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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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gewärtig sein werde, wogegen ihm eine Reiseunterstützung und das Zeugniß
einer freiwilligen Abreise zugesagt bleibe. Vergebens betonte Krause, daß er
kein unbedingtes Versprechen gegeben und sich seine Zuständigkeit, im Falle ihm
die Abreise zu Pfingsten nicht möglich werden sollte, vorbehalten müsse. Er
wurde nochmals aufgefordert, sich der im Namen der Deputation gemachten
Eröffnung unbedingt zu unterwerfen, und so erklärte er denn nach zweitägiger
Bedenkzeit am 13. April 1831: Er werde dem ihm am 11. d. M. eröffneten
Beschlusse der Universitätsgerichts-Deputation, als einem Beschlusse seiner
Obrigkeit, gehorchen und demgemäß mit seiner Frau und seinen Kindern zu
Pfingsten dieses Jahres Göttingen verlassen, in Erwartung, daß die in dem
eröffneten Beschlusse ihm zugestandenen zwei Punkte in Erfüllung gehen würden.
Dies wurde ihm zugesichert, und so war er -- man möchte sagen, mit seiner
eigenen Zustimmung -- aus Göttingen ausgewiesen! Wir wissen nicht, ob seinen
Richtern nachträglich über diesen Act unerhörter Brutalität die Schamröthe ins
Gesicht getreten ist; wir glauben es aber nicht. Wer sich zu dergleichen hergab,
war gegen Regungen des Gewissens jedenfalls fest.

Krause war gerade fünfzig Jahre, als er, körperlich und geistig gebrochen,
seinen Wanderstab aus Göttingen trug, um vor der letzten Ruhe noch eine
kurze Rast in München zu finden. Er gedachte dort König Ludwig sich vor¬
zustellen und ihn um die Erlaubniß zu bitten, als Honorarprofessor an der
Universität Vorlesungen halten zu dürfen. Aber es war, als sollte er alles
Bittere, was es für ihn auf der Erde noch geben konnte, bis auf die letzte
Neige auskosten: Schelling wußte das Vorhaben Krauses zu hintertreiben und
bewies damit bei all seiner Genialität und Gelehrsamkeit doch eine recht ordinäre
Gesinnung. Und als wären der Leiden noch nicht genug, so erhielt Krause
auch in München am 17. März 1832 von der Polizeidirection ein Ausweisungs-
decret zugestellt. Da wandte er sich an den Minister, den Fürsten von Wallerstein,
schilderte seine Grundsätze, sein Lebensziel, seine Schicksale; er bat, man möge
die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen klar und bestimmt vorbringen und
ihm erlauben, sich zu vertheidigen; gegen Verleumdung und Verdächtigungen sei
er wehrlos. Die offene, bescheidene Sprache, die ergreifenden Schicksale des
Mannes rührten den Minister und den König, und beide wollten die Geschichte
nicht um ein Beispiel herzloser Verfolgungssucht vermehren. Auch war Schelling
glücklicherweise nicht der einzige Philosoph in München, und Franz v. Baader
verbürgte sich auf der Stelle mit seinem Ehrenworte für Krause; das Answei-
stmgsdeeret wurde zurückgenommen, und Krause durfte bleiben.

Leider hatten aber auch die Feinde seine Kräfte überschätzt, Krause wollte
ja Niemand, er konnte aber auch Niemand mehr wehe thun; siechen Leibes,
gebrochenen Geistes, dachte er an alles eher, als seinen Feinden feind zu sein,


Grenzboten I. 1L80. 42

gewärtig sein werde, wogegen ihm eine Reiseunterstützung und das Zeugniß
einer freiwilligen Abreise zugesagt bleibe. Vergebens betonte Krause, daß er
kein unbedingtes Versprechen gegeben und sich seine Zuständigkeit, im Falle ihm
die Abreise zu Pfingsten nicht möglich werden sollte, vorbehalten müsse. Er
wurde nochmals aufgefordert, sich der im Namen der Deputation gemachten
Eröffnung unbedingt zu unterwerfen, und so erklärte er denn nach zweitägiger
Bedenkzeit am 13. April 1831: Er werde dem ihm am 11. d. M. eröffneten
Beschlusse der Universitätsgerichts-Deputation, als einem Beschlusse seiner
Obrigkeit, gehorchen und demgemäß mit seiner Frau und seinen Kindern zu
Pfingsten dieses Jahres Göttingen verlassen, in Erwartung, daß die in dem
eröffneten Beschlusse ihm zugestandenen zwei Punkte in Erfüllung gehen würden.
Dies wurde ihm zugesichert, und so war er — man möchte sagen, mit seiner
eigenen Zustimmung — aus Göttingen ausgewiesen! Wir wissen nicht, ob seinen
Richtern nachträglich über diesen Act unerhörter Brutalität die Schamröthe ins
Gesicht getreten ist; wir glauben es aber nicht. Wer sich zu dergleichen hergab,
war gegen Regungen des Gewissens jedenfalls fest.

