Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Träume, um nicht noch mehr Anlaß zu Unruhe zu geben. Vorgestern ging ich
nach Wenburg, um den Kaiser Alexander zu sehen, der durchreisen sollte, aber
nicht kam; und da erfuhr ich durch einen Freund im Vertrauen, von Dir gehe die
Sage, Du habest Dich zur katholischen Kirche bekannt. Diese Worte gingen mir
durchs Herz und ich war wie vom Schlage betroffen; mein ganzer Körper zitterte,
und als ich aufstand, war ich wie gelähmt. Ich äußerte, das könnte ich Dir nicht
zutrauen, daß Du so schlecht handeln und Dich selbst und Deinen Vater, Mutter
und Schwester so schänden und entehren könntest, ich kennte Dich zu gut. Es
wurde mir aber gesagt, daß es mehrere, die von Dresden zurückgekommen, für
gewiß gesagt, und selbst die Brüder der Freimaurerloge sprächen mit Bedauern
davon. ... Mein Herz war so voll Kummer, daß ich ohne Aufenthalt nach Hause
eilte. ... Ich suchte meinen Kummer zu Hause zu verhehlen, aber man sahe mir es
gleich beim Eintritt in die Stube an und fragte, was mir wiederfahren wäre?
Ich verschwieg es, und verwies sie zur Geduld bis auf den rechten Zeitpunkt. Ich
wußte mir keinen Trost, als darinne zu geben, daß es blose Sage sein könnte, dix
blos von Verleumdern herrühre, die Dich in der katholischen Kirche öfters gesehen
haben möchten, und daß ich Dir so eine Schlechtheit und Bubenstück gar nicht
zutraue und von Dir erwartete, daß Du Deinen redlichen Vater, der alles gern
für Dich aufgeopfert hat, durch so etwas bis zum Grabe kränken und Deine Mutter
und Schwester, die es auch so gut mit Dir meinen, betrüben und eine so große
Schande ans mich und sie bringen würdest, zumal da Du, wenn Du diesen ver¬
fluchungswürdigen Schritt thun würdest, wider alle innere Ueberzeugung handeln
und also Deinen Charakter auch als moralischer Philosoph ganz verleugnen und
beflecken würdest, wenn Dn, um Dein zeitliches Glück dadurch zu gründen, das
doch ungewiß wäre, Deinen Geist auf immer mit den bittersten und nagendsten
Vorwürfen beschweren und Dich bei der ganzen protestantischen und philosophischen
Welt verabscheuungswürdig macheu wolltest......Ich beschwöre Dich nun als
Vater bei dem Gotte, den Du glaubest, bei Deinem Gewissen, welches sich in Dir
reget, und bei den Banden, womit uns die Natur und Religion verbunden, die
Dir doch auch heilig sein werden, daß Du mir mit erstem Postgange schreibest und
wie ich wünsche, diese Sage wiederlegest und die Verläumder dann durch eine
öffentliche Annonce an den Pranger stellst. Nur dies wird mich beruhigen, und so
lange will ich auch meinen Kummer allein tragen . . . Gelee ich Dir noch etwas
und ist Dir Deine eigne Gemüthsruhe theuer, so stürze Dich nicht in jenes Laby¬
rinth von unseligen Gefahren. Bedenke, daß Du Gott und Menschen lügen und
Deinen Charakter beflecken würdest, wenn Du jenen Schritt thun wolltest."

