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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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hatte, daß das geheimnißvolle Wort Nobiskrug keineswegs von noms abzuleiten
sei (loous, udi xotus nobis Lonczösscrs), sondern jedenfalls von adis, ad^ssus,
gleichbedeutend mit Abgrund, Krypte, Ort des Gräuels, Teufelswirthschaft, ein
Ort, wo ehedem der altchristliche Opferpriester mit dem geschwärzten Gesichte
gewaltet.

Kurcmda war ein geistreicher Mann mit liebenswürdiger Redacteur. Er
war mehr der Kapellmeister der "Grenzboten", der das Zustandekommen eines
Programms von schöner Abwechselung, das gute Ensemble und die tadellose
Aufführung überwachte, weniger ein executirender Künstler; selten griff er selbst
zur Geige. Seine Artikel schrieb er mit großer Sorgfalt, und sie waren so
elegant wie seine Erscheinung. Er redigirte eigentlich auf Reisen, bald von da,
bald von dort aus und wohnte auch jetzt im Hotel de Baviere, wo der König
aller Wirthe, der treffliche Redslob waltete. Kurandas Auge wachte über jeder
Nummer mit zärtlicher Sorgfalt, und er sprach am liebsten davon, was das
letzte Heft enthalten habe oder das nächste bringen werde. Er war mit ganzer
Seele bei der Sache. Man konnte es ihm auf dreißig Schritte ansehen, wenn
wieder einmal eine Feder ersten Ranges ihm ein Manuscript eingesandt. Dann
trug er sein Haupt mit besonderem Schwunge, die Hand führte noch kecker als
sonst das zierliche Stöckchen, die Augen strahlten von siegreichem Feuer. Er
hatte damals etwas von einem kleinen provewMschen Troubadour, und das
war er auch in der That. Auf seinein Zimmer, ganz allein, Pflegte er die
Guitarre zu spielen, er besaß auch eine angenehme Tenorstimme.

Die "Grenzboten" hatten mehrere Gesänge meines "Ziska" gebracht, der gleich¬
zeitig bei dem Verleger derselben, gedruckt wurd"^ sie fanden vielfach Aner¬
kennung. Ich mußte aber auch den Vorwurf hören, daß ich mich auf die
Seite der Hussiten gestellt und den Feinden der deutschen Sache das Wort
gesprochen habe.

Als mich Dr. Haltaus einmal darüber zur Rede stellte,, erwiederte ich un¬
gefähr folgendes: "Was ist mein Buch? Schließlich doch ein historisches Ge¬
dicht, die Darstellung dessen, was sich zwischen 1419--1424 in Böhmen zutrug.
Sie, als Geschichtskenner, werden es am besten wissen, daß es Vorgänge malt,
die von Bedeutung für die Welt waren und die sich so zugetragen haben, wie
ich sie schildere. Ein berechtigtes Gefühl -- Erbitterung über eine Gräuel-
that, die Verbrennung Husseus -- bringt die Seele eines Volkes in Aufruhr.
Inmitten dieses Aufruhrs stirbt der König, und das Land ist sich selbst über¬
lassen. Eine starke Persönlichkeit, durch ein persönliches Erlebniß, die an seiner
Schwester verübte Schmachthat hereingezogen, stellt sich an die Spitze, vermag
aber nicht, die Bewegung zu beherrschen. Sie wächst über ihn hinaus. Im
Volke verbreitet sich der Wahnglaube, daß das Weltende nahe und das jüngste


hatte, daß das geheimnißvolle Wort Nobiskrug keineswegs von noms abzuleiten
sei (loous, udi xotus nobis Lonczösscrs), sondern jedenfalls von adis, ad^ssus,
gleichbedeutend mit Abgrund, Krypte, Ort des Gräuels, Teufelswirthschaft, ein
Ort, wo ehedem der altchristliche Opferpriester mit dem geschwärzten Gesichte
gewaltet.

Kurcmda war ein geistreicher Mann mit liebenswürdiger Redacteur. Er
war mehr der Kapellmeister der „Grenzboten", der das Zustandekommen eines
Programms von schöner Abwechselung, das gute Ensemble und die tadellose
Aufführung überwachte, weniger ein executirender Künstler; selten griff er selbst
zur Geige. Seine Artikel schrieb er mit großer Sorgfalt, und sie waren so
elegant wie seine Erscheinung. Er redigirte eigentlich auf Reisen, bald von da,
bald von dort aus und wohnte auch jetzt im Hotel de Baviere, wo der König
aller Wirthe, der treffliche Redslob waltete. Kurandas Auge wachte über jeder
Nummer mit zärtlicher Sorgfalt, und er sprach am liebsten davon, was das
letzte Heft enthalten habe oder das nächste bringen werde. Er war mit ganzer
Seele bei der Sache. Man konnte es ihm auf dreißig Schritte ansehen, wenn
wieder einmal eine Feder ersten Ranges ihm ein Manuscript eingesandt. Dann
trug er sein Haupt mit besonderem Schwunge, die Hand führte noch kecker als
sonst das zierliche Stöckchen, die Augen strahlten von siegreichem Feuer. Er
hatte damals etwas von einem kleinen provewMschen Troubadour, und das
war er auch in der That. Auf seinein Zimmer, ganz allein, Pflegte er die
Guitarre zu spielen, er besaß auch eine angenehme Tenorstimme.

Die „Grenzboten" hatten mehrere Gesänge meines „Ziska" gebracht, der gleich¬
zeitig bei dem Verleger derselben, gedruckt wurd«^ sie fanden vielfach Aner¬
kennung. Ich mußte aber auch den Vorwurf hören, daß ich mich auf die
Seite der Hussiten gestellt und den Feinden der deutschen Sache das Wort
gesprochen habe.

Als mich Dr. Haltaus einmal darüber zur Rede stellte,, erwiederte ich un¬
gefähr folgendes: „Was ist mein Buch? Schließlich doch ein historisches Ge¬
dicht, die Darstellung dessen, was sich zwischen 1419—1424 in Böhmen zutrug.
Sie, als Geschichtskenner, werden es am besten wissen, daß es Vorgänge malt,
die von Bedeutung für die Welt waren und die sich so zugetragen haben, wie
ich sie schildere. Ein berechtigtes Gefühl — Erbitterung über eine Gräuel-
that, die Verbrennung Husseus — bringt die Seele eines Volkes in Aufruhr.
Inmitten dieses Aufruhrs stirbt der König, und das Land ist sich selbst über¬
lassen. Eine starke Persönlichkeit, durch ein persönliches Erlebniß, die an seiner
Schwester verübte Schmachthat hereingezogen, stellt sich an die Spitze, vermag
aber nicht, die Bewegung zu beherrschen. Sie wächst über ihn hinaus. Im
Volke verbreitet sich der Wahnglaube, daß das Weltende nahe und das jüngste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/23>, abgerufen am 22.07.2024.