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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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die obere Weichsel mit dem San und alle übrigen Zuflüsse der mittleren Weichsel
ergossen. Dieser Landsee war etwa 500 Quadratmeilen groß und durch den
westlichen Landrücken vollständig vom Meere abgeschnitten. Die untere Weichsel
existirte damals noch nicht. Das Meer drang zwischen dem pommerschen Land¬
rücken und der preußischen Seenplatte tief in das Land hinein und bildete in
der Nähe von Thorn ein Becken, in welches die Drewenz, die Brahe und wahr¬
scheinlich auch die den Goplosee durchfließende obere Netze mündeten. Nach und
nach zog sich das Meer zurück, zunächst bis zur Mündung des Schwarzwassers
bei Schwetz, sodann bis zur Ossamündung und zuletzt bis Mewe und Montan,
wo noch jetzt das Delta der Niederung beginnt. Als nach der Eiszeit die Zu¬
flüsse des erwähnten großen Landsees dessen Wasserverdunstung überstiegen und
sein Wasserspiegel sich hob, sägte sich das Wasser eine Rille durch die Tertiär¬
formation des Landrückens, und dieselbe erweiterte sich allmählich zu einem so be¬
deutenden Abflußccmal in den Meerbusen bei Thorn, daß der Landsee nach und
nach ablief und sein Boden trocken gelegt wurde. Auf diese Weise bildete sich
die jetzige Weichsel aus zwei früher gesonderten Systemen, und die obere Netze
ist der eigentliche Quellfluß des Stromstücks der untern Weichsel."

Die Beweise, die Niemann für diese Hypothese beibringt, finden die Leser
a. a. O. S. 53 bis 58. Wir geben hier nur die Resultate wieder, zu denen
er gelangt ist. Dieselben gehen dahin, daß der Landrücken zwischen der untern
Przemsa und der Soltau auch unsere geologische Ostgrenze ist, und Niemann
fügt hinzu, "daß es erst die Geologie ist, die uns Aufschluß über die auffallende
Erscheinung giebt, nach welcher das Schicksal der untern Weichsel seit historischer
Zeit bis jetzt, mit Ausnahme der zweihundertjährigen Real-Union Westpreußens
mit Polen, stets von dem der mittleren Weichsel getrennt war und beider An¬
wohner stets verschiedenen Nationalitäten angehörten. Der Grund liegt darin,
daß beide Flußabschnitte geologisch besondere, selbständige Flußsysteme sind. Und
dieser Grund wirkt noch in der Gegenwart fort. Auch heute noch sind die
Landschaften der obern Wartha ein Zubehör der untern Weichsel. Bei Plock
hat die polnische Weichsel ihre Endschaft und zugleich ihren nördlichsten und
westlichsten Punkt erreicht. Bei der Skrwa-Mündung fängt die deutsche Weichsel
an, und bis zur Skrwa reichte längere Zeit einmal auch die Herrschaft der
Deutschen Ritter. Von hier fließt der Strom bis Wloclawek fast remwestlich
in Deutschland hinein. Dort ändert sich sein Lauf,.und er wendet sich von
nun an im Ganzen betrachtet nach Norden; denn Woclawek liegt genau südlich
vou der Mitte der Weichselmündungen und ist die südlichste Stadt der deutschen
Weichsel. Zugleich aber befinden sich im Süden von ihr die Landschaften der
obern Wartha, die noch in geschichtlicher Zeit eine Wasserverbindung mit dem
Goplosee hatte und dadurch gleichsam ein Nebenfluß der Weichsel wurde. Auch,


die obere Weichsel mit dem San und alle übrigen Zuflüsse der mittleren Weichsel
ergossen. Dieser Landsee war etwa 500 Quadratmeilen groß und durch den
westlichen Landrücken vollständig vom Meere abgeschnitten. Die untere Weichsel
existirte damals noch nicht. Das Meer drang zwischen dem pommerschen Land¬
rücken und der preußischen Seenplatte tief in das Land hinein und bildete in
der Nähe von Thorn ein Becken, in welches die Drewenz, die Brahe und wahr¬
scheinlich auch die den Goplosee durchfließende obere Netze mündeten. Nach und
nach zog sich das Meer zurück, zunächst bis zur Mündung des Schwarzwassers
bei Schwetz, sodann bis zur Ossamündung und zuletzt bis Mewe und Montan,
wo noch jetzt das Delta der Niederung beginnt. Als nach der Eiszeit die Zu¬
flüsse des erwähnten großen Landsees dessen Wasserverdunstung überstiegen und
sein Wasserspiegel sich hob, sägte sich das Wasser eine Rille durch die Tertiär¬
formation des Landrückens, und dieselbe erweiterte sich allmählich zu einem so be¬
deutenden Abflußccmal in den Meerbusen bei Thorn, daß der Landsee nach und
nach ablief und sein Boden trocken gelegt wurde. Auf diese Weise bildete sich
die jetzige Weichsel aus zwei früher gesonderten Systemen, und die obere Netze
ist der eigentliche Quellfluß des Stromstücks der untern Weichsel."

