Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.Befestigungskunst erhebt sich heute das permanent verschanzte Lager von Königs¬ Noch größere Sorgfalt wurde dem zweiten und wichtigeren Systeme Posen- Weder ans der einen noch auf der audern Linie dürften somit die Russen den Am schwächsten ist das dritte und südlichste Vertheidigungssystem an der Befestigungskunst erhebt sich heute das permanent verschanzte Lager von Königs¬ Noch größere Sorgfalt wurde dem zweiten und wichtigeren Systeme Posen- Weder ans der einen noch auf der audern Linie dürften somit die Russen den Am schwächsten ist das dritte und südlichste Vertheidigungssystem an der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146161"/> <p xml:id="ID_624" prev="#ID_623"> Befestigungskunst erhebt sich heute das permanent verschanzte Lager von Königs¬<lb/> berg, der Mittelpunkt des weit ausgreifenden Vertheidigungssystems am Pregel.</p><lb/> <p xml:id="ID_625"> Noch größere Sorgfalt wurde dem zweiten und wichtigeren Systeme Posen-<lb/> Thorn gewidmet. Der kürzeste Weg zum Herzen Deutschlands durchzieht das¬<lb/> selbe. Drei Vertheidigungslinien treten hier in enge Wechselbeziehung: die<lb/> Weichsel, die Netze, die Wartha. Wäre das deutsche Heer gezwungen, die Defen¬<lb/> sive am Pregel aufzugeben, so fände es bei Thorn die denkbar größte Siche¬<lb/> rung. Die Verbindung mit Berlin ist durch die starke Netze-Linie gedeckt. Gegen<lb/> einen Angriff von Ostpreußen her hätte es bei Thorn die freieste Verbindung<lb/> nach Westen und Südwesten. - Gegen den gefährlicheren Angriff von Warschau<lb/> und dem linken Weichselufer her Hütte es die starke Weichsel-Linie bis zum Meere<lb/> gerade hinter sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_626"> Weder ans der einen noch auf der audern Linie dürften somit die Russen den<lb/> Meridian von Thorn überschreiten, ohne sich strategisch bloßzustellen. Sie wären<lb/> daher genöthigt, zuerst das starke Thorn anzugreifen und zu nehmen. Nun<lb/> haben aber hier die gewaltige Weichsel und ihr Anschluß an die feste Netze-<lb/> Linie und die schiffbare Drewenz die Vorbedingungen zu einer Festungsgruppe<lb/> geschaffen, aus welcher deutsche Vertheidiger kaum vertrieben werden könnten,<lb/> und welche den Angreifer stets zu einer mißlichen Theilung seiner Streitkräfte<lb/> zwingen würde. Seit mehr als sechs Jahren sind preußische Genie-Offiziere<lb/> mit Tausenden von Arbeitern unausgesetzt beschäftigt, um Thorn zu einer Lager¬<lb/> festung ersten Ranges und zu einem doppelten Offensiv-Brückenkopfe zu gestalten.<lb/> Der Erweiterungsbau wird noch in dem laufenden Jahre vollendet sein. Auch<lb/> bei Posen ist der aus elf Werken bestehende Gürtel detachirter Forts seiner<lb/> Vollendung nahe.</p><lb/> <p xml:id="ID_627" next="#ID_628"> Am schwächsten ist das dritte und südlichste Vertheidigungssystem an der<lb/> deutsch-russischen Grenze. In Oberschlesien, wo sich die Defensive am liebsten<lb/> niederlassen möchte, wird sie durch die Natur wenig unterstützt. Die obere Oder<lb/> und die Reiße kommen militärisch sast gar nicht in Betracht, und die schlesischen<lb/> Festungen tragen daher in jenem Gebiete den Charakter von Plätzen im offnen<lb/> Felde. Erst an der mittleren Oder finden sich natürliche Bedingungen für ein<lb/> Defensivsystem, dessen Hauptpunkt Breslau wäre. Wenn man bisher nichts ge¬<lb/> than hat, um dieses System fortificatorisch zu heben, fo ist das keine Unterlas¬<lb/> sungssünde. Denn zunächst ist zu berücksichtigen, daß die Basirung der russischen<lb/> Offensive gegen Deutschland an die Linien der Weichsel, des Bug und des<lb/> Niemen gebunden ist. Ihre Subjecte sind Grodno, Nowogeorgiewsk, Warschau,<lb/> Jo'angorod und Brest-Litowski. Die russische Basis ist im Vergleich mit der<lb/> Ausdehnung des deutschen Kriegsschauplatzes zu klein und von Haus aus um¬<lb/> saßt, in der rechten Flanke von der Provinz Preußen, in der linken von Oester-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0232]
Befestigungskunst erhebt sich heute das permanent verschanzte Lager von Königs¬
berg, der Mittelpunkt des weit ausgreifenden Vertheidigungssystems am Pregel.
