig. Noch im Sommer ging er nach
Partenkirchen, um Heilung zu suchen; als er aber nach München zurückgekehrt
war, erlag er, wie sieben Jahre früher sein Vater, am 27. September 1832
einem Schlagflusse. Noch bis eine Stunde vor seinem Tode arbeitete der Uner¬
müdliche und plauderte dann traulich mit seinen Kindern; als er den tödtlichen
Schlag fühlte, rief er: „Es drückt mir das Herz ab — lebt wohl, ihr Kinder!"
Fünf seiner Schüler und ein junger Gelehrter trugen ihn hinaus; seinem Sarge
folgten außer dem Geistlichen und einem Bekannten nur feine weinenden Kinder.

So einsam ging der Mann zur letzten Ruhe, der den „Menschheitbund"
in seinen: Herzen trug, bis es brach, und mit einer Liebe, wie nur wenige
Menschen, die je gelebt haben, alle Menschen umfaßte. Seine Schuld war, daß
er in seiner Redlichkeit das Gute für stärker hielt, als es ist, und die Macht
des Bösen unterschätzte; daß er niemals das, was er für recht und gut hielt,
zu thun unterließ, auch wenn er voraussah, daß es ihm schaden würde, und
niemals mit den irdischen Mächten pactirte, auch wo es ihm nützen konnte.
„Ich muß einmal in der Welt leben; so will ich auch mit ihr leben", hatte
einst Lessing gesagt; „ich kenne die Welt, wie sie sein sollte, und es lohnt sich
in der That wenig der Mühe, sie zu finden, wie sie ist", sagte Krause. Jener
hat sich durch seinen Grundsatz wenigstens eine äußerlich erträgliche Existenz
geschaffen, während Krause äußerlich nahezu zu Grunde ging. Aber wie völlig
verschieden auch beide Männer im Uebrigen sind, darin sind sie doch zu ver¬
gleichen, daß sie beide für die Menschheit gelebt haben und beide unter den
Menschen Fremdlinge geblieben sind. Heute sagt einer seiner Schiller, Tiberghien,
Professor der Philosophie an der Universität zu Brüssel, in der Vorrede zur
dritten Auflage seiner Leisnes as I'imrs: „In dem Spiritualismus von Krause
füllen sich alle Lücken, die Methode vervollkommnet sich und die Philosophie
erscheint als ein harmonisches System, welches alles zusammen umfaßt, Gott,
das Universum und die Menschheit, wo alle Dissonanzen verschwinden, wo alles
mit allem zusammenstimmt... Die Schule Krauses hat schmerzliche Verluste
erfahren durch den Tod von Schliephake, H. v. Leonhardi und Ahrens, meinem
Lehrer. Ihre Arbeiten bleiben und werden Früchte tragen. Bestimmte An¬
zeichen von der Wiederaufnahme der philosophischen Studien in verschiedenen
Ländern gestatten die Vermuthung, daß die Zeit nahe ist, wo die Krausische
Schule ihre Rolle zu spielen haben wird in der Organisation
der geistigen Bewegung. Ich kann, gestützt auf eine Vergleichung
der Systeme, versichern, daß sie allein allen Anforderungen der
Theorie und der Praxis genügt, daß sie allein die Kraft einer
organischen Lehre besitzt." Dann bespricht er die einzelnen Theile der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/338>, abgerufen am 23.07.2024.