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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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näheren, vertrauteren Verhältnisse, so namentlich bei den Indogermanen, z. B.
das Pferd bei Persern, Deutschen, Preußen, wegen seiner Vorausahnung künf¬
tiger Ereignisse; Vögel, Hühner und Gänse erfreuten sich bekanntlich bei den
Römern wegen der Zeichendeuterei einer vorzüglichen Versorgung; et) endlich
die Thiere werden nicht mehr unmittelbar verehrt, sondern die Gestalt derselben
symbolisirt das Rascheln göttlicher Kräfte." Natürlich stehen bei den Natur¬
völkern gerade diejenigen sinnlichen Kräfte und Triebe in besonderer Schätzung, in
welchen die Thiere dem Menschen überlegen sind.

Die Verehrung von Menschen endlich ist insofern naturwüchsig, als sie den
Abgeschiedenen, der Sichtbarkeit Entrückten, dann aber doch eigentlich nicht den
Menschen als solchen gilt. Aber auch sie werden mehr als Schutz- oder Plage¬
geister untergeordneter Art, nicht als eigentliche Götter betrachtet. Eine spätere,
tiefe Entartung ist es, wenn lebende Menschen, Priester oder Fürsten, z. B.
römische Kaiser, sich göttliche Verehrung erweisen ließen. Damit ist zugleich die
nach Euhemeros benannte Religionstheorie, die Götter seien von Haus aus ein¬
fach vergrößerte Menschen, abgewiesen.

Aus dieser reichen Fülle von Gegenständen der religiösen Verehrung haben
nun die verschiedenen Völker je nach ihrer individuellen Anlage und Entwick¬
lung zu wählen gehabt, und auch an den gemeinsamen Gegenständen der Ver¬
ehrung tritt sür den einen dieser, für den andern jener Zug besonders in den
Vordergrund. Obgleich der Lichtglanz und die leuchtenden Körper sowie die
zeugende Kraft des Himmels überall verehrt wird, so liegt doch für die Arier
auf jenem, für die Aegypter, Phönicier und Syrer auf dieser der Nachdruck.
Sabiern, Chaldäern und Arabern imponirte vor allem die Regelmäßigkeit der
Himmelserscheinungen. Während ferner bei den verstandesnüchternen Chinesen
der Ahneneult so ziemlich als der einzige Inhalt der Religion übrig geblieben
ist, hat die lebendige Phantasie der Inder die ganze Welt mit Göttern bevölkert,
die freilich später von der Speculation in einem rückhaltlosen Pantheismus auf¬
gehoben wurden. In anderer Weise hielten die Germanen gleichsam über ihre
reichhaltige Götterwelt Gericht, indem sie dieselbe in der Götterdämmerung unter¬
gehen ließen, auf welche jedoch eine neue Welt mit neuen Göttern folgt -- eine
ahnungsvolle Darstellung der Wahrheit, daß die Religion selbst nicht mit den
unvollkommenen Vorstellungen eines Volkes und Zeitalters über dieselbe unter¬
geht. In der griechischen Religion tritt die Naturbedeutung der Götter schon
sehr hinter ihre Functionen auf den geistigen Gebieten zurück. In der hebräi¬
schen aber wird die Gottheit überhaupt von der materiellen Welt bestimmt
unterschieden und namentlich in ihrer moralischen Beziehung zum Menschen erkannt.

(Schluß folgt.)




Grenzboten I. 1880.!!0

näheren, vertrauteren Verhältnisse, so namentlich bei den Indogermanen, z. B.
das Pferd bei Persern, Deutschen, Preußen, wegen seiner Vorausahnung künf¬
tiger Ereignisse; Vögel, Hühner und Gänse erfreuten sich bekanntlich bei den
Römern wegen der Zeichendeuterei einer vorzüglichen Versorgung; et) endlich
die Thiere werden nicht mehr unmittelbar verehrt, sondern die Gestalt derselben
symbolisirt das Rascheln göttlicher Kräfte." Natürlich stehen bei den Natur¬
völkern gerade diejenigen sinnlichen Kräfte und Triebe in besonderer Schätzung, in
welchen die Thiere dem Menschen überlegen sind.

Die Verehrung von Menschen endlich ist insofern naturwüchsig, als sie den
Abgeschiedenen, der Sichtbarkeit Entrückten, dann aber doch eigentlich nicht den
Menschen als solchen gilt. Aber auch sie werden mehr als Schutz- oder Plage¬
geister untergeordneter Art, nicht als eigentliche Götter betrachtet. Eine spätere,
tiefe Entartung ist es, wenn lebende Menschen, Priester oder Fürsten, z. B.
römische Kaiser, sich göttliche Verehrung erweisen ließen. Damit ist zugleich die
nach Euhemeros benannte Religionstheorie, die Götter seien von Haus aus ein¬
fach vergrößerte Menschen, abgewiesen.