Man hört es namentlich aus dem Schlüsse des Briefes heraus, daß der
Vater nicht sowohl glaubte, daß der für ihn so entsetzliche Schritt schon geschehen
sei, daß er aber doch fürchtete, sein Sohn, dessen freie Richtung seiner streng
religiösen Gesinnung schon oft Anlaß zu Klagen gegeben hatte, könnte sich doch
vielleicht zu einem Schritte hinreißen lassen, der ihm weit grauenvoller schien


Träume, um nicht noch mehr Anlaß zu Unruhe zu geben. Vorgestern ging ich
nach Wenburg, um den Kaiser Alexander zu sehen, der durchreisen sollte, aber
nicht kam; und da erfuhr ich durch einen Freund im Vertrauen, von Dir gehe die
Sage, Du habest Dich zur katholischen Kirche bekannt. Diese Worte gingen mir
durchs Herz und ich war wie vom Schlage betroffen; mein ganzer Körper zitterte,
und als ich aufstand, war ich wie gelähmt. Ich äußerte, das könnte ich Dir nicht
zutrauen, daß Du so schlecht handeln und Dich selbst und Deinen Vater, Mutter
und Schwester so schänden und entehren könntest, ich kennte Dich zu gut. Es
wurde mir aber gesagt, daß es mehrere, die von Dresden zurückgekommen, für
gewiß gesagt, und selbst die Brüder der Freimaurerloge sprächen mit Bedauern
davon. ... Mein Herz war so voll Kummer, daß ich ohne Aufenthalt nach Hause
eilte. ... Ich suchte meinen Kummer zu Hause zu verhehlen, aber man sahe mir es
gleich beim Eintritt in die Stube an und fragte, was mir wiederfahren wäre?
Ich verschwieg es, und verwies sie zur Geduld bis auf den rechten Zeitpunkt. Ich
wußte mir keinen Trost, als darinne zu geben, daß es blose Sage sein könnte, dix
blos von Verleumdern herrühre, die Dich in der katholischen Kirche öfters gesehen
haben möchten, und daß ich Dir so eine Schlechtheit und Bubenstück gar nicht
zutraue und von Dir erwartete, daß Du Deinen redlichen Vater, der alles gern
für Dich aufgeopfert hat, durch so etwas bis zum Grabe kränken und Deine Mutter
und Schwester, die es auch so gut mit Dir meinen, betrüben und eine so große
Schande ans mich und sie bringen würdest, zumal da Du, wenn Du diesen ver¬
fluchungswürdigen Schritt thun würdest, wider alle innere Ueberzeugung handeln
und also Deinen Charakter auch als moralischer Philosoph ganz verleugnen und
beflecken würdest, wenn Dn, um Dein zeitliches Glück dadurch zu gründen, das
doch ungewiß wäre, Deinen Geist auf immer mit den bittersten und nagendsten
Vorwürfen beschweren und Dich bei der ganzen protestantischen und philosophischen
Welt verabscheuungswürdig macheu wolltest......Ich beschwöre Dich nun als
Vater bei dem Gotte, den Du glaubest, bei Deinem Gewissen, welches sich in Dir
reget, und bei den Banden, womit uns die Natur und Religion verbunden, die
Dir doch auch heilig sein werden, daß Du mir mit erstem Postgange schreibest und
wie ich wünsche, diese Sage wiederlegest und die Verläumder dann durch eine
öffentliche Annonce an den Pranger stellst. Nur dies wird mich beruhigen, und so
lange will ich auch meinen Kummer allein tragen . . . Gelee ich Dir noch etwas
und ist Dir Deine eigne Gemüthsruhe theuer, so stürze Dich nicht in jenes Laby¬
rinth von unseligen Gefahren. Bedenke, daß Du Gott und Menschen lügen und
Deinen Charakter beflecken würdest, wenn Du jenen Schritt thun wolltest."

