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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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er, wie die "norddeutsche Allgemeine" sehr richtig bemerkt, "nicht maßgebend sein";
denn der Bismarck von heute ist, wie in andern Beziehungen so anch in dieser,
nicht der Bismarck von 1863.

Nur als ein Beispiel der dummen Lügen, mit denen die Pcmslawisten
ihren Federkrieg gegen die deutsche Politik führen, erwähnen wir schließlich das
Märchen, welches ein Correspondent des "Golos" seiner Redaction als Seitenstück
zu den Mittheilungen des . "Grafen" Berg in der "Rußkaja Starina" aufband.
Darnach wäre "Jurji Cenciala, Exdeputirter des Herrenhauses aus Schlesien"
(eine völlig unbekannte Größe), von den Preußen 1866 zum Mitgliede der
Stadtverwaltung und des Revolutivnscomites (?)- in Teschen ernannt worden,
und derselbe hätte dem Correspondenten des "Golos" erzählt, daß die Preußen,
nachdem sie in Oesterreich-Schlesien jene Oertlichkeit besetzt, wo die Weichsel ent¬
springt, daselbst unverweilt ihre Ordnungen eingeführt und preußische Beamte
eingesetzt hätten, aber nur bis zur Weichsel. Als Moral der schlechterfundenen
Fabel fügt der Verfertiger derselben hinzu: "Um es offen herauszusagen, die
Preußen müssen zugestehen, daß nur die Intervention Napoleons III. sie daran
verhinderte, die beabsichtigte Gebietserwerbung zu verwirklichen."

Endlich noch ein paar Worte über die angeblich so große Schwäche unserer
Ostgrenze in militärischer Hinsicht. Eins der letzten Hefte der "Oesterreichischen
Militärischen Zeitschrift" brachte eine Studie über "Deutschlands Nordostgrenze",
die den österreichischen Generalstabs-Hauptmann Kirchhammer, einen Offizier,
welcher sich unter Fachleuten durch seine Arbeiten über die Belagerung von
Paris, über die Befestigung von großen Städten und über die Wehrmacht Eng¬
lands einen geachteten Namen erworben, zum Verfasser hatte. Zum ersten
Male werden darin von einem Sachverständigen und einem Manne, der sich
in seiner Darlegung keinen Zwang auferlegt, die strategischen Verhältnisse der
deutsch-russischen Grenzlande einer genauen Betrachtung unterzogen. Wir heben
von den Hauptstellen dieser Abhandlung zuvörderst jene hervor, die sich mit der
Linie der deutschen Defensive: Pregel, Weichsel, Netze, Wartha und Oder be¬
schäftigt, von welcher der Verfasser sagt, sie bilde eine fast ununterbrochene, dem
Angreifer so große Schwierigkeiten bietende Front, "daß sie von keiner auf dem
europäischen Continente an Stärke übertroffen werde". Die weitblickenden und
mit dem Auswärtigen Amte in enger Fühlung stehenden Leiter des deutschen
Heerwesens haben sich aber mit der natürlichen Stärke der deutsch-russischen
Grenze keineswegs begnügt. Ein ansehnlicher Theil der französischen Milliarden
hat dort fruchtbare Anlage gefunden.

Seit 1871 wurde an der Vervollständigung der drei großen Vertheidi¬
gungssysteme Königsberg, Thorn-Posen und Breslau ununterbrochen und mit
ebensoviel Rührigkeit als Verständniß gebaut. Als imposante Schöpfung moderner


er, wie die „norddeutsche Allgemeine" sehr richtig bemerkt, „nicht maßgebend sein";
denn der Bismarck von heute ist, wie in andern Beziehungen so anch in dieser,
nicht der Bismarck von 1863.

Nur als ein Beispiel der dummen Lügen, mit denen die Pcmslawisten
ihren Federkrieg gegen die deutsche Politik führen, erwähnen wir schließlich das
Märchen, welches ein Correspondent des „Golos" seiner Redaction als Seitenstück
zu den Mittheilungen des . „Grafen" Berg in der „Rußkaja Starina" aufband.
Darnach wäre „Jurji Cenciala, Exdeputirter des Herrenhauses aus Schlesien"
(eine völlig unbekannte Größe), von den Preußen 1866 zum Mitgliede der
Stadtverwaltung und des Revolutivnscomites (?)- in Teschen ernannt worden,
und derselbe hätte dem Correspondenten des „Golos" erzählt, daß die Preußen,
nachdem sie in Oesterreich-Schlesien jene Oertlichkeit besetzt, wo die Weichsel ent¬
springt, daselbst unverweilt ihre Ordnungen eingeführt und preußische Beamte
eingesetzt hätten, aber nur bis zur Weichsel. Als Moral der schlechterfundenen
Fabel fügt der Verfertiger derselben hinzu: „Um es offen herauszusagen, die
Preußen müssen zugestehen, daß nur die Intervention Napoleons III. sie daran
verhinderte, die beabsichtigte Gebietserwerbung zu verwirklichen."

Endlich noch ein paar Worte über die angeblich so große Schwäche unserer
Ostgrenze in militärischer Hinsicht. Eins der letzten Hefte der „Oesterreichischen
Militärischen Zeitschrift" brachte eine Studie über „Deutschlands Nordostgrenze",
die den österreichischen Generalstabs-Hauptmann Kirchhammer, einen Offizier,
welcher sich unter Fachleuten durch seine Arbeiten über die Belagerung von
Paris, über die Befestigung von großen Städten und über die Wehrmacht Eng¬
lands einen geachteten Namen erworben, zum Verfasser hatte. Zum ersten
Male werden darin von einem Sachverständigen und einem Manne, der sich
in seiner Darlegung keinen Zwang auferlegt, die strategischen Verhältnisse der
deutsch-russischen Grenzlande einer genauen Betrachtung unterzogen. Wir heben
von den Hauptstellen dieser Abhandlung zuvörderst jene hervor, die sich mit der
Linie der deutschen Defensive: Pregel, Weichsel, Netze, Wartha und Oder be¬
schäftigt, von welcher der Verfasser sagt, sie bilde eine fast ununterbrochene, dem
Angreifer so große Schwierigkeiten bietende Front, „daß sie von keiner auf dem
europäischen Continente an Stärke übertroffen werde". Die weitblickenden und
mit dem Auswärtigen Amte in enger Fühlung stehenden Leiter des deutschen
Heerwesens haben sich aber mit der natürlichen Stärke der deutsch-russischen
Grenze keineswegs begnügt. Ein ansehnlicher Theil der französischen Milliarden
hat dort fruchtbare Anlage gefunden.

Seit 1871 wurde an der Vervollständigung der drei großen Vertheidi¬
gungssysteme Königsberg, Thorn-Posen und Breslau ununterbrochen und mit
ebensoviel Rührigkeit als Verständniß gebaut. Als imposante Schöpfung moderner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/231>, abgerufen am 26.06.2024.