Die Beweise, die Niemann für diese Hypothese beibringt, finden die Leser
a. a. O. S. 53 bis 58. Wir geben hier nur die Resultate wieder, zu denen
er gelangt ist. Dieselben gehen dahin, daß der Landrücken zwischen der untern
Przemsa und der Soltau auch unsere geologische Ostgrenze ist, und Niemann
fügt hinzu, „daß es erst die Geologie ist, die uns Aufschluß über die auffallende
Erscheinung giebt, nach welcher das Schicksal der untern Weichsel seit historischer
Zeit bis jetzt, mit Ausnahme der zweihundertjährigen Real-Union Westpreußens
mit Polen, stets von dem der mittleren Weichsel getrennt war und beider An¬
wohner stets verschiedenen Nationalitäten angehörten. Der Grund liegt darin,
daß beide Flußabschnitte geologisch besondere, selbständige Flußsysteme sind. Und
dieser Grund wirkt noch in der Gegenwart fort. Auch heute noch sind die
Landschaften der obern Wartha ein Zubehör der untern Weichsel. Bei Plock
hat die polnische Weichsel ihre Endschaft und zugleich ihren nördlichsten und
westlichsten Punkt erreicht. Bei der Skrwa-Mündung fängt die deutsche Weichsel
an, und bis zur Skrwa reichte längere Zeit einmal auch die Herrschaft der
Deutschen Ritter. Von hier fließt der Strom bis Wloclawek fast remwestlich
in Deutschland hinein. Dort ändert sich sein Lauf,.und er wendet sich von
nun an im Ganzen betrachtet nach Norden; denn Woclawek liegt genau südlich
vou der Mitte der Weichselmündungen und ist die südlichste Stadt der deutschen
Weichsel. Zugleich aber befinden sich im Süden von ihr die Landschaften der
obern Wartha, die noch in geschichtlicher Zeit eine Wasserverbindung mit dem
Goplosee hatte und dadurch gleichsam ein Nebenfluß der Weichsel wurde. Auch,


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[0227] die obere Weichsel mit dem San und alle übrigen Zuflüsse der mittleren Weichsel ergossen. Dieser Landsee war etwa 500 Quadratmeilen groß und durch den westlichen Landrücken vollständig vom Meere abgeschnitten. Die untere Weichsel existirte damals noch nicht. Das Meer drang zwischen dem pommerschen Land¬ rücken und der preußischen Seenplatte tief in das Land hinein und bildete in der Nähe von Thorn ein Becken, in welches die Drewenz, die Brahe und wahr¬ scheinlich auch die den Goplosee durchfließende obere Netze mündeten. Nach und nach zog sich das Meer zurück, zunächst bis zur Mündung des Schwarzwassers bei Schwetz, sodann bis zur Ossamündung und zuletzt bis Mewe und Montan, wo noch jetzt das Delta der Niederung beginnt. Als nach der Eiszeit die Zu¬ flüsse des erwähnten großen Landsees dessen Wasserverdunstung überstiegen und sein Wasserspiegel sich hob, sägte sich das Wasser eine Rille durch die Tertiär¬ formation des Landrückens, und dieselbe erweiterte sich allmählich zu einem so be¬ deutenden Abflußccmal in den Meerbusen bei Thorn, daß der Landsee nach und nach ablief und sein Boden trocken gelegt wurde. Auf diese Weise bildete sich die jetzige Weichsel aus zwei früher gesonderten Systemen, und die obere Netze ist der eigentliche Quellfluß des Stromstücks der untern Weichsel." Die Beweise, die Niemann für diese Hypothese beibringt, finden die Leser a. a. O. S. 53 bis 58. Wir geben hier nur die Resultate wieder, zu denen er gelangt ist. Dieselben gehen dahin, daß der Landrücken zwischen der untern Przemsa und der Soltau auch unsere geologische Ostgrenze ist, und Niemann fügt hinzu, „daß es erst die Geologie ist, die uns Aufschluß über die auffallende Erscheinung giebt, nach welcher das Schicksal der untern Weichsel seit historischer Zeit bis jetzt, mit Ausnahme der zweihundertjährigen Real-Union Westpreußens mit Polen, stets von dem der mittleren Weichsel getrennt war und beider An¬ wohner stets verschiedenen Nationalitäten angehörten. Der Grund liegt darin, daß beide Flußabschnitte geologisch besondere, selbständige Flußsysteme sind. Und dieser Grund wirkt noch in der Gegenwart fort. Auch heute noch sind die Landschaften der obern Wartha ein Zubehör der untern Weichsel. Bei Plock hat die polnische Weichsel ihre Endschaft und zugleich ihren nördlichsten und westlichsten Punkt erreicht. Bei der Skrwa-Mündung fängt die deutsche Weichsel an, und bis zur Skrwa reichte längere Zeit einmal auch die Herrschaft der Deutschen Ritter. Von hier fließt der Strom bis Wloclawek fast remwestlich in Deutschland hinein. Dort ändert sich sein Lauf,.und er wendet sich von nun an im Ganzen betrachtet nach Norden; denn Woclawek liegt genau südlich vou der Mitte der Weichselmündungen und ist die südlichste Stadt der deutschen Weichsel. Zugleich aber befinden sich im Süden von ihr die Landschaften der obern Wartha, die noch in geschichtlicher Zeit eine Wasserverbindung mit dem Goplosee hatte und dadurch gleichsam ein Nebenfluß der Weichsel wurde. Auch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/227>, abgerufen am 01.07.2024.