Man hört es namentlich aus dem Schlüsse des Briefes heraus, daß der
Vater nicht sowohl glaubte, daß der für ihn so entsetzliche Schritt schon geschehen
sei, daß er aber doch fürchtete, sein Sohn, dessen freie Richtung seiner streng
religiösen Gesinnung schon oft Anlaß zu Klagen gegeben hatte, könnte sich doch
vielleicht zu einem Schritte hinreißen lassen, der ihm weit grauenvoller schien


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146139"/>
          <p xml:id="ID_563" prev="#ID_562"> Träume, um nicht noch mehr Anlaß zu Unruhe zu geben. Vorgestern ging ich<lb/>
nach Wenburg, um den Kaiser Alexander zu sehen, der durchreisen sollte, aber<lb/>
nicht kam; und da erfuhr ich durch einen Freund im Vertrauen, von Dir gehe die<lb/>
Sage, Du habest Dich zur katholischen Kirche bekannt. Diese Worte gingen mir<lb/>
durchs Herz und ich war wie vom Schlage betroffen; mein ganzer Körper zitterte,<lb/>
und als ich aufstand, war ich wie gelähmt. Ich äußerte, das könnte ich Dir nicht<lb/>
zutrauen, daß Du so schlecht handeln und Dich selbst und Deinen Vater, Mutter<lb/>
und Schwester so schänden und entehren könntest, ich kennte Dich zu gut. Es<lb/>
wurde mir aber gesagt, daß es mehrere, die von Dresden zurückgekommen, für<lb/>
gewiß gesagt, und selbst die Brüder der Freimaurerloge sprächen mit Bedauern<lb/>
davon. ... Mein Herz war so voll Kummer, daß ich ohne Aufenthalt nach Hause<lb/>
eilte. ... Ich suchte meinen Kummer zu Hause zu verhehlen, aber man sahe mir es<lb/>
gleich beim Eintritt in die Stube an und fragte, was mir wiederfahren wäre?<lb/>
Ich verschwieg es, und verwies sie zur Geduld bis auf den rechten Zeitpunkt. Ich<lb/>
wußte mir keinen Trost, als darinne zu geben, daß es blose Sage sein könnte, dix<lb/>
blos von Verleumdern herrühre, die Dich in der katholischen Kirche öfters gesehen<lb/>
haben möchten, und daß ich Dir so eine Schlechtheit und Bubenstück gar nicht<lb/>
zutraue und von Dir erwartete, daß Du Deinen redlichen Vater, der alles gern<lb/>
für Dich aufgeopfert hat, durch so etwas bis zum Grabe kränken und Deine Mutter<lb/>
und Schwester, die es auch so gut mit Dir meinen, betrüben und eine so große<lb/>
Schande ans mich und sie bringen würdest, zumal da Du, wenn Du diesen ver¬<lb/>
fluchungswürdigen Schritt thun würdest, wider alle innere Ueberzeugung handeln<lb/>
und also Deinen Charakter auch als moralischer Philosoph ganz verleugnen und<lb/>
beflecken würdest, wenn Dn, um Dein zeitliches Glück dadurch zu gründen, das<lb/>
doch ungewiß wäre, Deinen Geist auf immer mit den bittersten und nagendsten<lb/>
Vorwürfen beschweren und Dich bei der ganzen protestantischen und philosophischen<lb/>
Welt verabscheuungswürdig macheu wolltest......Ich beschwöre Dich nun als<lb/>
Vater bei dem Gotte, den Du glaubest, bei Deinem Gewissen, welches sich in Dir<lb/>
reget, und bei den Banden, womit uns die Natur und Religion verbunden, die<lb/>
Dir doch auch heilig sein werden, daß Du mir mit erstem Postgange schreibest und<lb/>
wie ich wünsche, diese Sage wiederlegest und die Verläumder dann durch eine<lb/>
öffentliche Annonce an den Pranger stellst. Nur dies wird mich beruhigen, und so<lb/>
lange will ich auch meinen Kummer allein tragen . . . Gelee ich Dir noch etwas<lb/>
und ist Dir Deine eigne Gemüthsruhe theuer, so stürze Dich nicht in jenes Laby¬<lb/>
rinth von unseligen Gefahren. Bedenke, daß Du Gott und Menschen lügen und<lb/>
Deinen Charakter beflecken würdest, wenn Du jenen Schritt thun wolltest."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_564" next="#ID_565"> Man hört es namentlich aus dem Schlüsse des Briefes heraus, daß der<lb/>
