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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sie aber selbstverständlich anderen nicht voranstellen konnte, so erregte das bei
einer starken Partei unter den Russen Mißstimmung, die sich um so lauter und
ungeberdiger äußerte, als diese Partei den Deutschen schon seit Jahren nicht
wohlwollte. Fürst Gortschakoff, dem es mit seinen Plänen auf der Balkan-
Halbinsel, Plänen, die im Sinne jener Partei concipirt waren, nicht nach Wunsch
ergangen war, und der doch auch gern den Ruhm eines großen Staatsmanns
gewonnen hätte, trat, Unterstützung durch einflußreiche Persönlichkeiten hinter sich
wissend, mehr oder minder deutlich als Wortführer für diese feindselige Stimmung
ans. Ein Zeitnngskrieg entspann sich, man coquettirte russischerseits mit Frankreich,
man arbeitete auf ein Bündniß mit demselben hin, ohne Erfolg zu erreichen,
man nahm eine drohende Haltung an, man rüstete, wie es schien, um Konstan¬
tinopel in Berlin und Wien zu erobern. Die Antwort darauf war die Reise
des deutschen Reichskanzlers nach Wien, wo durch Graf Andrassy schon seit
Jahren die Ausbildung freundschaftlicher Verhältnisse zum neuen deutschen Reiche
begonnen und gefördert worden war, und wo man seit dem Ausgange des
Krieges zwischen Rußland und der Pforte gleichfalls Ursache hatte, von jenem
einen Angriff zu befürchten. Ob in Wien ein förmliches Bündniß zwischen den
beiden Großmächten Mitteleuropas abgeschlossen worden, blieb dunkel. Sicher
aber ist, daß ein befriedigendes EinVerständniß beider erzielt wurde, welches die
Nothwendigkeit gemeinsamen Handelns für den Fall einer ernsten Bedrohung
eines der beiden Theile von außen, die Art und Weise des für solche Fälle
erforderlichen Vorgehens und überhaupt die Erhaltung und Vertheidigung des
europäischen Friedens durch ein Zusammenhalten Oesterreich-Ungarns und
Deutschlands in großen Zügen feststellte. Der langjährige Antagonismus
zwischen den beiden auf einander angewiesenen Mächten, der auch nach dem Prager
Frieden fortgewährt hatte, war damit begraben, eine fast absolute Sicherheit für
die Nationen Mitteleuropas nach Osten wie nach Westen hin gewonnen, und
das Doppelreich an der Donau hatte fortan keinerlei ernsthafte Störung zu
befürchten, wenn es im Einklang mit dem Berliner Uebereinkommen die seiner
im Südosten harrenden Aufgaben weiter ihrer endgiltigen Lösung entgegenzu¬
führen strebte.

Diese Aufgaben waren im Jahre vorher durch die Besetzung Bosniens in
Angriff genommen worden und wurden im letztverflossenen durch die Occupation
des Sandschaks Novibazar weiter erfüllt, welches die Slawen in Serbien von
denen in Montenegro trennt und bis zu einem gewissen Grade die große Straße
beherrscht, die quer durch die Balkanländer von Norden nach Süden und dem
Aegeischen Meere führt. Nach Erledigung dieser Angelegenheit trat Andrassy,
der langjährige Leiter der auswärtigen Politik Oesterreich-Ungarns, ins Privat¬
leben zurück und machte dabei einem gleichgesinnten Nachfolger Platz. Auge-


sie aber selbstverständlich anderen nicht voranstellen konnte, so erregte das bei
einer starken Partei unter den Russen Mißstimmung, die sich um so lauter und
ungeberdiger äußerte, als diese Partei den Deutschen schon seit Jahren nicht
wohlwollte. Fürst Gortschakoff, dem es mit seinen Plänen auf der Balkan-
Halbinsel, Plänen, die im Sinne jener Partei concipirt waren, nicht nach Wunsch
ergangen war, und der doch auch gern den Ruhm eines großen Staatsmanns
gewonnen hätte, trat, Unterstützung durch einflußreiche Persönlichkeiten hinter sich
wissend, mehr oder minder deutlich als Wortführer für diese feindselige Stimmung
ans. Ein Zeitnngskrieg entspann sich, man coquettirte russischerseits mit Frankreich,
man arbeitete auf ein Bündniß mit demselben hin, ohne Erfolg zu erreichen,
man nahm eine drohende Haltung an, man rüstete, wie es schien, um Konstan¬
tinopel in Berlin und Wien zu erobern. Die Antwort darauf war die Reise
des deutschen Reichskanzlers nach Wien, wo durch Graf Andrassy schon seit
Jahren die Ausbildung freundschaftlicher Verhältnisse zum neuen deutschen Reiche
begonnen und gefördert worden war, und wo man seit dem Ausgange des
Krieges zwischen Rußland und der Pforte gleichfalls Ursache hatte, von jenem
einen Angriff zu befürchten. Ob in Wien ein förmliches Bündniß zwischen den
beiden Großmächten Mitteleuropas abgeschlossen worden, blieb dunkel. Sicher
aber ist, daß ein befriedigendes EinVerständniß beider erzielt wurde, welches die
Nothwendigkeit gemeinsamen Handelns für den Fall einer ernsten Bedrohung
eines der beiden Theile von außen, die Art und Weise des für solche Fälle
erforderlichen Vorgehens und überhaupt die Erhaltung und Vertheidigung des
europäischen Friedens durch ein Zusammenhalten Oesterreich-Ungarns und
Deutschlands in großen Zügen feststellte. Der langjährige Antagonismus
zwischen den beiden auf einander angewiesenen Mächten, der auch nach dem Prager
Frieden fortgewährt hatte, war damit begraben, eine fast absolute Sicherheit für
die Nationen Mitteleuropas nach Osten wie nach Westen hin gewonnen, und
das Doppelreich an der Donau hatte fortan keinerlei ernsthafte Störung zu
befürchten, wenn es im Einklang mit dem Berliner Uebereinkommen die seiner
im Südosten harrenden Aufgaben weiter ihrer endgiltigen Lösung entgegenzu¬
führen strebte.

Diese Aufgaben waren im Jahre vorher durch die Besetzung Bosniens in
Angriff genommen worden und wurden im letztverflossenen durch die Occupation
des Sandschaks Novibazar weiter erfüllt, welches die Slawen in Serbien von
denen in Montenegro trennt und bis zu einem gewissen Grade die große Straße
beherrscht, die quer durch die Balkanländer von Norden nach Süden und dem
Aegeischen Meere führt. Nach Erledigung dieser Angelegenheit trat Andrassy,
der langjährige Leiter der auswärtigen Politik Oesterreich-Ungarns, ins Privat¬
leben zurück und machte dabei einem gleichgesinnten Nachfolger Platz. Auge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/13>, abgerufen am 03.07.2024.