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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wir haben genug zu thun mit der Assimilirung der slawischen Elemente in den
östlichen Strichen des Reichsgebietes, und wir können nicht wünschen, die Zahl
der dort wühlenden Ultramontanen vermehrt zu sehen. Rußland ist durch
Einverleibung des größten Theils von Polen in seinen Staatskörper nur größer,
aber bei dem unausrottbaren Widerwillen des zahlreichen Adels und des Klerus
dieses Landes gegen den Anschluß an das Kaiserreich im Osten nicht stärker
geworden, und wir haben keinen Beruf, der russischen Regierung die Last, die
sie sich damit aufgeladen hat, auch nur theilweise abzunehmen. Jede Landab¬
tretung endlich, auch eine unerzwungene, würde, zumal wenn sie an Deutschland
erfolgte, von der jetzt mächtigsten Partei des russischen Volkes grollend aufgenommen
und als eine nur zeitweilige angesehen werden.

Wir haben Ursache, zu vermuthen, daß diese Anschauungen für jetzt im
wesentlichen auch die des deutschen Reichskanzlers sind. Die "Neue Freie Presse"
hat auf einen 1863 von verschiedenen deutschen Blättern gebrachten Bericht über
eine Unterredung verwiesen, die damals zwischen Bismarck und dem Danziger
Abgeordneten Behrend stattgefunden haben soll. Derselbe lautet:

"Herr v. Bismarck traf dieser Tage (im Februar 1863) ein hervorragendes
Mitglied des Abgeordnetenhauses auf einem Hofbälle. Eine Unierhaltung knüpfte
sich an; man kam auf die Polnische Frage, und der preußische Ministerpräsident
äußerte im wesentlichen Folgendes: Es gebe zwei Wege, die polnische Frage
zu behandeln: entweder den Aufstand sofort in gemeinsamer Cooperation mit
Rußland zu unterdrücken und somit rasch ein kalt aMonixli zu schaffen, gegen
welches die Westmächte dann vergebens Protestiren würden; oder aber, man
könne die Sache sich weiter entwickeln, die Russen und Polen sich fester ver¬
beißen lassen, dann, falls die Russen Hilfe erbaten oder gar hinansgeschlagen
würden, in Polen einmarschiren und es -- für Preußen in Besitz nehmen. Als
Herr v. Bismarck soweit gekommen war, äußerte der mit solcher Mittheilung
beglückte Abgeordnete seine Freude über den guten Humor des Ministers, der
ihn mit solchem exquisiten Ballscherz regalire. Im Gegentheil, replicirte Herr
v. Bismarck, er spreche ernsthaft von ernsthaften Dingen, spreche als preußischer
Ministerpräsident. Rußland sei längst Polens müde, ihm sei in Se. Petersburg
von maßgebendster Seite aus gesagt worden, die Russen hätten es schwer
-- wegen der fortgeschrittenen Cultur der Polen --, diese zu beherrschen, die
Deutschen würden das können. Wir würden Polen in drei Jahren germani-
siren, sagte Herr v. Bismarck, und gleichzeitig fügte er hinzu, es dürfe nur
Personalunion eintreten, und die polnischen Abgeordneten würden nicht länger
hier in Berlin, sondern in Warschau tagen."

Hierzu können wir nur bemerken: dieser Bericht ist offenbar in wichtigen
Punkten ungenau, und selbst wenn er durchweg die Wahrheit wiedergäbe, würde


Wir haben genug zu thun mit der Assimilirung der slawischen Elemente in den
östlichen Strichen des Reichsgebietes, und wir können nicht wünschen, die Zahl
der dort wühlenden Ultramontanen vermehrt zu sehen. Rußland ist durch
Einverleibung des größten Theils von Polen in seinen Staatskörper nur größer,
aber bei dem unausrottbaren Widerwillen des zahlreichen Adels und des Klerus
dieses Landes gegen den Anschluß an das Kaiserreich im Osten nicht stärker
geworden, und wir haben keinen Beruf, der russischen Regierung die Last, die
sie sich damit aufgeladen hat, auch nur theilweise abzunehmen. Jede Landab¬
tretung endlich, auch eine unerzwungene, würde, zumal wenn sie an Deutschland
erfolgte, von der jetzt mächtigsten Partei des russischen Volkes grollend aufgenommen
und als eine nur zeitweilige angesehen werden.

