Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Materielle und ihrer Erstarrung in demselben eng verbunden. Daher begreift
sich sehr wohl das israelitische Verbot der Abbildung Gottes. "Nachdem die
Götter einmal eine so plastische Gestalt erlangt hatten/' wie besonders bei den
Hellenen, "wäre der hebräische Monotheismus unmöglich gewesen; nur weil
Israel zu der Zeit, als es seinen Monotheismus erhielt, noch auf dem Stand¬
punkte der Naturvölker sich befand, konnte das Gottesbewußtsein so kräftigen
Ausdruck gewinnen, daß vor dem obersten Gott die nur ganz blaß vorgestellten
übrigen Geister zu abstracten Engelgestalten herabsanken."

Schon oben sahen wir, wie aus der bunten Vielheit der nuMna sich ein¬
zelne hervorheben, die eigentlich erst den Namen Götter verdienen. "Nicht
wenige Gründe sprechen dafür, daß man die eigentlichen Götter nur in den
Himmelserscheinungen gesehen und den Erscheinungen auf der Erde nnr insofern
Verehrung beilegte, als sie mit dem Himmel in irgend welchem näheren Zu¬
sammenhang zu stehen schienen. Dafür scheint schon der Umstand zu sprechen,
daß in allen Welttheilen, unter den Natur-, wie unter den Culturvölkern, die
mächtigsten und höchsten Götter den Himmel einnehmen." Dazu wirkten mehrere
Eigenschaften des Himmels naturgemäß zusammen: seine unnahbare Erhaben¬
heit, seine leuchtende Klarheit und Schönheit, sein mannigfacher, entscheidender
Einfluß auf Wohl und Wehe der Menschen.

In der weiteren Schilderung Happels, nach welcher die Erde jenen Him¬
melsmächten gegenüber "doch immer die empfangende blieb", scheint uns nicht alles
ganz klar. Es müßte bestimmter hervortreten, daß wir es an dieser Stelle gleich¬
sam mit einer zweiten Schicht der religiösen Entwicklung zu thun haben, sonst
kommen wir wieder mit dem so einleuchtenden Satze von der ursprünglichen
religiösen Richtung auf alle Naturgegenstände in Conflict. Vielmehr ist zuerst
eine chaotische Fülle von nunüug. vorhanden, woraus sich bald die Himmels¬
götter zu einer höheren Stellung emporarbeiten; dann fallen wiederum verklä¬
rende Strahlen von diesen erhöhten Himmelsmächten auf die mehr ins Dunkel
zurückgesunkenen irdischen Gegenstände. Wir glauben, mit dieser Aufstellung
auch bei Happel selbst auf keinen Widerstand zu stoßen. Nun erstreckt sich aber
die religiöse Verehrung nicht bloß auf die Götter selbst, sondern, wie schon an¬
gedeutet, auch auf die Gegenstände, mit denen sie in besonders enger Verbin¬
dung gedacht werden. Happel bezeichnet dieselben als "Sacramente", d. h. Sachen,
welche gleichsam als elektrische Conductoren religiöse Kräfte in die Welt leiten.
Hierher gehören zunächst die Götzenbilder, bei denen es für ihre Zauberkraft
durchaus nicht auf künstlerische Gestaltung ankommt. War doch z. B. die Here
von Thespiä in ältester Zeit ein Baumast, die in Samos ein Brett, die zu
Argos eine hohe Säule. Damit ist denn auch der Uebergang zu einer richtigen
Auffassung der Fetische und des Fetischismus gebahnt. "Dieser Punkt," sagt


Materielle und ihrer Erstarrung in demselben eng verbunden. Daher begreift
sich sehr wohl das israelitische Verbot der Abbildung Gottes. „Nachdem die
Götter einmal eine so plastische Gestalt erlangt hatten/' wie besonders bei den
Hellenen, „wäre der hebräische Monotheismus unmöglich gewesen; nur weil
Israel zu der Zeit, als es seinen Monotheismus erhielt, noch auf dem Stand¬
punkte der Naturvölker sich befand, konnte das Gottesbewußtsein so kräftigen
Ausdruck gewinnen, daß vor dem obersten Gott die nur ganz blaß vorgestellten
übrigen Geister zu abstracten Engelgestalten herabsanken."

Schon oben sahen wir, wie aus der bunten Vielheit der nuMna sich ein¬
zelne hervorheben, die eigentlich erst den Namen Götter verdienen. „Nicht
wenige Gründe sprechen dafür, daß man die eigentlichen Götter nur in den
Himmelserscheinungen gesehen und den Erscheinungen auf der Erde nnr insofern
Verehrung beilegte, als sie mit dem Himmel in irgend welchem näheren Zu¬
sammenhang zu stehen schienen. Dafür scheint schon der Umstand zu sprechen,
daß in allen Welttheilen, unter den Natur-, wie unter den Culturvölkern, die
mächtigsten und höchsten Götter den Himmel einnehmen." Dazu wirkten mehrere
Eigenschaften des Himmels naturgemäß zusammen: seine unnahbare Erhaben¬
heit, seine leuchtende Klarheit und Schönheit, sein mannigfacher, entscheidender
Einfluß auf Wohl und Wehe der Menschen.

In der weiteren Schilderung Happels, nach welcher die Erde jenen Him¬
melsmächten gegenüber „doch immer die empfangende blieb", scheint uns nicht alles
ganz klar. Es müßte bestimmter hervortreten, daß wir es an dieser Stelle gleich¬
sam mit einer zweiten Schicht der religiösen Entwicklung zu thun haben, sonst
kommen wir wieder mit dem so einleuchtenden Satze von der ursprünglichen
religiösen Richtung auf alle Naturgegenstände in Conflict. Vielmehr ist zuerst
eine chaotische Fülle von nunüug. vorhanden, woraus sich bald die Himmels¬
götter zu einer höheren Stellung emporarbeiten; dann fallen wiederum verklä¬
rende Strahlen von diesen erhöhten Himmelsmächten auf die mehr ins Dunkel
zurückgesunkenen irdischen Gegenstände. Wir glauben, mit dieser Aufstellung
auch bei Happel selbst auf keinen Widerstand zu stoßen. Nun erstreckt sich aber
die religiöse Verehrung nicht bloß auf die Götter selbst, sondern, wie schon an¬
gedeutet, auch auf die Gegenstände, mit denen sie in besonders enger Verbin¬
dung gedacht werden. Happel bezeichnet dieselben als „Sacramente", d. h. Sachen,
welche gleichsam als elektrische Conductoren religiöse Kräfte in die Welt leiten.
Hierher gehören zunächst die Götzenbilder, bei denen es für ihre Zauberkraft
durchaus nicht auf künstlerische Gestaltung ankommt. War doch z. B. die Here
von Thespiä in ältester Zeit ein Baumast, die in Samos ein Brett, die zu
Argos eine hohe Säule. Damit ist denn auch der Uebergang zu einer richtigen
Auffassung der Fetische und des Fetischismus gebahnt. „Dieser Punkt," sagt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146168"/>
          <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> Materielle und ihrer Erstarrung in demselben eng verbunden. Daher begreift<lb/>
sich sehr wohl das israelitische Verbot der Abbildung Gottes. &#x201E;Nachdem die<lb/>
Götter einmal eine so plastische Gestalt erlangt hatten/' wie besonders bei den<lb/>
Hellenen, &#x201E;wäre der hebräische Monotheismus unmöglich gewesen; nur weil<lb/>
Israel zu der Zeit, als es seinen Monotheismus erhielt, noch auf dem Stand¬<lb/>
punkte der Naturvölker sich befand, konnte das Gottesbewußtsein so kräftigen<lb/>
Ausdruck gewinnen, daß vor dem obersten Gott die nur ganz blaß vorgestellten<lb/>
übrigen Geister zu abstracten Engelgestalten herabsanken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652"> Schon oben sahen wir, wie aus der bunten Vielheit der nuMna sich ein¬<lb/>
zelne hervorheben, die eigentlich erst den Namen Götter verdienen. &#x201E;Nicht<lb/>
wenige Gründe sprechen dafür, daß man die eigentlichen Götter nur in den<lb/>
Himmelserscheinungen gesehen und den Erscheinungen auf der Erde nnr insofern<lb/>
Verehrung beilegte, als sie mit dem Himmel in irgend welchem näheren Zu¬<lb/>
sammenhang zu stehen schienen. Dafür scheint schon der Umstand zu sprechen,<lb/>
daß in allen Welttheilen, unter den Natur-, wie unter den Culturvölkern, die<lb/>
mächtigsten und höchsten Götter den Himmel einnehmen." Dazu wirkten mehrere<lb/>
Eigenschaften des Himmels naturgemäß zusammen: seine unnahbare Erhaben¬<lb/>
heit, seine leuchtende Klarheit und Schönheit, sein mannigfacher, entscheidender<lb/>
Einfluß auf Wohl und Wehe der Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653" next="#ID_654"> In der weiteren Schilderung Happels, nach welcher die Erde jenen Him¬<lb/>
melsmächten gegenüber &#x201E;doch immer die empfangende blieb", scheint uns nicht alles<lb/>
ganz klar. Es müßte bestimmter hervortreten, daß wir es an dieser Stelle gleich¬<lb/>
sam mit einer zweiten Schicht der religiösen Entwicklung zu thun haben, sonst<lb/>
kommen wir wieder mit dem so einleuchtenden Satze von der ursprünglichen<lb/>
religiösen Richtung auf alle Naturgegenstände in Conflict. Vielmehr ist zuerst<lb/>
eine chaotische Fülle von nunüug. vorhanden, woraus sich bald die Himmels¬<lb/>
götter zu einer höheren Stellung emporarbeiten; dann fallen wiederum verklä¬<lb/>
rende Strahlen von diesen erhöhten Himmelsmächten auf die mehr ins Dunkel<lb/>
zurückgesunkenen irdischen Gegenstände. Wir glauben, mit dieser Aufstellung<lb/>
auch bei Happel selbst auf keinen Widerstand zu stoßen. Nun erstreckt sich aber<lb/>
die religiöse Verehrung nicht bloß auf die Götter selbst, sondern, wie schon an¬<lb/>
gedeutet, auch auf die Gegenstände, mit denen sie in besonders enger Verbin¬<lb/>
dung gedacht werden. Happel bezeichnet dieselben als &#x201E;Sacramente", d. h. Sachen,<lb/>
welche gleichsam als elektrische Conductoren religiöse Kräfte in die Welt leiten.<lb/>
Hierher gehören zunächst die Götzenbilder, bei denen es für ihre Zauberkraft<lb/>
durchaus nicht auf künstlerische Gestaltung ankommt. War doch z. B. die Here<lb/>
von Thespiä in ältester Zeit ein Baumast, die in Samos ein Brett, die zu<lb/>
Argos eine hohe Säule. Damit ist denn auch der Uebergang zu einer richtigen<lb/>
Auffassung der Fetische und des Fetischismus gebahnt. &#x201E;Dieser Punkt," sagt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Materielle und ihrer Erstarrung in demselben eng verbunden. Daher begreift sich sehr wohl das israelitische Verbot der Abbildung Gottes. „Nachdem die Götter einmal eine so plastische Gestalt erlangt hatten/' wie besonders bei den Hellenen, „wäre der hebräische Monotheismus unmöglich gewesen; nur weil Israel zu der Zeit, als es seinen Monotheismus erhielt, noch auf dem Stand¬ punkte der Naturvölker sich befand, konnte das Gottesbewußtsein so kräftigen Ausdruck gewinnen, daß vor dem obersten Gott die nur ganz blaß vorgestellten übrigen Geister zu abstracten Engelgestalten herabsanken." Schon oben sahen wir, wie aus der bunten Vielheit der nuMna sich ein¬ zelne hervorheben, die eigentlich erst den Namen Götter verdienen. „Nicht wenige Gründe sprechen dafür, daß man die eigentlichen Götter nur in den Himmelserscheinungen gesehen und den Erscheinungen auf der Erde nnr insofern Verehrung beilegte, als sie mit dem Himmel in irgend welchem näheren Zu¬ sammenhang zu stehen schienen. Dafür scheint schon der Umstand zu sprechen, daß in allen Welttheilen, unter den Natur-, wie unter den Culturvölkern, die mächtigsten und höchsten Götter den Himmel einnehmen." Dazu wirkten mehrere Eigenschaften des Himmels naturgemäß zusammen: seine unnahbare Erhaben¬ heit, seine leuchtende Klarheit und Schönheit, sein mannigfacher, entscheidender Einfluß auf Wohl und Wehe der Menschen. In der weiteren Schilderung Happels, nach welcher die Erde jenen Him¬ melsmächten gegenüber „doch immer die empfangende blieb", scheint uns nicht alles ganz klar. Es müßte bestimmter hervortreten, daß wir es an dieser Stelle gleich¬ sam mit einer zweiten Schicht der religiösen Entwicklung zu thun haben, sonst kommen wir wieder mit dem so einleuchtenden Satze von der ursprünglichen religiösen Richtung auf alle Naturgegenstände in Conflict. Vielmehr ist zuerst eine chaotische Fülle von nunüug. vorhanden, woraus sich bald die Himmels¬ götter zu einer höheren Stellung emporarbeiten; dann fallen wiederum verklä¬ rende Strahlen von diesen erhöhten Himmelsmächten auf die mehr ins Dunkel zurückgesunkenen irdischen Gegenstände. Wir glauben, mit dieser Aufstellung auch bei Happel selbst auf keinen Widerstand zu stoßen. Nun erstreckt sich aber die religiöse Verehrung nicht bloß auf die Götter selbst, sondern, wie schon an¬ gedeutet, auch auf die Gegenstände, mit denen sie in besonders enger Verbin¬ dung gedacht werden. Happel bezeichnet dieselben als „Sacramente", d. h. Sachen, welche gleichsam als elektrische Conductoren religiöse Kräfte in die Welt leiten. Hierher gehören zunächst die Götzenbilder, bei denen es für ihre Zauberkraft durchaus nicht auf künstlerische Gestaltung ankommt. War doch z. B. die Here von Thespiä in ältester Zeit ein Baumast, die in Samos ein Brett, die zu Argos eine hohe Säule. Damit ist denn auch der Uebergang zu einer richtigen Auffassung der Fetische und des Fetischismus gebahnt. „Dieser Punkt," sagt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/239>, abgerufen am 23.07.2024.