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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Unsere geographische Ostgrenze ist, wie Niemann (S. 50 fg. a. a, O.) aus¬
führlich nachweist, nicht so verschwommen, wie man gewöhnlich meint, sondern
durch eine natürliche Marke klar vorgezeichnet. Diese Naturgrenze ist nicht die
Weichselspirale, sondern der Landrücken, der das Flußgebiet der Oder
und der unteren Weichsel vom Flußgebiet der mittleren Weichsel
scheidet. Derselbe beginnt, auf der großen Reymcmnschen Karte deutlich er¬
kennbar, nach Niemanns Angaben "auf dem oberschlesisch - polnischen Plateau
östlich von der Przemsa und zieht sich in streng nördlicher Richtung Und fast
in gerader Linie in einer Länge von 48 Meilen über die Weichsel weg an die
Soltau an der Grenze des ostpreußischen Kreises Neidenburg. Er ist als
Wasserscheide bedeutender als manches große Gebirge und erreicht im Süden
eine Höhe von 1200 Fuß über dem Spiegel der Ostsee." Zwischen den Quellen
der Schwarzen Przemsa und der Piliza 1173, bei den Warthaquellen 1000, bei
Petrikau 700, bei Neusulzfeld nicht weit von der großen Fabrikstadt Lodz 600
Fuß hoch, verliert er sich im Norden von Strykow in die Silnasümpfe und die
Moore der Bzura-senke, um jenseits derselben sich wieder zu erheben und zwischen
Gostynin und Gombin an die Weichsel vorzudringen, wo er den Charakter der
preußischen Seenplatte annimmt. - Bei Brzwilno östlich von Plock überschreitet
er die Weichsel und zieht sich alsdann nordwärts an die Soltau.

Dieser Landrücken ist geographisch deshalb so bedeutsam, weil von ihm
westlich alle Wasser nach Deutschland, in die Oder, respective in die untere
Weichsel abfließen, während sie östlich von ihm in die mittlere oder polnische
Weichsel münden. Durch die ihn im Westen und Osten begleitenden Thäler
der Wartha und Piliza mit deren Nebenflüssen tritt er aber auch in scharfer
Ausprägung hervor. "Er bietet statt der gegenwärtigen verzwickten Grenze von
75 Meilen Länge eine einfache Grenze von 44 Meilen und schließt Dobrzyn
und Nessau, die bis ins 15. Jahrhundert hinein zum Laude des deutschen
Ordens gehörten, wieder an das alte Stammland an."

Wichtiger noch als die hydrographische Bedeutung dieses Landrückens ist
dessen geologischer Einfluß. "Wer," so sagt Niemann, "eine Karte der Weichsel¬
spirale aufmerksam betrachtet, dem muß auffallen, daß alle Zuflüsse der mitt¬
leren Weichsel von den Rändern des polnischen Kessels auf den Hauptstrom in
der Gegend von Warschau zueilen." ... "Der Rand dieses Kessels wird gebildet
im Norden durch die preußische Seenplatte, im Osten durch die Hochfläche der
Podlachischen Sümpfe, Seen und Wälder von Augustowo bis Wlodawa am
Bug, im Süden durch das Gebirgsland der oberen Wieprz und der Lysa Gom
in Kleinpolen, endlich im Westen durch den von uns besprochenen Landrücken.
Der innerste Theil dieses Kessels wurde in vorhistorischer Zeit, ähnlich der
oberrheinischen Tiefebene, durch einen großen Landsee eingenommen, in den sich


Unsere geographische Ostgrenze ist, wie Niemann (S. 50 fg. a. a, O.) aus¬
führlich nachweist, nicht so verschwommen, wie man gewöhnlich meint, sondern
durch eine natürliche Marke klar vorgezeichnet. Diese Naturgrenze ist nicht die
Weichselspirale, sondern der Landrücken, der das Flußgebiet der Oder
und der unteren Weichsel vom Flußgebiet der mittleren Weichsel
scheidet. Derselbe beginnt, auf der großen Reymcmnschen Karte deutlich er¬
kennbar, nach Niemanns Angaben „auf dem oberschlesisch - polnischen Plateau
östlich von der Przemsa und zieht sich in streng nördlicher Richtung Und fast
in gerader Linie in einer Länge von 48 Meilen über die Weichsel weg an die
Soltau an der Grenze des ostpreußischen Kreises Neidenburg. Er ist als
Wasserscheide bedeutender als manches große Gebirge und erreicht im Süden
eine Höhe von 1200 Fuß über dem Spiegel der Ostsee." Zwischen den Quellen
der Schwarzen Przemsa und der Piliza 1173, bei den Warthaquellen 1000, bei
Petrikau 700, bei Neusulzfeld nicht weit von der großen Fabrikstadt Lodz 600
Fuß hoch, verliert er sich im Norden von Strykow in die Silnasümpfe und die
Moore der Bzura-senke, um jenseits derselben sich wieder zu erheben und zwischen
Gostynin und Gombin an die Weichsel vorzudringen, wo er den Charakter der
preußischen Seenplatte annimmt. - Bei Brzwilno östlich von Plock überschreitet
er die Weichsel und zieht sich alsdann nordwärts an die Soltau.

