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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Pfleiderer in seiner Religionsphilosophie (S. 319), "ist von Happel so gründ¬
lich und Kar (S. 135--140) ausgeführt, daß die Frage damit als geschlossen
betrachtet werden darf." Der Fetisch ist nach ihn: ein "Sachgut" et. h. ein an
sich lebloser Besitz), "mit welchem höhere, himmlische, übernatürliche Kräfte durch
Zauber in Verbindung gebracht worden sind". Unter diesen Gesichtspunkt stellt
Happel mit Recht auch die Reliquien, sowie er mit den Götzen die Heiligen¬
bilder in Parallele stellt.

In jener Definition des Begriffes Fetisch sind nun zwei sehr wichtige An¬
schauungen schon mit enthalten: einmal die bestimmte Unterscheidung der Götter
selbst von den Fetischen, sodaß man dem Neger nicht mehr die plumpe Vor¬
stellung unterschieben darf, sein Holzklotz sei mit Stumpf und Stiel der Gott
selbst, und ferner die Anerkennung, daß der Fetischismus eine in allen Reli¬
gionen irgendwie vorkommende Erscheinung, nicht aber, wie so oft behauptet
wird, die Ur-Religion der Menschheit selbst ist. Bestätigt wird diese Auffassung
Happels auch durch Max Müller (in dem oben genannten Aufsatze), welcher doch
noch keinen Bezug auf Happels Werk nimmt. Müller stellt das portugiesische
tsitiyo mit dem lateinischen tketicws zusammen, welches bedeutet: mit der Hand
gemacht; dann: künstlich, bezaubernd oder bezaubert; auch er beschränkt daher
den Begriff auf leblose und greifbare Gegenstünde und fagt gegen die Annahme
der Ursprünglichkeit des Fetischismus: "Jedenfalls ist die Gefahr, metamorphi-
sches Gestein für primäres vulcanisches hinzunehmen, weit größer in der Anthro¬
pologie als in der Geologie."

Im Unterschiede von der Verehrung der Fetische als von Menschen be¬
arbeiteter Sachen erörtert Happel weiter die Stein-, Pflanzen-, Thier- und
Menschenverehrung. Die Steine erinnerten theils als Denksteine an Theo-
phcmien, theils galten sie als vom Himmel gefallen wie der schwarze Stein der
Kaaba, eine Vorstellung, zu welcher die Meteorsteine Anlaß geben. Natürlich
wurden ihnen dann Zauberkräfte zugeschrieben. Noch weit enger ist das Ver¬
hältniß, in welchem die Götter zur Pflanzenwelt stehen; noch unser Gefühl
wird ja angeheimelt durch die Vorstellung: "ein Dryas lebt in jenem Baum",
mit welcher es sogar einem Forscher wie Fechner wiederum heiliger Ernst ist.
Aber auch in den Thieren erblickten die Naturvölker einerseits etwas ihnen
Verwandtes, andrerseits etwas geheimnißvoll Dämonisches. In der späteren
Entwicklung des Thierdienstes lassen sich nach Happel hauptsächlich vier ver¬
schiedene Arten unterscheiden: "s) die Thiere werdeu heilig gehalten, weil die
Völker ihre Abstammung auf die Thiere zurückführen, so namentlich bei den
Indianern und vielen afrikanischen Völkern; b) die Götter und Menschen er¬
scheinen in Thieren, Thiere sind gleichsam die Leiber der Götter (Polynesier,
Aegypter, Indianer); e) gewisse Thiere stehen zu einzelnen Göttern in einem


Pfleiderer in seiner Religionsphilosophie (S. 319), „ist von Happel so gründ¬
lich und Kar (S. 135—140) ausgeführt, daß die Frage damit als geschlossen
betrachtet werden darf." Der Fetisch ist nach ihn: ein „Sachgut" et. h. ein an
sich lebloser Besitz), „mit welchem höhere, himmlische, übernatürliche Kräfte durch
Zauber in Verbindung gebracht worden sind". Unter diesen Gesichtspunkt stellt
Happel mit Recht auch die Reliquien, sowie er mit den Götzen die Heiligen¬
bilder in Parallele stellt.

In jener Definition des Begriffes Fetisch sind nun zwei sehr wichtige An¬
schauungen schon mit enthalten: einmal die bestimmte Unterscheidung der Götter
selbst von den Fetischen, sodaß man dem Neger nicht mehr die plumpe Vor¬
stellung unterschieben darf, sein Holzklotz sei mit Stumpf und Stiel der Gott
selbst, und ferner die Anerkennung, daß der Fetischismus eine in allen Reli¬
gionen irgendwie vorkommende Erscheinung, nicht aber, wie so oft behauptet
wird, die Ur-Religion der Menschheit selbst ist. Bestätigt wird diese Auffassung
Happels auch durch Max Müller (in dem oben genannten Aufsatze), welcher doch
noch keinen Bezug auf Happels Werk nimmt. Müller stellt das portugiesische
tsitiyo mit dem lateinischen tketicws zusammen, welches bedeutet: mit der Hand
gemacht; dann: künstlich, bezaubernd oder bezaubert; auch er beschränkt daher
den Begriff auf leblose und greifbare Gegenstünde und fagt gegen die Annahme
der Ursprünglichkeit des Fetischismus: „Jedenfalls ist die Gefahr, metamorphi-
sches Gestein für primäres vulcanisches hinzunehmen, weit größer in der Anthro¬
pologie als in der Geologie."

Im Unterschiede von der Verehrung der Fetische als von Menschen be¬
arbeiteter Sachen erörtert Happel weiter die Stein-, Pflanzen-, Thier- und
Menschenverehrung. Die Steine erinnerten theils als Denksteine an Theo-
phcmien, theils galten sie als vom Himmel gefallen wie der schwarze Stein der
Kaaba, eine Vorstellung, zu welcher die Meteorsteine Anlaß geben. Natürlich
wurden ihnen dann Zauberkräfte zugeschrieben. Noch weit enger ist das Ver¬
hältniß, in welchem die Götter zur Pflanzenwelt stehen; noch unser Gefühl
wird ja angeheimelt durch die Vorstellung: „ein Dryas lebt in jenem Baum",
mit welcher es sogar einem Forscher wie Fechner wiederum heiliger Ernst ist.
Aber auch in den Thieren erblickten die Naturvölker einerseits etwas ihnen
Verwandtes, andrerseits etwas geheimnißvoll Dämonisches. In der späteren
Entwicklung des Thierdienstes lassen sich nach Happel hauptsächlich vier ver¬
schiedene Arten unterscheiden: „s) die Thiere werdeu heilig gehalten, weil die
Völker ihre Abstammung auf die Thiere zurückführen, so namentlich bei den
Indianern und vielen afrikanischen Völkern; b) die Götter und Menschen er¬
scheinen in Thieren, Thiere sind gleichsam die Leiber der Götter (Polynesier,
Aegypter, Indianer); e) gewisse Thiere stehen zu einzelnen Göttern in einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/240>, abgerufen am 23.07.2024.