Vater nicht sowohl glaubte, daß der für ihn so entsetzliche Schritt schon geschehen<lb/>
sei, daß er aber doch fürchtete, sein Sohn, dessen freie Richtung seiner streng<lb/>
religiösen Gesinnung schon oft Anlaß zu Klagen gegeben hatte, könnte sich doch<lb/>
vielleicht zu einem Schritte hinreißen lassen, der ihm weit grauenvoller schien</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] Träume, um nicht noch mehr Anlaß zu Unruhe zu geben. Vorgestern ging ich nach Wenburg, um den Kaiser Alexander zu sehen, der durchreisen sollte, aber nicht kam; und da erfuhr ich durch einen Freund im Vertrauen, von Dir gehe die Sage, Du habest Dich zur katholischen Kirche bekannt. Diese Worte gingen mir durchs Herz und ich war wie vom Schlage betroffen; mein ganzer Körper zitterte, und als ich aufstand, war ich wie gelähmt. Ich äußerte, das könnte ich Dir nicht zutrauen, daß Du so schlecht handeln und Dich selbst und Deinen Vater, Mutter und Schwester so schänden und entehren könntest, ich kennte Dich zu gut. Es wurde mir aber gesagt, daß es mehrere, die von Dresden zurückgekommen, für gewiß gesagt, und selbst die Brüder der Freimaurerloge sprächen mit Bedauern davon. ... Mein Herz war so voll Kummer, daß ich ohne Aufenthalt nach Hause eilte. ... Ich suchte meinen Kummer zu Hause zu verhehlen, aber man sahe mir es gleich beim Eintritt in die Stube an und fragte, was mir wiederfahren wäre? Ich verschwieg es, und verwies sie zur Geduld bis auf den rechten Zeitpunkt. Ich wußte mir keinen Trost, als darinne zu geben, daß es blose Sage sein könnte, dix blos von Verleumdern herrühre, die Dich in der katholischen Kirche öfters gesehen haben möchten, und daß ich Dir so eine Schlechtheit und Bubenstück gar nicht zutraue und von Dir erwartete, daß Du Deinen redlichen Vater, der alles gern für Dich aufgeopfert hat, durch so etwas bis zum Grabe kränken und Deine Mutter und Schwester, die es auch so gut mit Dir meinen, betrüben und eine so große Schande ans mich und sie bringen würdest, zumal da Du, wenn Du diesen ver¬ fluchungswürdigen Schritt thun würdest, wider alle innere Ueberzeugung handeln und also Deinen Charakter auch als moralischer Philosoph ganz verleugnen und beflecken würdest, wenn Dn, um Dein zeitliches Glück dadurch zu gründen, das doch ungewiß wäre, Deinen Geist auf immer mit den bittersten und nagendsten Vorwürfen beschweren und Dich bei der ganzen protestantischen und philosophischen Welt verabscheuungswürdig macheu wolltest......Ich beschwöre Dich nun als Vater bei dem Gotte, den Du glaubest, bei Deinem Gewissen, welches sich in Dir reget, und bei den Banden, womit uns die Natur und Religion verbunden, die Dir doch auch heilig sein werden, daß Du mir mit erstem Postgange schreibest und wie ich wünsche, diese Sage wiederlegest und die Verläumder dann durch eine öffentliche Annonce an den Pranger stellst. Nur dies wird mich beruhigen, und so lange will ich auch meinen Kummer allein tragen . . . Gelee ich Dir noch etwas und ist Dir Deine eigne Gemüthsruhe theuer, so stürze Dich nicht in jenes Laby¬ rinth von unseligen Gefahren. Bedenke, daß Du Gott und Menschen lügen und Deinen Charakter beflecken würdest, wenn Du jenen Schritt thun wolltest." Man hört es namentlich aus dem Schlüsse des Briefes heraus, daß der Vater nicht sowohl glaubte, daß der für ihn so entsetzliche Schritt schon geschehen sei, daß er aber doch fürchtete, sein Sohn, dessen freie Richtung seiner streng religiösen Gesinnung schon oft Anlaß zu Klagen gegeben hatte, könnte sich doch vielleicht zu einem Schritte hinreißen lassen, der ihm weit grauenvoller schien

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/210>, abgerufen am 03.07.2024.