Noch größere Sorgfalt wurde dem zweiten und wichtigeren Systeme Posen-
Thorn gewidmet. Der kürzeste Weg zum Herzen Deutschlands durchzieht das¬
selbe. Drei Vertheidigungslinien treten hier in enge Wechselbeziehung: die
Weichsel, die Netze, die Wartha. Wäre das deutsche Heer gezwungen, die Defen¬
sive am Pregel aufzugeben, so fände es bei Thorn die denkbar größte Siche¬
rung. Die Verbindung mit Berlin ist durch die starke Netze-Linie gedeckt. Gegen
einen Angriff von Ostpreußen her hätte es bei Thorn die freieste Verbindung
nach Westen und Südwesten. - Gegen den gefährlicheren Angriff von Warschau
und dem linken Weichselufer her Hütte es die starke Weichsel-Linie bis zum Meere
gerade hinter sich.
Weder ans der einen noch auf der audern Linie dürften somit die Russen den
Meridian von Thorn überschreiten, ohne sich strategisch bloßzustellen. Sie wären
daher genöthigt, zuerst das starke Thorn anzugreifen und zu nehmen. Nun
haben aber hier die gewaltige Weichsel und ihr Anschluß an die feste Netze-
Linie und die schiffbare Drewenz die Vorbedingungen zu einer Festungsgruppe
geschaffen, aus welcher deutsche Vertheidiger kaum vertrieben werden könnten,
und welche den Angreifer stets zu einer mißlichen Theilung seiner Streitkräfte
zwingen würde. Seit mehr als sechs Jahren sind preußische Genie-Offiziere
mit Tausenden von Arbeitern unausgesetzt beschäftigt, um Thorn zu einer Lager¬
festung ersten Ranges und zu einem doppelten Offensiv-Brückenkopfe zu gestalten.
Der Erweiterungsbau wird noch in dem laufenden Jahre vollendet sein. Auch
bei Posen ist der aus elf Werken bestehende Gürtel detachirter Forts seiner
Vollendung nahe.
Am schwächsten ist das dritte und südlichste Vertheidigungssystem an der
deutsch-russischen Grenze. In Oberschlesien, wo sich die Defensive am liebsten
niederlassen möchte, wird sie durch die Natur wenig unterstützt. Die obere Oder
und die Reiße kommen militärisch sast gar nicht in Betracht, und die schlesischen
Festungen tragen daher in jenem Gebiete den Charakter von Plätzen im offnen
Felde. Erst an der mittleren Oder finden sich natürliche Bedingungen für ein
Defensivsystem, dessen Hauptpunkt Breslau wäre. Wenn man bisher nichts ge¬
than hat, um dieses System fortificatorisch zu heben, fo ist das keine Unterlas¬
sungssünde. Denn zunächst ist zu berücksichtigen, daß die Basirung der russischen
Offensive gegen Deutschland an die Linien der Weichsel, des Bug und des
Niemen gebunden ist. Ihre Subjecte sind Grodno, Nowogeorgiewsk, Warschau,
Jo'angorod und Brest-Litowski. Die russische Basis ist im Vergleich mit der
Ausdehnung des deutschen Kriegsschauplatzes zu klein und von Haus aus um¬
saßt, in der rechten Flanke von der Provinz Preußen, in der linken von Oester-
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