Dieser Landrücken ist geographisch deshalb so bedeutsam, weil von ihm
westlich alle Wasser nach Deutschland, in die Oder, respective in die untere
Weichsel abfließen, während sie östlich von ihm in die mittlere oder polnische
Weichsel münden. Durch die ihn im Westen und Osten begleitenden Thäler
der Wartha und Piliza mit deren Nebenflüssen tritt er aber auch in scharfer
Ausprägung hervor. „Er bietet statt der gegenwärtigen verzwickten Grenze von
75 Meilen Länge eine einfache Grenze von 44 Meilen und schließt Dobrzyn
und Nessau, die bis ins 15. Jahrhundert hinein zum Laude des deutschen
Ordens gehörten, wieder an das alte Stammland an."

Wichtiger noch als die hydrographische Bedeutung dieses Landrückens ist
dessen geologischer Einfluß. „Wer," so sagt Niemann, „eine Karte der Weichsel¬
spirale aufmerksam betrachtet, dem muß auffallen, daß alle Zuflüsse der mitt¬
leren Weichsel von den Rändern des polnischen Kessels auf den Hauptstrom in
der Gegend von Warschau zueilen." ... „Der Rand dieses Kessels wird gebildet
im Norden durch die preußische Seenplatte, im Osten durch die Hochfläche der
Podlachischen Sümpfe, Seen und Wälder von Augustowo bis Wlodawa am
Bug, im Süden durch das Gebirgsland der oberen Wieprz und der Lysa Gom
in Kleinpolen, endlich im Westen durch den von uns besprochenen Landrücken.
Der innerste Theil dieses Kessels wurde in vorhistorischer Zeit, ähnlich der
oberrheinischen Tiefebene, durch einen großen Landsee eingenommen, in den sich


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[0226] Unsere geographische Ostgrenze ist, wie Niemann (S. 50 fg. a. a, O.) aus¬ führlich nachweist, nicht so verschwommen, wie man gewöhnlich meint, sondern durch eine natürliche Marke klar vorgezeichnet. Diese Naturgrenze ist nicht die Weichselspirale, sondern der Landrücken, der das Flußgebiet der Oder und der unteren Weichsel vom Flußgebiet der mittleren Weichsel scheidet. Derselbe beginnt, auf der großen Reymcmnschen Karte deutlich er¬ kennbar, nach Niemanns Angaben „auf dem oberschlesisch - polnischen Plateau östlich von der Przemsa und zieht sich in streng nördlicher Richtung Und fast in gerader Linie in einer Länge von 48 Meilen über die Weichsel weg an die Soltau an der Grenze des ostpreußischen Kreises Neidenburg. Er ist als Wasserscheide bedeutender als manches große Gebirge und erreicht im Süden eine Höhe von 1200 Fuß über dem Spiegel der Ostsee." Zwischen den Quellen der Schwarzen Przemsa und der Piliza 1173, bei den Warthaquellen 1000, bei Petrikau 700, bei Neusulzfeld nicht weit von der großen Fabrikstadt Lodz 600 Fuß hoch, verliert er sich im Norden von Strykow in die Silnasümpfe und die Moore der Bzura-senke, um jenseits derselben sich wieder zu erheben und zwischen Gostynin und Gombin an die Weichsel vorzudringen, wo er den Charakter der preußischen Seenplatte annimmt. - Bei Brzwilno östlich von Plock überschreitet er die Weichsel und zieht sich alsdann nordwärts an die Soltau. Dieser Landrücken ist geographisch deshalb so bedeutsam, weil von ihm westlich alle Wasser nach Deutschland, in die Oder, respective in die untere Weichsel abfließen, während sie östlich von ihm in die mittlere oder polnische Weichsel münden. Durch die ihn im Westen und Osten begleitenden Thäler der Wartha und Piliza mit deren Nebenflüssen tritt er aber auch in scharfer Ausprägung hervor. „Er bietet statt der gegenwärtigen verzwickten Grenze von 75 Meilen Länge eine einfache Grenze von 44 Meilen und schließt Dobrzyn und Nessau, die bis ins 15. Jahrhundert hinein zum Laude des deutschen Ordens gehörten, wieder an das alte Stammland an." Wichtiger noch als die hydrographische Bedeutung dieses Landrückens ist dessen geologischer Einfluß. „Wer," so sagt Niemann, „eine Karte der Weichsel¬ spirale aufmerksam betrachtet, dem muß auffallen, daß alle Zuflüsse der mitt¬ leren Weichsel von den Rändern des polnischen Kessels auf den Hauptstrom in der Gegend von Warschau zueilen." ... „Der Rand dieses Kessels wird gebildet im Norden durch die preußische Seenplatte, im Osten durch die Hochfläche der Podlachischen Sümpfe, Seen und Wälder von Augustowo bis Wlodawa am Bug, im Süden durch das Gebirgsland der oberen Wieprz und der Lysa Gom in Kleinpolen, endlich im Westen durch den von uns besprochenen Landrücken. Der innerste Theil dieses Kessels wurde in vorhistorischer Zeit, ähnlich der oberrheinischen Tiefebene, durch einen großen Landsee eingenommen, in den sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/226>, abgerufen am 29.06.2024.