Wir haben Ursache, zu vermuthen, daß diese Anschauungen für jetzt im
wesentlichen auch die des deutschen Reichskanzlers sind. Die „Neue Freie Presse"
hat auf einen 1863 von verschiedenen deutschen Blättern gebrachten Bericht über
eine Unterredung verwiesen, die damals zwischen Bismarck und dem Danziger
Abgeordneten Behrend stattgefunden haben soll. Derselbe lautet:

„Herr v. Bismarck traf dieser Tage (im Februar 1863) ein hervorragendes
Mitglied des Abgeordnetenhauses auf einem Hofbälle. Eine Unierhaltung knüpfte
sich an; man kam auf die Polnische Frage, und der preußische Ministerpräsident
äußerte im wesentlichen Folgendes: Es gebe zwei Wege, die polnische Frage
zu behandeln: entweder den Aufstand sofort in gemeinsamer Cooperation mit
Rußland zu unterdrücken und somit rasch ein kalt aMonixli zu schaffen, gegen
welches die Westmächte dann vergebens Protestiren würden; oder aber, man
könne die Sache sich weiter entwickeln, die Russen und Polen sich fester ver¬
beißen lassen, dann, falls die Russen Hilfe erbaten oder gar hinansgeschlagen
würden, in Polen einmarschiren und es — für Preußen in Besitz nehmen. Als
Herr v. Bismarck soweit gekommen war, äußerte der mit solcher Mittheilung
beglückte Abgeordnete seine Freude über den guten Humor des Ministers, der
ihn mit solchem exquisiten Ballscherz regalire. Im Gegentheil, replicirte Herr
v. Bismarck, er spreche ernsthaft von ernsthaften Dingen, spreche als preußischer
Ministerpräsident. Rußland sei längst Polens müde, ihm sei in Se. Petersburg
von maßgebendster Seite aus gesagt worden, die Russen hätten es schwer
— wegen der fortgeschrittenen Cultur der Polen —, diese zu beherrschen, die
Deutschen würden das können. Wir würden Polen in drei Jahren germani-
siren, sagte Herr v. Bismarck, und gleichzeitig fügte er hinzu, es dürfe nur
Personalunion eintreten, und die polnischen Abgeordneten würden nicht länger
hier in Berlin, sondern in Warschau tagen."

Hierzu können wir nur bemerken: dieser Bericht ist offenbar in wichtigen
Punkten ungenau, und selbst wenn er durchweg die Wahrheit wiedergäbe, würde


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[0230] Wir haben genug zu thun mit der Assimilirung der slawischen Elemente in den östlichen Strichen des Reichsgebietes, und wir können nicht wünschen, die Zahl der dort wühlenden Ultramontanen vermehrt zu sehen. Rußland ist durch Einverleibung des größten Theils von Polen in seinen Staatskörper nur größer, aber bei dem unausrottbaren Widerwillen des zahlreichen Adels und des Klerus dieses Landes gegen den Anschluß an das Kaiserreich im Osten nicht stärker geworden, und wir haben keinen Beruf, der russischen Regierung die Last, die sie sich damit aufgeladen hat, auch nur theilweise abzunehmen. Jede Landab¬ tretung endlich, auch eine unerzwungene, würde, zumal wenn sie an Deutschland erfolgte, von der jetzt mächtigsten Partei des russischen Volkes grollend aufgenommen und als eine nur zeitweilige angesehen werden. Wir haben Ursache, zu vermuthen, daß diese Anschauungen für jetzt im wesentlichen auch die des deutschen Reichskanzlers sind. Die „Neue Freie Presse" hat auf einen 1863 von verschiedenen deutschen Blättern gebrachten Bericht über eine Unterredung verwiesen, die damals zwischen Bismarck und dem Danziger Abgeordneten Behrend stattgefunden haben soll. Derselbe lautet: „Herr v. Bismarck traf dieser Tage (im Februar 1863) ein hervorragendes Mitglied des Abgeordnetenhauses auf einem Hofbälle. Eine Unierhaltung knüpfte sich an; man kam auf die Polnische Frage, und der preußische Ministerpräsident äußerte im wesentlichen Folgendes: Es gebe zwei Wege, die polnische Frage zu behandeln: entweder den Aufstand sofort in gemeinsamer Cooperation mit Rußland zu unterdrücken und somit rasch ein kalt aMonixli zu schaffen, gegen welches die Westmächte dann vergebens Protestiren würden; oder aber, man könne die Sache sich weiter entwickeln, die Russen und Polen sich fester ver¬ beißen lassen, dann, falls die Russen Hilfe erbaten oder gar hinansgeschlagen würden, in Polen einmarschiren und es — für Preußen in Besitz nehmen. Als Herr v. Bismarck soweit gekommen war, äußerte der mit solcher Mittheilung beglückte Abgeordnete seine Freude über den guten Humor des Ministers, der ihn mit solchem exquisiten Ballscherz regalire. Im Gegentheil, replicirte Herr v. Bismarck, er spreche ernsthaft von ernsthaften Dingen, spreche als preußischer Ministerpräsident. Rußland sei längst Polens müde, ihm sei in Se. Petersburg von maßgebendster Seite aus gesagt worden, die Russen hätten es schwer — wegen der fortgeschrittenen Cultur der Polen —, diese zu beherrschen, die Deutschen würden das können. Wir würden Polen in drei Jahren germani- siren, sagte Herr v. Bismarck, und gleichzeitig fügte er hinzu, es dürfe nur Personalunion eintreten, und die polnischen Abgeordneten würden nicht länger hier in Berlin, sondern in Warschau tagen." Hierzu können wir nur bemerken: dieser Bericht ist offenbar in wichtigen Punkten ungenau, und selbst wenn er durchweg die Wahrheit wiedergäbe, würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/230>, abgerufen am 29.06.2024.