Krause war gerade fünfzig Jahre, als er, körperlich und geistig gebrochen,
seinen Wanderstab aus Göttingen trug, um vor der letzten Ruhe noch eine
kurze Rast in München zu finden. Er gedachte dort König Ludwig sich vor¬
zustellen und ihn um die Erlaubniß zu bitten, als Honorarprofessor an der
Universität Vorlesungen halten zu dürfen. Aber es war, als sollte er alles
Bittere, was es für ihn auf der Erde noch geben konnte, bis auf die letzte
Neige auskosten: Schelling wußte das Vorhaben Krauses zu hintertreiben und
bewies damit bei all seiner Genialität und Gelehrsamkeit doch eine recht ordinäre
Gesinnung. Und als wären der Leiden noch nicht genug, so erhielt Krause
auch in München am 17. März 1832 von der Polizeidirection ein Ausweisungs-
decret zugestellt. Da wandte er sich an den Minister, den Fürsten von Wallerstein,
schilderte seine Grundsätze, sein Lebensziel, seine Schicksale; er bat, man möge
die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen klar und bestimmt vorbringen und
ihm erlauben, sich zu vertheidigen; gegen Verleumdung und Verdächtigungen sei
er wehrlos. Die offene, bescheidene Sprache, die ergreifenden Schicksale des
Mannes rührten den Minister und den König, und beide wollten die Geschichte
nicht um ein Beispiel herzloser Verfolgungssucht vermehren. Auch war Schelling
glücklicherweise nicht der einzige Philosoph in München, und Franz v. Baader
verbürgte sich auf der Stelle mit seinem Ehrenworte für Krause; das Answei-
stmgsdeeret wurde zurückgenommen, und Krause durfte bleiben.

Leider hatten aber auch die Feinde seine Kräfte überschätzt, Krause wollte
ja Niemand, er konnte aber auch Niemand mehr wehe thun; siechen Leibes,
gebrochenen Geistes, dachte er an alles eher, als seinen Feinden feind zu sein,


Grenzboten I. 1L80. 42
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[0337] gewärtig sein werde, wogegen ihm eine Reiseunterstützung und das Zeugniß einer freiwilligen Abreise zugesagt bleibe. Vergebens betonte Krause, daß er kein unbedingtes Versprechen gegeben und sich seine Zuständigkeit, im Falle ihm die Abreise zu Pfingsten nicht möglich werden sollte, vorbehalten müsse. Er wurde nochmals aufgefordert, sich der im Namen der Deputation gemachten Eröffnung unbedingt zu unterwerfen, und so erklärte er denn nach zweitägiger Bedenkzeit am 13. April 1831: Er werde dem ihm am 11. d. M. eröffneten Beschlusse der Universitätsgerichts-Deputation, als einem Beschlusse seiner Obrigkeit, gehorchen und demgemäß mit seiner Frau und seinen Kindern zu Pfingsten dieses Jahres Göttingen verlassen, in Erwartung, daß die in dem eröffneten Beschlusse ihm zugestandenen zwei Punkte in Erfüllung gehen würden. Dies wurde ihm zugesichert, und so war er — man möchte sagen, mit seiner eigenen Zustimmung — aus Göttingen ausgewiesen! Wir wissen nicht, ob seinen Richtern nachträglich über diesen Act unerhörter Brutalität die Schamröthe ins Gesicht getreten ist; wir glauben es aber nicht. Wer sich zu dergleichen hergab, war gegen Regungen des Gewissens jedenfalls fest. Krause war gerade fünfzig Jahre, als er, körperlich und geistig gebrochen, seinen Wanderstab aus Göttingen trug, um vor der letzten Ruhe noch eine kurze Rast in München zu finden. Er gedachte dort König Ludwig sich vor¬ zustellen und ihn um die Erlaubniß zu bitten, als Honorarprofessor an der Universität Vorlesungen halten zu dürfen. Aber es war, als sollte er alles Bittere, was es für ihn auf der Erde noch geben konnte, bis auf die letzte Neige auskosten: Schelling wußte das Vorhaben Krauses zu hintertreiben und bewies damit bei all seiner Genialität und Gelehrsamkeit doch eine recht ordinäre Gesinnung. Und als wären der Leiden noch nicht genug, so erhielt Krause auch in München am 17. März 1832 von der Polizeidirection ein Ausweisungs- decret zugestellt. Da wandte er sich an den Minister, den Fürsten von Wallerstein, schilderte seine Grundsätze, sein Lebensziel, seine Schicksale; er bat, man möge die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen klar und bestimmt vorbringen und ihm erlauben, sich zu vertheidigen; gegen Verleumdung und Verdächtigungen sei er wehrlos. Die offene, bescheidene Sprache, die ergreifenden Schicksale des Mannes rührten den Minister und den König, und beide wollten die Geschichte nicht um ein Beispiel herzloser Verfolgungssucht vermehren. Auch war Schelling glücklicherweise nicht der einzige Philosoph in München, und Franz v. Baader verbürgte sich auf der Stelle mit seinem Ehrenworte für Krause; das Answei- stmgsdeeret wurde zurückgenommen, und Krause durfte bleiben. Leider hatten aber auch die Feinde seine Kräfte überschätzt, Krause wollte ja Niemand, er konnte aber auch Niemand mehr wehe thun; siechen Leibes, gebrochenen Geistes, dachte er an alles eher, als seinen Feinden feind zu sein, Grenzboten I. 1L80. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/337>, abgerufen am 23.07.2024.