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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sonders vom Standpunkte der christlichen Religion aus -- und hier kommt der
Jünger Rothes zu Worte -- wird man nicht leugnen können, daß ein Mensch
Religion haben kann, ohne daß dieselbe in besondern ausschließend religiösen
Handlungen sich äußern müsse"; und unsere Kenntniß der Naturvölker ist trotz
aller Fortschritte der Ethnographie doch der Natur der Sache nach noch lange
nicht vollständig und zuverlässig genug. Zu demselben Standpunkte hat sich
neuerdings auch Max Müller bekannt (in seinem Aufsatz über Fetischismus im
Novemberhefte l878 von "Nord und Süd").

Am Schlüsse des ersten Kapitels zieht Happel das praktische Facit aus
demi bisher Entwickelten. Er weist die Verkenner und Verächter der Religion
auf die Unverwüstlichkeit derselben, die "dem Phönix gleich, zwar ihren Leib
immer wieder verbrennen lassen kann, aber aus der Asche stets neu verjüngt
emporsteigen muß", auf ihr wahres Wesen, das durchaus nicht in grauer Theorie,
sondern in warmem, alle Verhältnisse durchfluthendem Leben besteht, und auf ihre
centrale Bedeutung in der menschlichen Geschichte hin.

Das zweite Kapitel ist speciell dem "Object der Religion (Motiv der reli¬
giösen Anlage)" gewidmet. Der parenthetische Zusatz soll ausdrücken, daß wir
es hier nicht bloß mit der Gottheit oder den Göttern als dem eigentlichen und
höchsten Objecte der Religion zu thun haben, sondern auch mit den Gegen¬
ständen, welche den Gedanken an jene vorzüglich wecken und daher mit ihnen
in engster Verbindung gedacht werden oder den Verkehr mit ihnen zu vermit¬
teln scheinen.

Hier hat man sich vor allem zu hüten, daß man die Gegenstände, in welchen
die Naturvölker etwas geheimnißvoll Geisterhaftes walten sehen, nicht ohne wei¬
teres selbst als ihre Götter bezeichne. In dieser Beziehung nehmen wir bei
Tacitus schon einen bedeutenden Fortschritt über Cäsar hinaus in der Beur¬
theilung der Religion der alten Germanen wahr. Cäsar sagt einfach: cksorum
QUinsro hos solos Äuormt,, Hiios esrnrwt se cjusrum g^srts opidus juvg,neur,
Lotsen se Vuloarmro. se I^unsni (Unter die Zahl der Götter rechnen sie allein
die, welche sie sehen, und durch deren Hilfsleistungen sie augenscheinlich unterstützt
werden, die Sonne, das Feuer und den Mond), Tacitus dagegen viel feiner
und wahrer: cleoruillcjns vorairubus sMöllimt ssorswm illuä, c^uocl folg,
rsvsrsntia viäsvt (Mit den Namen von Göttern belegen sie jenes geheimnißvolle
Etwas, das sie allein mit den Augen der Ehrfurcht sehen).

Mit einer bestimmteren Ausgestaltung des geahnten Göttlichen, das man
auf jener ersten Stufe der Auffassung am treffendsten mit dem schwer zu über¬
setzenden lateinischen Worte nmnsn (etwa: göttliche Macht) bezeichnet, durch
Phantasie und künstlerische Abbildung war für die Religion keineswegs ein großer
Fortschritt gemacht, vielmehr die Gefahr der Herabziehung der Gottheit ins


sonders vom Standpunkte der christlichen Religion aus — und hier kommt der
Jünger Rothes zu Worte — wird man nicht leugnen können, daß ein Mensch
Religion haben kann, ohne daß dieselbe in besondern ausschließend religiösen
Handlungen sich äußern müsse"; und unsere Kenntniß der Naturvölker ist trotz
aller Fortschritte der Ethnographie doch der Natur der Sache nach noch lange
nicht vollständig und zuverlässig genug. Zu demselben Standpunkte hat sich
neuerdings auch Max Müller bekannt (in seinem Aufsatz über Fetischismus im
Novemberhefte l878 von „Nord und Süd").

Am Schlüsse des ersten Kapitels zieht Happel das praktische Facit aus
demi bisher Entwickelten. Er weist die Verkenner und Verächter der Religion
auf die Unverwüstlichkeit derselben, die „dem Phönix gleich, zwar ihren Leib
immer wieder verbrennen lassen kann, aber aus der Asche stets neu verjüngt
emporsteigen muß", auf ihr wahres Wesen, das durchaus nicht in grauer Theorie,
sondern in warmem, alle Verhältnisse durchfluthendem Leben besteht, und auf ihre
centrale Bedeutung in der menschlichen Geschichte hin.

Das zweite Kapitel ist speciell dem „Object der Religion (Motiv der reli¬
giösen Anlage)" gewidmet. Der parenthetische Zusatz soll ausdrücken, daß wir
es hier nicht bloß mit der Gottheit oder den Göttern als dem eigentlichen und
höchsten Objecte der Religion zu thun haben, sondern auch mit den Gegen¬
ständen, welche den Gedanken an jene vorzüglich wecken und daher mit ihnen
in engster Verbindung gedacht werden oder den Verkehr mit ihnen zu vermit¬
teln scheinen.

Hier hat man sich vor allem zu hüten, daß man die Gegenstände, in welchen
die Naturvölker etwas geheimnißvoll Geisterhaftes walten sehen, nicht ohne wei¬
teres selbst als ihre Götter bezeichne. In dieser Beziehung nehmen wir bei
Tacitus schon einen bedeutenden Fortschritt über Cäsar hinaus in der Beur¬
theilung der Religion der alten Germanen wahr. Cäsar sagt einfach: cksorum
QUinsro hos solos Äuormt,, Hiios esrnrwt se cjusrum g^srts opidus juvg,neur,
Lotsen se Vuloarmro. se I^unsni (Unter die Zahl der Götter rechnen sie allein
die, welche sie sehen, und durch deren Hilfsleistungen sie augenscheinlich unterstützt
werden, die Sonne, das Feuer und den Mond), Tacitus dagegen viel feiner
und wahrer: cleoruillcjns vorairubus sMöllimt ssorswm illuä, c^uocl folg,
rsvsrsntia viäsvt (Mit den Namen von Göttern belegen sie jenes geheimnißvolle
Etwas, das sie allein mit den Augen der Ehrfurcht sehen).

Mit einer bestimmteren Ausgestaltung des geahnten Göttlichen, das man
auf jener ersten Stufe der Auffassung am treffendsten mit dem schwer zu über¬
setzenden lateinischen Worte nmnsn (etwa: göttliche Macht) bezeichnet, durch
Phantasie und künstlerische Abbildung war für die Religion keineswegs ein großer
Fortschritt gemacht, vielmehr die Gefahr der Herabziehung der Gottheit ins


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[0238] sonders vom Standpunkte der christlichen Religion aus — und hier kommt der Jünger Rothes zu Worte — wird man nicht leugnen können, daß ein Mensch Religion haben kann, ohne daß dieselbe in besondern ausschließend religiösen Handlungen sich äußern müsse"; und unsere Kenntniß der Naturvölker ist trotz aller Fortschritte der Ethnographie doch der Natur der Sache nach noch lange nicht vollständig und zuverlässig genug. Zu demselben Standpunkte hat sich neuerdings auch Max Müller bekannt (in seinem Aufsatz über Fetischismus im Novemberhefte l878 von „Nord und Süd"). Am Schlüsse des ersten Kapitels zieht Happel das praktische Facit aus demi bisher Entwickelten. Er weist die Verkenner und Verächter der Religion auf die Unverwüstlichkeit derselben, die „dem Phönix gleich, zwar ihren Leib immer wieder verbrennen lassen kann, aber aus der Asche stets neu verjüngt emporsteigen muß", auf ihr wahres Wesen, das durchaus nicht in grauer Theorie, sondern in warmem, alle Verhältnisse durchfluthendem Leben besteht, und auf ihre centrale Bedeutung in der menschlichen Geschichte hin. Das zweite Kapitel ist speciell dem „Object der Religion (Motiv der reli¬ giösen Anlage)" gewidmet. Der parenthetische Zusatz soll ausdrücken, daß wir es hier nicht bloß mit der Gottheit oder den Göttern als dem eigentlichen und höchsten Objecte der Religion zu thun haben, sondern auch mit den Gegen¬ ständen, welche den Gedanken an jene vorzüglich wecken und daher mit ihnen in engster Verbindung gedacht werden oder den Verkehr mit ihnen zu vermit¬ teln scheinen. Hier hat man sich vor allem zu hüten, daß man die Gegenstände, in welchen die Naturvölker etwas geheimnißvoll Geisterhaftes walten sehen, nicht ohne wei¬ teres selbst als ihre Götter bezeichne. In dieser Beziehung nehmen wir bei Tacitus schon einen bedeutenden Fortschritt über Cäsar hinaus in der Beur¬ theilung der Religion der alten Germanen wahr. Cäsar sagt einfach: cksorum QUinsro hos solos Äuormt,, Hiios esrnrwt se cjusrum g^srts opidus juvg,neur, Lotsen se Vuloarmro. se I^unsni (Unter die Zahl der Götter rechnen sie allein die, welche sie sehen, und durch deren Hilfsleistungen sie augenscheinlich unterstützt werden, die Sonne, das Feuer und den Mond), Tacitus dagegen viel feiner und wahrer: cleoruillcjns vorairubus sMöllimt ssorswm illuä, c^uocl folg, rsvsrsntia viäsvt (Mit den Namen von Göttern belegen sie jenes geheimnißvolle Etwas, das sie allein mit den Augen der Ehrfurcht sehen). Mit einer bestimmteren Ausgestaltung des geahnten Göttlichen, das man auf jener ersten Stufe der Auffassung am treffendsten mit dem schwer zu über¬ setzenden lateinischen Worte nmnsn (etwa: göttliche Macht) bezeichnet, durch Phantasie und künstlerische Abbildung war für die Religion keineswegs ein großer Fortschritt gemacht, vielmehr die Gefahr der Herabziehung der Gottheit ins

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/238>, abgerufen am 22.07.2024.