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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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als der zeitliche Tod. Er hatte aber recht, wenn er den Trägern jenes Ge¬
rüchtes gesagt hatte, er kenne seinen Sohn zu gut, um ihm ein solches Buben¬
stück zuzutrauen. Alsbald antwortete denn auch Krause:

"Ich eile Ihren letzten Brief zu beantworten, der mich innig betrübt hat, da
er das zerrüttete Gemüth eines liebenden Vaters darstellt, aber auch erfreut, da er
wahre Liebe zu mir, einen festen ehrwürdigen Charakter und wahre Religiosität
ausspricht. Wohl mir und Ihnen, daß ich ihn auf eine erfreuliche Art beantworten
kann! Ich habe zwar viel äußere Noth gelitten und leide sie eben jetzt, aber das
kann ich mit einem Stolze, der einen: schwachen Menschen verzeihlich ist, wohl sagen:
diese Noth hat mich nie, mich nicht zur kleinsten moralischen Schlechtigkeit verleitet;
sie mag andauern, so lange sie will, und reden wie sie will, meine Menschenwürde,
meinen Glauben an Gott und das Göttliche in: Menschen wird sie nie erschüttern,
so lange mich Gott nicht verläßt und ich bei gesundem Verstände bin. Es ist mir
nie eingefallen, die katholische Kirchenparthei zu ergreifen; ich brauche, Gott sei
Dank! keinen menschlichen Vormund in Sachen der Religion, und erkenne, was die
religiöse Freiheit betrifft, weder die katholische noch irgend eine Kirchenparthei als
meinen Richter an. Ich denke und lebe in: rein evangelischen Geiste Jesu
Christi, verehre und achte das religiöse Streben aller kirchlichen Partheien und
bin der Ueberzeugung, daß sie, als Seelen, insgesammt untergehe:: müssen, und daß
der ganzen christlichen Kirche eine große, heilbringende Reform oder vielmehr Palin-
genesie, bevorsteht. Ich ehre in Luther, Calvin, Melanchthon und andern religiösen
Männern gerade diesen evangelischen Geist, sowie in jedem meiner Zeitge¬
nossen, wo ich ihn finde. Wenn Sie mein Innerstes so genau kannten, als ich es
wünschte, so würden Sie einsehen, wie unverwundbar ich gegen allen Sectengeist,
besonders den religiösen, als den unsinnigsten und abscheulichsten von allen, bin.
Mein äußeres Schicksal wende sich, wie und wohin es wolle, ich werde dereinst ge¬
wiß als freier, achtungswürdiger Mensch, voll frohen Hoffnungen auf Gott sterbe",
auf den ich einzig mein Vertrauen setze.

Die Vorsehung hat gewollt, daß ich Ihnen zeither, was man gewöhnlich so
nennt, wenig Freude habe machen können! Aber bedenken Sie, daß dieß nicht in
der Macht des Menschen steht! Kännten Sie mich genau, so würden Sie auf mich
ebenso stolz sein, als ich es auf Sie bin. Ich bin Mensch, habe noch Fehler, wie
andre, aber ich bin an Geist und Herzen gesund, und habe Vieles überwunden,
was dem Menschen zu überwinden, in unserer Zeit, so schwer fällt, und wem: Gott
hilft, hoffe ich auch noch besser zu werden, und der Menschheit bleibende Denkmale
meines Daseins zu hinterlassen."

Die Schwermuth, die sich, wie schon 1805, auch in diesen und den oben
angeführten Worten über seine freimaurerischen Schriften wieder bemerkbar
macht, und die auch später zu Zeiten erneut hervortritt, bekümmerte den Vater
tief, und er hörte nicht auf, alles, was ihm in der Handlungsweise des Sohnes


als der zeitliche Tod. Er hatte aber recht, wenn er den Trägern jenes Ge¬
rüchtes gesagt hatte, er kenne seinen Sohn zu gut, um ihm ein solches Buben¬
stück zuzutrauen. Alsbald antwortete denn auch Krause:

„Ich eile Ihren letzten Brief zu beantworten, der mich innig betrübt hat, da
er das zerrüttete Gemüth eines liebenden Vaters darstellt, aber auch erfreut, da er
wahre Liebe zu mir, einen festen ehrwürdigen Charakter und wahre Religiosität
ausspricht. Wohl mir und Ihnen, daß ich ihn auf eine erfreuliche Art beantworten
kann! Ich habe zwar viel äußere Noth gelitten und leide sie eben jetzt, aber das
kann ich mit einem Stolze, der einen: schwachen Menschen verzeihlich ist, wohl sagen:
diese Noth hat mich nie, mich nicht zur kleinsten moralischen Schlechtigkeit verleitet;
sie mag andauern, so lange sie will, und reden wie sie will, meine Menschenwürde,
meinen Glauben an Gott und das Göttliche in: Menschen wird sie nie erschüttern,
so lange mich Gott nicht verläßt und ich bei gesundem Verstände bin. Es ist mir
nie eingefallen, die katholische Kirchenparthei zu ergreifen; ich brauche, Gott sei
Dank! keinen menschlichen Vormund in Sachen der Religion, und erkenne, was die
religiöse Freiheit betrifft, weder die katholische noch irgend eine Kirchenparthei als
meinen Richter an. Ich denke und lebe in: rein evangelischen Geiste Jesu
Christi, verehre und achte das religiöse Streben aller kirchlichen Partheien und
bin der Ueberzeugung, daß sie, als Seelen, insgesammt untergehe:: müssen, und daß
der ganzen christlichen Kirche eine große, heilbringende Reform oder vielmehr Palin-
genesie, bevorsteht. Ich ehre in Luther, Calvin, Melanchthon und andern religiösen
Männern gerade diesen evangelischen Geist, sowie in jedem meiner Zeitge¬
nossen, wo ich ihn finde. Wenn Sie mein Innerstes so genau kannten, als ich es
wünschte, so würden Sie einsehen, wie unverwundbar ich gegen allen Sectengeist,
besonders den religiösen, als den unsinnigsten und abscheulichsten von allen, bin.
Mein äußeres Schicksal wende sich, wie und wohin es wolle, ich werde dereinst ge¬
wiß als freier, achtungswürdiger Mensch, voll frohen Hoffnungen auf Gott sterbe»,
auf den ich einzig mein Vertrauen setze.

Die Vorsehung hat gewollt, daß ich Ihnen zeither, was man gewöhnlich so
nennt, wenig Freude habe machen können! Aber bedenken Sie, daß dieß nicht in
der Macht des Menschen steht! Kännten Sie mich genau, so würden Sie auf mich
ebenso stolz sein, als ich es auf Sie bin. Ich bin Mensch, habe noch Fehler, wie
andre, aber ich bin an Geist und Herzen gesund, und habe Vieles überwunden,
was dem Menschen zu überwinden, in unserer Zeit, so schwer fällt, und wem: Gott
hilft, hoffe ich auch noch besser zu werden, und der Menschheit bleibende Denkmale
meines Daseins zu hinterlassen."

Die Schwermuth, die sich, wie schon 1805, auch in diesen und den oben
angeführten Worten über seine freimaurerischen Schriften wieder bemerkbar
macht, und die auch später zu Zeiten erneut hervortritt, bekümmerte den Vater
tief, und er hörte nicht auf, alles, was ihm in der Handlungsweise des Sohnes


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[0211] als der zeitliche Tod. Er hatte aber recht, wenn er den Trägern jenes Ge¬ rüchtes gesagt hatte, er kenne seinen Sohn zu gut, um ihm ein solches Buben¬ stück zuzutrauen. Alsbald antwortete denn auch Krause: „Ich eile Ihren letzten Brief zu beantworten, der mich innig betrübt hat, da er das zerrüttete Gemüth eines liebenden Vaters darstellt, aber auch erfreut, da er wahre Liebe zu mir, einen festen ehrwürdigen Charakter und wahre Religiosität ausspricht. Wohl mir und Ihnen, daß ich ihn auf eine erfreuliche Art beantworten kann! Ich habe zwar viel äußere Noth gelitten und leide sie eben jetzt, aber das kann ich mit einem Stolze, der einen: schwachen Menschen verzeihlich ist, wohl sagen: diese Noth hat mich nie, mich nicht zur kleinsten moralischen Schlechtigkeit verleitet; sie mag andauern, so lange sie will, und reden wie sie will, meine Menschenwürde, meinen Glauben an Gott und das Göttliche in: Menschen wird sie nie erschüttern, so lange mich Gott nicht verläßt und ich bei gesundem Verstände bin. Es ist mir nie eingefallen, die katholische Kirchenparthei zu ergreifen; ich brauche, Gott sei Dank! keinen menschlichen Vormund in Sachen der Religion, und erkenne, was die religiöse Freiheit betrifft, weder die katholische noch irgend eine Kirchenparthei als meinen Richter an. Ich denke und lebe in: rein evangelischen Geiste Jesu Christi, verehre und achte das religiöse Streben aller kirchlichen Partheien und bin der Ueberzeugung, daß sie, als Seelen, insgesammt untergehe:: müssen, und daß der ganzen christlichen Kirche eine große, heilbringende Reform oder vielmehr Palin- genesie, bevorsteht. Ich ehre in Luther, Calvin, Melanchthon und andern religiösen Männern gerade diesen evangelischen Geist, sowie in jedem meiner Zeitge¬ nossen, wo ich ihn finde. Wenn Sie mein Innerstes so genau kannten, als ich es wünschte, so würden Sie einsehen, wie unverwundbar ich gegen allen Sectengeist, besonders den religiösen, als den unsinnigsten und abscheulichsten von allen, bin. Mein äußeres Schicksal wende sich, wie und wohin es wolle, ich werde dereinst ge¬ wiß als freier, achtungswürdiger Mensch, voll frohen Hoffnungen auf Gott sterbe», auf den ich einzig mein Vertrauen setze. Die Vorsehung hat gewollt, daß ich Ihnen zeither, was man gewöhnlich so nennt, wenig Freude habe machen können! Aber bedenken Sie, daß dieß nicht in der Macht des Menschen steht! Kännten Sie mich genau, so würden Sie auf mich ebenso stolz sein, als ich es auf Sie bin. Ich bin Mensch, habe noch Fehler, wie andre, aber ich bin an Geist und Herzen gesund, und habe Vieles überwunden, was dem Menschen zu überwinden, in unserer Zeit, so schwer fällt, und wem: Gott hilft, hoffe ich auch noch besser zu werden, und der Menschheit bleibende Denkmale meines Daseins zu hinterlassen." Die Schwermuth, die sich, wie schon 1805, auch in diesen und den oben angeführten Worten über seine freimaurerischen Schriften wieder bemerkbar macht, und die auch später zu Zeiten erneut hervortritt, bekümmerte den Vater tief, und er hörte nicht auf, alles, was ihm in der Handlungsweise des Sohnes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/211>, abgerufen am 03.07.2024.