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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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liegen die bedeutendsten Städte dieser Landschaften, Kalisch und Lodz, in süd¬
licher Richtung nur etwa 15 Meilen von diesem Weichselpunkte entfernt, und
Czenstochau, die südlichste Stadt des Warthagebietes, befindet sich wieder direct
südlich von Wloclawek und den Weichselmündungen. Hieraus folgt aber, daß
die hier in Rede stehenden Warthalandschaften das natürlichste und nächste
Handelsgebiet von Danzig sind, und daß Wloclawek, der Lage nach für die
Weichsel das, was Frankfurt für die Oder und Magdeburg für die Elbe ist,
ein bedeutender Stapelplatz werden oder schon sein müßte, wenn jene Landschaften
zum Deutschen Reiche gehörten."

Der von Niemann bezeichnete Landrückeu ist ferner auch ethnographisch
gewissermaßen unsre Ostgrenze; denn bis dahin ist die polnische Bevölkerung
sehr stark mit deutschen Elementen gemischt. Da ist zuvorderst die größte Stadt
dieser Gegenden, Lodz, beinahe ganz und Kalisch, die zweitgrößte, halb deutsch.
Sodann befinden sich in allen übrigen von den dortigen Städten bedeutende
deutsche Gemeinden, und selbst auf den: platten Lande sind allenthalben Deutsche
als Gutsbesitzer, Beamte, Handelsleute und Handwerker (wobei wir hoffen, daß
unser Gewährsmann die Juden nicht einrechnet, die ja allerdings eine Art Deutsch
reden, aber unmöglich als Deutsche betrachtet werden können). "Diese Land¬
schaften sind," wie Niemann behauptet, "obgleich nicht unter preußischer Herr¬
schaft, dennoch ebenso germanisirt, wie manche Theile der Provinz Posen es
auch nur sind. Eine auffällige Erscheinung muß einen natürlichen Grund haben,
und dieser liegt darin, daß diese Striche innerhalb der natürlichen Machtsphäre
des deutschen Geistes liegen. Jenseits jener Linie hört dieser Einfluß schnell
auf, die deutschen Elemente in der Bevölkerung verschwinden und treten nur
noch einmal in stärkerem Procentsatz in Warschau ans." Wir haben keine ge¬
nauen statistischen Ermittelungen über die Mischung der Nationalitäten in diesen
Landstrichen, doch meint Niemann nicht fehl zu gehen, wenn er behauptet, daß
von den 600000 Deutschen, die in Russisch-Polen wohnen sollen, die Hälfte
auf Kujawien und die Warthalandschaften kommt, deren Areal er auf etwa 450
Quadratmeilen und deren Einwohnerzahl er auf etwas mehr als 1100000 schätzt.

Der Landrücken von der untern Przemsa bis zur Soltau ist endlich auch
unsere von der Natur gegebene militärische Grenze; denn durch ein Vorrücken
bis an diese Linie würde der Busen fremden Landes zwischen Westpreußen und
Schlesien vollständig ausgefüllt und die Ostgrenze des deutschen Reiches für
Berlin von 40 auf 58, für Thorn von 1 auf 10, für Posen von 8 auf 25,
für Breslau von 10 auf 23 und für Beuthen von auf 4^ Meilen hinaus
gerückt. "Auch würde," so fährt unsere Quelle fort, "falls man Koko am Knie
der Wartha zu einer Festung ersten Ranges und dadurch zu einem mit Thorn
correspondirenden Wasserplatze machte, unsere Ostgrenze eine gleich starke Descr-


liegen die bedeutendsten Städte dieser Landschaften, Kalisch und Lodz, in süd¬
licher Richtung nur etwa 15 Meilen von diesem Weichselpunkte entfernt, und
Czenstochau, die südlichste Stadt des Warthagebietes, befindet sich wieder direct
südlich von Wloclawek und den Weichselmündungen. Hieraus folgt aber, daß
die hier in Rede stehenden Warthalandschaften das natürlichste und nächste
Handelsgebiet von Danzig sind, und daß Wloclawek, der Lage nach für die
Weichsel das, was Frankfurt für die Oder und Magdeburg für die Elbe ist,
ein bedeutender Stapelplatz werden oder schon sein müßte, wenn jene Landschaften
zum Deutschen Reiche gehörten."

Der von Niemann bezeichnete Landrückeu ist ferner auch ethnographisch
gewissermaßen unsre Ostgrenze; denn bis dahin ist die polnische Bevölkerung
sehr stark mit deutschen Elementen gemischt. Da ist zuvorderst die größte Stadt
dieser Gegenden, Lodz, beinahe ganz und Kalisch, die zweitgrößte, halb deutsch.
Sodann befinden sich in allen übrigen von den dortigen Städten bedeutende
deutsche Gemeinden, und selbst auf den: platten Lande sind allenthalben Deutsche
als Gutsbesitzer, Beamte, Handelsleute und Handwerker (wobei wir hoffen, daß
unser Gewährsmann die Juden nicht einrechnet, die ja allerdings eine Art Deutsch
reden, aber unmöglich als Deutsche betrachtet werden können). „Diese Land¬
schaften sind," wie Niemann behauptet, „obgleich nicht unter preußischer Herr¬
schaft, dennoch ebenso germanisirt, wie manche Theile der Provinz Posen es
auch nur sind. Eine auffällige Erscheinung muß einen natürlichen Grund haben,
und dieser liegt darin, daß diese Striche innerhalb der natürlichen Machtsphäre
des deutschen Geistes liegen. Jenseits jener Linie hört dieser Einfluß schnell
auf, die deutschen Elemente in der Bevölkerung verschwinden und treten nur
noch einmal in stärkerem Procentsatz in Warschau ans." Wir haben keine ge¬
nauen statistischen Ermittelungen über die Mischung der Nationalitäten in diesen
Landstrichen, doch meint Niemann nicht fehl zu gehen, wenn er behauptet, daß
von den 600000 Deutschen, die in Russisch-Polen wohnen sollen, die Hälfte
auf Kujawien und die Warthalandschaften kommt, deren Areal er auf etwa 450
Quadratmeilen und deren Einwohnerzahl er auf etwas mehr als 1100000 schätzt.

