Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

leiten darstellen. Da ist zuerst das schwerwiegende Bedenken, daß der Staat
durch die Gründung einer derartigen Anstalt oder selbst durch die bloße For¬
derung, daß allenthalben Anstalten sür diesen Zweck ins Leben treten sollen,
einen mächtigen Einfluß auf die Lohnhöhe für sich in Anspruch nimmt, ja sogar
eine Art Garantie dafür übernimmt, daß der Arbeiter stets auf eine bestimmte
Lohnhöhe rechnen könne. Der vom Staate befohlene allgemeine Beitritt zu
solchen Kassen würde nicht nur das schrankenlose "Recht auf Arbeit" proclamiren,
sondern sogar das Recht des Arbeiters, stets eines so hohen Lohnes sicher zu
sein, daß daraus die geforderte Prämie gezahlt werden kann.

Man braucht diesen Satz nur auszusprechen, um sich einerseits von dem
durchaus Zwingenden, was in ihm liegt, und andrerseits von der platten Un¬
möglichkeit zu überzeuge", einem derartigen Ansprüche zu genügen. Selbst wenn
wir mit vollen Segeln in den socialistischen Staat hineinsteuern wollten, würde
es dennoch völlig gegenstandslos sein, eine derartige Möglichkeit ins Auge zu
fassen. Es ist aber doch zu bedenken, daß die Schwankungen von reichlichem
zu schlechtem Arbeitsverdienst und wieder zu gänzlicher Arbeitslosigkeit haupt¬
sächlich in der Fabrikindustrie vorkommen und hier wieder mit der bisher nicht
anerkannten, gleichwohl aber unseres Trachtens thatsächlich bestehenden Verpflich¬
tung des Fabrikbesitzers in Zusammenhang gebracht werden könnten, für den¬
jenigen Theil der von ihm geschaffenen Verhältnisse, welcher andernfalls der
Gesammtheit zur Last fallen müßte, rechtzeitig Vorsorge zu treffen; sei dies in
Gestalt einer Caution oder einer sür einen bestimmten Zeitraum ihm auszuer¬
legenden eventuellen Leistungspflicht, oder in sonstiger Weise. Aehnliche Auf¬
lagen könnten unter gewissen Voraussetzungen den Gemeinden gemacht und
dadurch für den Kreis derselben eine ähnliche Leistung sicher gestellt werden.
Endlich ist auch das denkbar, daß den Mitgliedern der Kasse für gewisse Fälle
eine bis auf mehrere Jahre sich erstreckende Zahlungsfrist gewährleistet werden
könnte, so daß schon alles Aergste zusammenkommen müßte, um das hier aus¬
gesprochene Bedenken praktisch werden zu lassen. Wenn der Himmel einfällt, so
schlägt er freilich alle Spatzen todt. Mag man übrigens sagen, was man will:
dieser Gesichtspunkt ist ein solcher, welcher wie eine Keule unter die unbeson¬
nenen Phantasien mancher Leute fährt und von dem ganzen glänzenden Ge¬
bäude nur noch eine ziemlich nebelhafte Möglichkeit übrig läßt.

Weniger zerschmetternd, aber doch gleichfalls sehr wuchtig tritt der zweite
gegnerische Gesichtspunkt in die Schranken, und für die stritten Anhänger der
heute noch vorherrschenden politisch-socialen Richtung ist er vielleicht von ebenso
großer Bedeutung. Kann es zweckmäßig sein, sagt man, eine höchst persönliche
Angelegenheit der Menschen, deren Erledigung an sich auf die mannigfachste
Weise denkbar ist, zu einem Gegenstande staatlicher Vorschrift zu machen? und


leiten darstellen. Da ist zuerst das schwerwiegende Bedenken, daß der Staat
durch die Gründung einer derartigen Anstalt oder selbst durch die bloße For¬
derung, daß allenthalben Anstalten sür diesen Zweck ins Leben treten sollen,
einen mächtigen Einfluß auf die Lohnhöhe für sich in Anspruch nimmt, ja sogar
eine Art Garantie dafür übernimmt, daß der Arbeiter stets auf eine bestimmte
Lohnhöhe rechnen könne. Der vom Staate befohlene allgemeine Beitritt zu
solchen Kassen würde nicht nur das schrankenlose „Recht auf Arbeit" proclamiren,
sondern sogar das Recht des Arbeiters, stets eines so hohen Lohnes sicher zu
sein, daß daraus die geforderte Prämie gezahlt werden kann.

Man braucht diesen Satz nur auszusprechen, um sich einerseits von dem
durchaus Zwingenden, was in ihm liegt, und andrerseits von der platten Un¬
möglichkeit zu überzeuge», einem derartigen Ansprüche zu genügen. Selbst wenn
wir mit vollen Segeln in den socialistischen Staat hineinsteuern wollten, würde
es dennoch völlig gegenstandslos sein, eine derartige Möglichkeit ins Auge zu
fassen. Es ist aber doch zu bedenken, daß die Schwankungen von reichlichem
zu schlechtem Arbeitsverdienst und wieder zu gänzlicher Arbeitslosigkeit haupt¬
sächlich in der Fabrikindustrie vorkommen und hier wieder mit der bisher nicht
anerkannten, gleichwohl aber unseres Trachtens thatsächlich bestehenden Verpflich¬
tung des Fabrikbesitzers in Zusammenhang gebracht werden könnten, für den¬
jenigen Theil der von ihm geschaffenen Verhältnisse, welcher andernfalls der
Gesammtheit zur Last fallen müßte, rechtzeitig Vorsorge zu treffen; sei dies in
Gestalt einer Caution oder einer sür einen bestimmten Zeitraum ihm auszuer¬
legenden eventuellen Leistungspflicht, oder in sonstiger Weise. Aehnliche Auf¬
lagen könnten unter gewissen Voraussetzungen den Gemeinden gemacht und
dadurch für den Kreis derselben eine ähnliche Leistung sicher gestellt werden.
Endlich ist auch das denkbar, daß den Mitgliedern der Kasse für gewisse Fälle
eine bis auf mehrere Jahre sich erstreckende Zahlungsfrist gewährleistet werden
könnte, so daß schon alles Aergste zusammenkommen müßte, um das hier aus¬
gesprochene Bedenken praktisch werden zu lassen. Wenn der Himmel einfällt, so
schlägt er freilich alle Spatzen todt. Mag man übrigens sagen, was man will:
dieser Gesichtspunkt ist ein solcher, welcher wie eine Keule unter die unbeson¬
nenen Phantasien mancher Leute fährt und von dem ganzen glänzenden Ge¬
bäude nur noch eine ziemlich nebelhafte Möglichkeit übrig läßt.

Weniger zerschmetternd, aber doch gleichfalls sehr wuchtig tritt der zweite
gegnerische Gesichtspunkt in die Schranken, und für die stritten Anhänger der
heute noch vorherrschenden politisch-socialen Richtung ist er vielleicht von ebenso
großer Bedeutung. Kann es zweckmäßig sein, sagt man, eine höchst persönliche
Angelegenheit der Menschen, deren Erledigung an sich auf die mannigfachste
Weise denkbar ist, zu einem Gegenstande staatlicher Vorschrift zu machen? und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146092"/>
          <p xml:id="ID_420" prev="#ID_419"> leiten darstellen. Da ist zuerst das schwerwiegende Bedenken, daß der Staat<lb/>
durch die Gründung einer derartigen Anstalt oder selbst durch die bloße For¬<lb/>
derung, daß allenthalben Anstalten sür diesen Zweck ins Leben treten sollen,<lb/>
einen mächtigen Einfluß auf die Lohnhöhe für sich in Anspruch nimmt, ja sogar<lb/>
eine Art Garantie dafür übernimmt, daß der Arbeiter stets auf eine bestimmte<lb/>
Lohnhöhe rechnen könne. Der vom Staate befohlene allgemeine Beitritt zu<lb/>
solchen Kassen würde nicht nur das schrankenlose &#x201E;Recht auf Arbeit" proclamiren,<lb/>
sondern sogar das Recht des Arbeiters, stets eines so hohen Lohnes sicher zu<lb/>
sein, daß daraus die geforderte Prämie gezahlt werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421"> Man braucht diesen Satz nur auszusprechen, um sich einerseits von dem<lb/>
durchaus Zwingenden, was in ihm liegt, und andrerseits von der platten Un¬<lb/>
möglichkeit zu überzeuge», einem derartigen Ansprüche zu genügen. Selbst wenn<lb/>
wir mit vollen Segeln in den socialistischen Staat hineinsteuern wollten, würde<lb/>
es dennoch völlig gegenstandslos sein, eine derartige Möglichkeit ins Auge zu<lb/>
fassen. Es ist aber doch zu bedenken, daß die Schwankungen von reichlichem<lb/>
zu schlechtem Arbeitsverdienst und wieder zu gänzlicher Arbeitslosigkeit haupt¬<lb/>
sächlich in der Fabrikindustrie vorkommen und hier wieder mit der bisher nicht<lb/>
anerkannten, gleichwohl aber unseres Trachtens thatsächlich bestehenden Verpflich¬<lb/>
tung des Fabrikbesitzers in Zusammenhang gebracht werden könnten, für den¬<lb/>
jenigen Theil der von ihm geschaffenen Verhältnisse, welcher andernfalls der<lb/>
Gesammtheit zur Last fallen müßte, rechtzeitig Vorsorge zu treffen; sei dies in<lb/>
Gestalt einer Caution oder einer sür einen bestimmten Zeitraum ihm auszuer¬<lb/>
legenden eventuellen Leistungspflicht, oder in sonstiger Weise. Aehnliche Auf¬<lb/>
lagen könnten unter gewissen Voraussetzungen den Gemeinden gemacht und<lb/>
dadurch für den Kreis derselben eine ähnliche Leistung sicher gestellt werden.<lb/>
Endlich ist auch das denkbar, daß den Mitgliedern der Kasse für gewisse Fälle<lb/>
eine bis auf mehrere Jahre sich erstreckende Zahlungsfrist gewährleistet werden<lb/>
könnte, so daß schon alles Aergste zusammenkommen müßte, um das hier aus¬<lb/>
gesprochene Bedenken praktisch werden zu lassen. Wenn der Himmel einfällt, so<lb/>
schlägt er freilich alle Spatzen todt. Mag man übrigens sagen, was man will:<lb/>
dieser Gesichtspunkt ist ein solcher, welcher wie eine Keule unter die unbeson¬<lb/>
nenen Phantasien mancher Leute fährt und von dem ganzen glänzenden Ge¬<lb/>
bäude nur noch eine ziemlich nebelhafte Möglichkeit übrig läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422" next="#ID_423"> Weniger zerschmetternd, aber doch gleichfalls sehr wuchtig tritt der zweite<lb/>
gegnerische Gesichtspunkt in die Schranken, und für die stritten Anhänger der<lb/>
heute noch vorherrschenden politisch-socialen Richtung ist er vielleicht von ebenso<lb/>
großer Bedeutung. Kann es zweckmäßig sein, sagt man, eine höchst persönliche<lb/>
Angelegenheit der Menschen, deren Erledigung an sich auf die mannigfachste<lb/>
Weise denkbar ist, zu einem Gegenstande staatlicher Vorschrift zu machen? und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] leiten darstellen. Da ist zuerst das schwerwiegende Bedenken, daß der Staat durch die Gründung einer derartigen Anstalt oder selbst durch die bloße For¬ derung, daß allenthalben Anstalten sür diesen Zweck ins Leben treten sollen, einen mächtigen Einfluß auf die Lohnhöhe für sich in Anspruch nimmt, ja sogar eine Art Garantie dafür übernimmt, daß der Arbeiter stets auf eine bestimmte Lohnhöhe rechnen könne. Der vom Staate befohlene allgemeine Beitritt zu solchen Kassen würde nicht nur das schrankenlose „Recht auf Arbeit" proclamiren, sondern sogar das Recht des Arbeiters, stets eines so hohen Lohnes sicher zu sein, daß daraus die geforderte Prämie gezahlt werden kann. Man braucht diesen Satz nur auszusprechen, um sich einerseits von dem durchaus Zwingenden, was in ihm liegt, und andrerseits von der platten Un¬ möglichkeit zu überzeuge», einem derartigen Ansprüche zu genügen. Selbst wenn wir mit vollen Segeln in den socialistischen Staat hineinsteuern wollten, würde es dennoch völlig gegenstandslos sein, eine derartige Möglichkeit ins Auge zu fassen. Es ist aber doch zu bedenken, daß die Schwankungen von reichlichem zu schlechtem Arbeitsverdienst und wieder zu gänzlicher Arbeitslosigkeit haupt¬ sächlich in der Fabrikindustrie vorkommen und hier wieder mit der bisher nicht anerkannten, gleichwohl aber unseres Trachtens thatsächlich bestehenden Verpflich¬ tung des Fabrikbesitzers in Zusammenhang gebracht werden könnten, für den¬ jenigen Theil der von ihm geschaffenen Verhältnisse, welcher andernfalls der Gesammtheit zur Last fallen müßte, rechtzeitig Vorsorge zu treffen; sei dies in Gestalt einer Caution oder einer sür einen bestimmten Zeitraum ihm auszuer¬ legenden eventuellen Leistungspflicht, oder in sonstiger Weise. Aehnliche Auf¬ lagen könnten unter gewissen Voraussetzungen den Gemeinden gemacht und dadurch für den Kreis derselben eine ähnliche Leistung sicher gestellt werden. Endlich ist auch das denkbar, daß den Mitgliedern der Kasse für gewisse Fälle eine bis auf mehrere Jahre sich erstreckende Zahlungsfrist gewährleistet werden könnte, so daß schon alles Aergste zusammenkommen müßte, um das hier aus¬ gesprochene Bedenken praktisch werden zu lassen. Wenn der Himmel einfällt, so schlägt er freilich alle Spatzen todt. Mag man übrigens sagen, was man will: dieser Gesichtspunkt ist ein solcher, welcher wie eine Keule unter die unbeson¬ nenen Phantasien mancher Leute fährt und von dem ganzen glänzenden Ge¬ bäude nur noch eine ziemlich nebelhafte Möglichkeit übrig läßt. Weniger zerschmetternd, aber doch gleichfalls sehr wuchtig tritt der zweite gegnerische Gesichtspunkt in die Schranken, und für die stritten Anhänger der heute noch vorherrschenden politisch-socialen Richtung ist er vielleicht von ebenso großer Bedeutung. Kann es zweckmäßig sein, sagt man, eine höchst persönliche Angelegenheit der Menschen, deren Erledigung an sich auf die mannigfachste Weise denkbar ist, zu einem Gegenstande staatlicher Vorschrift zu machen? und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/163>, abgerufen am 22.07.2024.