Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.So sprach der Abgott der Demokraten von einem Manne, von dem man "Unter den von Ludwig Tieck hinterlassenen Briefschaften, welche ich auf Der beiliegende Brief Humboldts an Tieck lautete: "Theurer, verehrter Die Anführung der Anerbietungen eines Dr. Böttcher und der Ausruf des *) Die aber doch wohl nicht in den Fingerspitzen oder der großen Zehe, sondern im
Herzen Platz genommen hatte. So sprach der Abgott der Demokraten von einem Manne, von dem man „Unter den von Ludwig Tieck hinterlassenen Briefschaften, welche ich auf Der beiliegende Brief Humboldts an Tieck lautete: „Theurer, verehrter Die Anführung der Anerbietungen eines Dr. Böttcher und der Ausruf des *) Die aber doch wohl nicht in den Fingerspitzen oder der großen Zehe, sondern im
Herzen Platz genommen hatte. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146047"/> <p xml:id="ID_288"> So sprach der Abgott der Demokraten von einem Manne, von dem man<lb/> allem Anschein nach glauben mußte, Humboldt sei ihm mit innigster Neigung<lb/> zugethan. Schneider gewöhnte sich später an diese hämische Unterhaltungsweise<lb/> der Excellenz, konnte aber in seiner Arglosigkeit und bei seiner Verehrung vor<lb/> Humboldt immer noch nicht fürchten, daß dessen Malice sich auch gegen ihn<lb/> selbst richte. Erst nach Humboldts Tode und nach dem Erscheinen der Varu-<lb/> hagenschen Briefe bekam er den Beweis in die Hände, daß die Freundlichkeit<lb/> des großen Mannes auch ihm gegenüber eine gezwungene und der Deckmantel<lb/> von Uebelwollen und Geringschätzung gewesen waren. Schneider empfing da¬<lb/> mals von Karl v. Holtet in Breslau folgendes Schreiben:</p><lb/> <p xml:id="ID_289"> „Unter den von Ludwig Tieck hinterlassenen Briefschaften, welche ich auf<lb/> den Wunsch seiner Tochter für den Druck ordne, befinden sich allerlei Morgen-<lb/> billetchen Alexanders v. Humboldt, in denen es, wie Sie denken können, nicht<lb/> an solchen fehlt, wo die Krallen aus deu sammtenen Katzenpfötchen herauskratzen.<lb/> Wiewohl ich nun weit entfernt bin, dergleichen Neckereien dem Herzen des<lb/> großen Mannes anzurechnen, sondern sie vielmehr mit einer ihm zur zweiten<lb/> Natur gewordenen Gewohnheit") entschuldige, bin ich doch fest entschlossen, alles<lb/> wegzulassen, was den durch Varnhagen schon mehr als zu viel Verdächtigten<lb/> noch weiterhin verdächtigen könnte. Ich zweifle nicht, daß er auch Ihnen, wenn<lb/> er beim Könige mit Ihnen zusammentraf, stets nur das streichelnde Sammet-<lb/> pfötchen gezeigt haben wird, sodaß Sie sich vielleicht durch beiliegende Spuren<lb/> der Krallen unangenehm berührt fühlen. Jedenfalls ist es besser, daß diese<lb/> kleine Perfidie unter uns bleibt, und ich war schon vor acht Tagen, wo ich diese<lb/> Zeilen dechiffrirte, entschlossen, sie Ihnen zu übersenden — zu beliebigem Ge¬<lb/> brauche."</p><lb/> <p xml:id="ID_290"> Der beiliegende Brief Humboldts an Tieck lautete: „Theurer, verehrter<lb/> Freund! Eine starke Erkältung, die mir die nothwendigen und häufigen Eisen¬<lb/> bahnreisen zugezogen, hindert mich heute, Ihnen das Hohe Lied selbst zu bringen.<lb/> Ich habe heute wieder auf mehrere Briefe und Korrespondenzen des vortreff¬<lb/> lichen Dr. Böttcher freundlichst geantwortet. Der Mann träumt poetische Vor¬<lb/> lesungen, wo es sich um Sein und Nichtsein handelt, und wo die ,größte<lb/> Wonne' (wir hatten sie noch gestern) das jämmerliche Pathos und die bühnen¬<lb/> historischen Späßchen des patriotischen und militärischen Schauspielers Schneider<lb/> sind. Ich gehe unter. Sie rettet geistig Ihre Einsamkeit. Mit alter, unver¬<lb/> brüchlicher Verehrung Ihr Humboldt."