Der Landrücken von der untern Przemsa bis zur Soltau ist endlich auch
unsere von der Natur gegebene militärische Grenze; denn durch ein Vorrücken
bis an diese Linie würde der Busen fremden Landes zwischen Westpreußen und
Schlesien vollständig ausgefüllt und die Ostgrenze des deutschen Reiches für
Berlin von 40 auf 58, für Thorn von 1 auf 10, für Posen von 8 auf 25,
für Breslau von 10 auf 23 und für Beuthen von auf 4^ Meilen hinaus
gerückt. „Auch würde," so fährt unsere Quelle fort, „falls man Koko am Knie
der Wartha zu einer Festung ersten Ranges und dadurch zu einem mit Thorn
correspondirenden Wasserplatze machte, unsere Ostgrenze eine gleich starke Descr-


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[0228] liegen die bedeutendsten Städte dieser Landschaften, Kalisch und Lodz, in süd¬ licher Richtung nur etwa 15 Meilen von diesem Weichselpunkte entfernt, und Czenstochau, die südlichste Stadt des Warthagebietes, befindet sich wieder direct südlich von Wloclawek und den Weichselmündungen. Hieraus folgt aber, daß die hier in Rede stehenden Warthalandschaften das natürlichste und nächste Handelsgebiet von Danzig sind, und daß Wloclawek, der Lage nach für die Weichsel das, was Frankfurt für die Oder und Magdeburg für die Elbe ist, ein bedeutender Stapelplatz werden oder schon sein müßte, wenn jene Landschaften zum Deutschen Reiche gehörten." Der von Niemann bezeichnete Landrückeu ist ferner auch ethnographisch gewissermaßen unsre Ostgrenze; denn bis dahin ist die polnische Bevölkerung sehr stark mit deutschen Elementen gemischt. Da ist zuvorderst die größte Stadt dieser Gegenden, Lodz, beinahe ganz und Kalisch, die zweitgrößte, halb deutsch. Sodann befinden sich in allen übrigen von den dortigen Städten bedeutende deutsche Gemeinden, und selbst auf den: platten Lande sind allenthalben Deutsche als Gutsbesitzer, Beamte, Handelsleute und Handwerker (wobei wir hoffen, daß unser Gewährsmann die Juden nicht einrechnet, die ja allerdings eine Art Deutsch reden, aber unmöglich als Deutsche betrachtet werden können). „Diese Land¬ schaften sind," wie Niemann behauptet, „obgleich nicht unter preußischer Herr¬ schaft, dennoch ebenso germanisirt, wie manche Theile der Provinz Posen es auch nur sind. Eine auffällige Erscheinung muß einen natürlichen Grund haben, und dieser liegt darin, daß diese Striche innerhalb der natürlichen Machtsphäre des deutschen Geistes liegen. Jenseits jener Linie hört dieser Einfluß schnell auf, die deutschen Elemente in der Bevölkerung verschwinden und treten nur noch einmal in stärkerem Procentsatz in Warschau ans." Wir haben keine ge¬ nauen statistischen Ermittelungen über die Mischung der Nationalitäten in diesen Landstrichen, doch meint Niemann nicht fehl zu gehen, wenn er behauptet, daß von den 600000 Deutschen, die in Russisch-Polen wohnen sollen, die Hälfte auf Kujawien und die Warthalandschaften kommt, deren Areal er auf etwa 450 Quadratmeilen und deren Einwohnerzahl er auf etwas mehr als 1100000 schätzt. Der Landrücken von der untern Przemsa bis zur Soltau ist endlich auch unsere von der Natur gegebene militärische Grenze; denn durch ein Vorrücken bis an diese Linie würde der Busen fremden Landes zwischen Westpreußen und Schlesien vollständig ausgefüllt und die Ostgrenze des deutschen Reiches für Berlin von 40 auf 58, für Thorn von 1 auf 10, für Posen von 8 auf 25, für Breslau von 10 auf 23 und für Beuthen von auf 4^ Meilen hinaus gerückt. „Auch würde," so fährt unsere Quelle fort, „falls man Koko am Knie der Wartha zu einer Festung ersten Ranges und dadurch zu einem mit Thorn correspondirenden Wasserplatze machte, unsere Ostgrenze eine gleich starke Descr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/228>, abgerufen am 03.07.2024.