Aus dieser reichen Fülle von Gegenständen der religiösen Verehrung haben
nun die verschiedenen Völker je nach ihrer individuellen Anlage und Entwick¬
lung zu wählen gehabt, und auch an den gemeinsamen Gegenständen der Ver¬
ehrung tritt sür den einen dieser, für den andern jener Zug besonders in den
Vordergrund. Obgleich der Lichtglanz und die leuchtenden Körper sowie die
zeugende Kraft des Himmels überall verehrt wird, so liegt doch für die Arier
auf jenem, für die Aegypter, Phönicier und Syrer auf dieser der Nachdruck.
Sabiern, Chaldäern und Arabern imponirte vor allem die Regelmäßigkeit der
Himmelserscheinungen. Während ferner bei den verstandesnüchternen Chinesen
der Ahneneult so ziemlich als der einzige Inhalt der Religion übrig geblieben
ist, hat die lebendige Phantasie der Inder die ganze Welt mit Göttern bevölkert,
die freilich später von der Speculation in einem rückhaltlosen Pantheismus auf¬
gehoben wurden. In anderer Weise hielten die Germanen gleichsam über ihre
reichhaltige Götterwelt Gericht, indem sie dieselbe in der Götterdämmerung unter¬
gehen ließen, auf welche jedoch eine neue Welt mit neuen Göttern folgt — eine
ahnungsvolle Darstellung der Wahrheit, daß die Religion selbst nicht mit den
unvollkommenen Vorstellungen eines Volkes und Zeitalters über dieselbe unter¬
geht. In der griechischen Religion tritt die Naturbedeutung der Götter schon
sehr hinter ihre Functionen auf den geistigen Gebieten zurück. In der hebräi¬
schen aber wird die Gottheit überhaupt von der materiellen Welt bestimmt
unterschieden und namentlich in ihrer moralischen Beziehung zum Menschen erkannt.

(Schluß folgt.)




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[0241] näheren, vertrauteren Verhältnisse, so namentlich bei den Indogermanen, z. B. das Pferd bei Persern, Deutschen, Preußen, wegen seiner Vorausahnung künf¬ tiger Ereignisse; Vögel, Hühner und Gänse erfreuten sich bekanntlich bei den Römern wegen der Zeichendeuterei einer vorzüglichen Versorgung; et) endlich die Thiere werden nicht mehr unmittelbar verehrt, sondern die Gestalt derselben symbolisirt das Rascheln göttlicher Kräfte." Natürlich stehen bei den Natur¬ völkern gerade diejenigen sinnlichen Kräfte und Triebe in besonderer Schätzung, in welchen die Thiere dem Menschen überlegen sind. Die Verehrung von Menschen endlich ist insofern naturwüchsig, als sie den Abgeschiedenen, der Sichtbarkeit Entrückten, dann aber doch eigentlich nicht den Menschen als solchen gilt. Aber auch sie werden mehr als Schutz- oder Plage¬ geister untergeordneter Art, nicht als eigentliche Götter betrachtet. Eine spätere, tiefe Entartung ist es, wenn lebende Menschen, Priester oder Fürsten, z. B. römische Kaiser, sich göttliche Verehrung erweisen ließen. Damit ist zugleich die nach Euhemeros benannte Religionstheorie, die Götter seien von Haus aus ein¬ fach vergrößerte Menschen, abgewiesen. Aus dieser reichen Fülle von Gegenständen der religiösen Verehrung haben nun die verschiedenen Völker je nach ihrer individuellen Anlage und Entwick¬ lung zu wählen gehabt, und auch an den gemeinsamen Gegenständen der Ver¬ ehrung tritt sür den einen dieser, für den andern jener Zug besonders in den Vordergrund. Obgleich der Lichtglanz und die leuchtenden Körper sowie die zeugende Kraft des Himmels überall verehrt wird, so liegt doch für die Arier auf jenem, für die Aegypter, Phönicier und Syrer auf dieser der Nachdruck. Sabiern, Chaldäern und Arabern imponirte vor allem die Regelmäßigkeit der Himmelserscheinungen. Während ferner bei den verstandesnüchternen Chinesen der Ahneneult so ziemlich als der einzige Inhalt der Religion übrig geblieben ist, hat die lebendige Phantasie der Inder die ganze Welt mit Göttern bevölkert, die freilich später von der Speculation in einem rückhaltlosen Pantheismus auf¬ gehoben wurden. In anderer Weise hielten die Germanen gleichsam über ihre reichhaltige Götterwelt Gericht, indem sie dieselbe in der Götterdämmerung unter¬ gehen ließen, auf welche jedoch eine neue Welt mit neuen Göttern folgt — eine ahnungsvolle Darstellung der Wahrheit, daß die Religion selbst nicht mit den unvollkommenen Vorstellungen eines Volkes und Zeitalters über dieselbe unter¬ geht. In der griechischen Religion tritt die Naturbedeutung der Götter schon sehr hinter ihre Functionen auf den geistigen Gebieten zurück. In der hebräi¬ schen aber wird die Gottheit überhaupt von der materiellen Welt bestimmt unterschieden und namentlich in ihrer moralischen Beziehung zum Menschen erkannt. (Schluß folgt.) Grenzboten I. 1880.!!0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/241>, abgerufen am 23.07.2024.