</p><lb/> <p xml:id="ID_291" next="#ID_292"> Die Anführung der Anerbietungen eines Dr. Böttcher und der Ausruf des<lb/> Königs: „Es ist meine größte Wonne, wenn Schneider uns etwas vorliest",</p><lb/> <note xml:id="FID_7" place="foot"> *) Die aber doch wohl nicht in den Fingerspitzen oder der großen Zehe, sondern im<lb/> Herzen Platz genommen hatte.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
So sprach der Abgott der Demokraten von einem Manne, von dem man
allem Anschein nach glauben mußte, Humboldt sei ihm mit innigster Neigung
zugethan. Schneider gewöhnte sich später an diese hämische Unterhaltungsweise
der Excellenz, konnte aber in seiner Arglosigkeit und bei seiner Verehrung vor
Humboldt immer noch nicht fürchten, daß dessen Malice sich auch gegen ihn
selbst richte. Erst nach Humboldts Tode und nach dem Erscheinen der Varu-
hagenschen Briefe bekam er den Beweis in die Hände, daß die Freundlichkeit
des großen Mannes auch ihm gegenüber eine gezwungene und der Deckmantel
von Uebelwollen und Geringschätzung gewesen waren. Schneider empfing da¬
mals von Karl v. Holtet in Breslau folgendes Schreiben:
„Unter den von Ludwig Tieck hinterlassenen Briefschaften, welche ich auf
den Wunsch seiner Tochter für den Druck ordne, befinden sich allerlei Morgen-
billetchen Alexanders v. Humboldt, in denen es, wie Sie denken können, nicht
an solchen fehlt, wo die Krallen aus deu sammtenen Katzenpfötchen herauskratzen.
Wiewohl ich nun weit entfernt bin, dergleichen Neckereien dem Herzen des
großen Mannes anzurechnen, sondern sie vielmehr mit einer ihm zur zweiten
Natur gewordenen Gewohnheit") entschuldige, bin ich doch fest entschlossen, alles
wegzulassen, was den durch Varnhagen schon mehr als zu viel Verdächtigten
noch weiterhin verdächtigen könnte. Ich zweifle nicht, daß er auch Ihnen, wenn
er beim Könige mit Ihnen zusammentraf, stets nur das streichelnde Sammet-
pfötchen gezeigt haben wird, sodaß Sie sich vielleicht durch beiliegende Spuren
der Krallen unangenehm berührt fühlen. Jedenfalls ist es besser, daß diese
kleine Perfidie unter uns bleibt, und ich war schon vor acht Tagen, wo ich diese
Zeilen dechiffrirte, entschlossen, sie Ihnen zu übersenden — zu beliebigem Ge¬
brauche."
Der beiliegende Brief Humboldts an Tieck lautete: „Theurer, verehrter
Freund! Eine starke Erkältung, die mir die nothwendigen und häufigen Eisen¬
bahnreisen zugezogen, hindert mich heute, Ihnen das Hohe Lied selbst zu bringen.
Ich habe heute wieder auf mehrere Briefe und Korrespondenzen des vortreff¬
lichen Dr. Böttcher freundlichst geantwortet. Der Mann träumt poetische Vor¬
lesungen, wo es sich um Sein und Nichtsein handelt, und wo die ,größte
Wonne' (wir hatten sie noch gestern) das jämmerliche Pathos und die bühnen¬
historischen Späßchen des patriotischen und militärischen Schauspielers Schneider
sind. Ich gehe unter. Sie rettet geistig Ihre Einsamkeit. Mit alter, unver¬
brüchlicher Verehrung Ihr Humboldt."
Die Anführung der Anerbietungen eines Dr. Böttcher und der Ausruf des
Königs: „Es ist meine größte Wonne, wenn Schneider uns etwas vorliest",
*) Die aber doch wohl nicht in den Fingerspitzen oder der großen Zehe, sondern im
Herzen Platz genommen hatte.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |