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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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wiesen den nicht datirten Brief einem Tage zu, wo Humboldt Tags vorher
seinen "theuren, unverbrüchlich verehrten Freund" Tieck in der Unterhaltung
mit Schneider einen "alten Narren" genannt hatte. Wenn der Ton auf die
Worte patriotisch und militärisch gelegt wurde, so weiß man, daß Humboldt
weder Patriot noch ein Freund des Militärs war, und daß Schneider ihm des¬
halb noch neben seiner Eigenschaft als Concurrent doppelt verhaßt sein mußte.
Wenn er ausruft: "Ich gehe unter", so meint er seine frühere Alleinherrschaft
über die Unterhaltung am Theetische des Königs. Als Schneiders Vorträge
sich oft wiederholten, verhehlte er auch am Hofe sein Mißbehagen nicht. "Er
begann zum Beispiel," so erzählen unsere Memoiren, "noch ehe ich hereingerufen
wurde, einen für den König oder den Hof besonders interessanten Artikel aus
einer mitgebrachten französischen Zeitung oder den Brief irgend eines berühmten
Mannes an ihn vorzulesen, aber kaum war der Thee getrunken, so unterbrach
ihn der König: ,Das andere können Sie uns ja morgen mittheilen; heute liest
uns Schneider etwas vor/ Auch während des Abendessens versuchte er einen
andern Gegenstand zur Sprache zu bringen; sowie indeß die Couverts fortge¬
nommen waren, kam auch schon die Aufforderung: ,Nun, Schneider, fahren
Sie fort!^" Was war natürlicher, als daß Schneider ihm unausstehlich wurde?
Niemals aber ließ er dies merken. "Er sprach," erzählt unser Memoirenschreiber,
"gewöhnlich spanisch mit mir, da er aus einem meiner Vorträge erkannt hatte,
daß ich dieser Sprache mächtig sei, und es schien ihm eine ganz absonderliche
Freude zu machen, sich in einem allen Nahestehenden unverständlichen Idiome
über Personen der Gesellschaft, den wachthabenden Offizier, die Kammerherren
und selbst über Höherstehende spöttisch zu äußern. Ich will ihm nicht nach¬
ahmen, sonst könnte ich in der That Unglaubliches erzählen. An Niebuhr hatte
er nun seinen Mann gefunden", und es scheint, als ob der König sich darüber
gefreut hätte, wenn Humboldt in solchen Fällen vor den gelehrten Citaten Nie-
buhrs verstummen mußte.

Wenn Varnhagen gemeint haben sollte, Humboldt sei wenigstens ihm ein
ehrlicher Freund gewesen, so würde er sich ebenso getäuscht haben wie die Vielen,
die während seines Lebens diese Freundschaft für echt angesehen haben werden.
Schneider schreibt: "Zu mir sagte v. Humboldt einmal: Mrnhagen treibt
ja auch Russisch. Vielleicht will er bei den Russen seine diplomatischen Talente
verwerthen, weil hier doch niemand etwas von ihnen wissen will/ Da ich
Herrn Varnhagen v. Ense nicht kannte, so ging diese Aeußerung unbeachtet an
mir vorüber. Als aber jene Humboldtsche Correspondenz mit ihm erschien,
stand sie plötzlich vor meinem Gedächtniß, und ich fragte mich: Was kann den
bevorzugten, beneideten, über alles Kleinliche so erhaben gestellten Mann zu
solcher Doppelzüngigkeit und Perfidie bewogen haben?"


wiesen den nicht datirten Brief einem Tage zu, wo Humboldt Tags vorher
seinen „theuren, unverbrüchlich verehrten Freund" Tieck in der Unterhaltung
mit Schneider einen „alten Narren" genannt hatte. Wenn der Ton auf die
Worte patriotisch und militärisch gelegt wurde, so weiß man, daß Humboldt
weder Patriot noch ein Freund des Militärs war, und daß Schneider ihm des¬
halb noch neben seiner Eigenschaft als Concurrent doppelt verhaßt sein mußte.
Wenn er ausruft: „Ich gehe unter", so meint er seine frühere Alleinherrschaft
über die Unterhaltung am Theetische des Königs. Als Schneiders Vorträge
sich oft wiederholten, verhehlte er auch am Hofe sein Mißbehagen nicht. „Er
begann zum Beispiel," so erzählen unsere Memoiren, „noch ehe ich hereingerufen
wurde, einen für den König oder den Hof besonders interessanten Artikel aus
einer mitgebrachten französischen Zeitung oder den Brief irgend eines berühmten
Mannes an ihn vorzulesen, aber kaum war der Thee getrunken, so unterbrach
ihn der König: ,Das andere können Sie uns ja morgen mittheilen; heute liest
uns Schneider etwas vor/ Auch während des Abendessens versuchte er einen
andern Gegenstand zur Sprache zu bringen; sowie indeß die Couverts fortge¬
nommen waren, kam auch schon die Aufforderung: ,Nun, Schneider, fahren
Sie fort!^" Was war natürlicher, als daß Schneider ihm unausstehlich wurde?
Niemals aber ließ er dies merken. „Er sprach," erzählt unser Memoirenschreiber,
„gewöhnlich spanisch mit mir, da er aus einem meiner Vorträge erkannt hatte,
daß ich dieser Sprache mächtig sei, und es schien ihm eine ganz absonderliche
Freude zu machen, sich in einem allen Nahestehenden unverständlichen Idiome
über Personen der Gesellschaft, den wachthabenden Offizier, die Kammerherren
und selbst über Höherstehende spöttisch zu äußern. Ich will ihm nicht nach¬
ahmen, sonst könnte ich in der That Unglaubliches erzählen. An Niebuhr hatte
er nun seinen Mann gefunden", und es scheint, als ob der König sich darüber
gefreut hätte, wenn Humboldt in solchen Fällen vor den gelehrten Citaten Nie-
buhrs verstummen mußte.

Wenn Varnhagen gemeint haben sollte, Humboldt sei wenigstens ihm ein
ehrlicher Freund gewesen, so würde er sich ebenso getäuscht haben wie die Vielen,
die während seines Lebens diese Freundschaft für echt angesehen haben werden.
Schneider schreibt: „Zu mir sagte v. Humboldt einmal: Mrnhagen treibt
ja auch Russisch. Vielleicht will er bei den Russen seine diplomatischen Talente
verwerthen, weil hier doch niemand etwas von ihnen wissen will/ Da ich
Herrn Varnhagen v. Ense nicht kannte, so ging diese Aeußerung unbeachtet an
mir vorüber. Als aber jene Humboldtsche Correspondenz mit ihm erschien,
stand sie plötzlich vor meinem Gedächtniß, und ich fragte mich: Was kann den
bevorzugten, beneideten, über alles Kleinliche so erhaben gestellten Mann zu
solcher Doppelzüngigkeit und Perfidie bewogen haben?"


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[0119] wiesen den nicht datirten Brief einem Tage zu, wo Humboldt Tags vorher seinen „theuren, unverbrüchlich verehrten Freund" Tieck in der Unterhaltung mit Schneider einen „alten Narren" genannt hatte. Wenn der Ton auf die Worte patriotisch und militärisch gelegt wurde, so weiß man, daß Humboldt weder Patriot noch ein Freund des Militärs war, und daß Schneider ihm des¬ halb noch neben seiner Eigenschaft als Concurrent doppelt verhaßt sein mußte. Wenn er ausruft: „Ich gehe unter", so meint er seine frühere Alleinherrschaft über die Unterhaltung am Theetische des Königs. Als Schneiders Vorträge sich oft wiederholten, verhehlte er auch am Hofe sein Mißbehagen nicht. „Er begann zum Beispiel," so erzählen unsere Memoiren, „noch ehe ich hereingerufen wurde, einen für den König oder den Hof besonders interessanten Artikel aus einer mitgebrachten französischen Zeitung oder den Brief irgend eines berühmten Mannes an ihn vorzulesen, aber kaum war der Thee getrunken, so unterbrach ihn der König: ,Das andere können Sie uns ja morgen mittheilen; heute liest uns Schneider etwas vor/ Auch während des Abendessens versuchte er einen andern Gegenstand zur Sprache zu bringen; sowie indeß die Couverts fortge¬ nommen waren, kam auch schon die Aufforderung: ,Nun, Schneider, fahren Sie fort!^" Was war natürlicher, als daß Schneider ihm unausstehlich wurde? Niemals aber ließ er dies merken. „Er sprach," erzählt unser Memoirenschreiber, „gewöhnlich spanisch mit mir, da er aus einem meiner Vorträge erkannt hatte, daß ich dieser Sprache mächtig sei, und es schien ihm eine ganz absonderliche Freude zu machen, sich in einem allen Nahestehenden unverständlichen Idiome über Personen der Gesellschaft, den wachthabenden Offizier, die Kammerherren und selbst über Höherstehende spöttisch zu äußern. Ich will ihm nicht nach¬ ahmen, sonst könnte ich in der That Unglaubliches erzählen. An Niebuhr hatte er nun seinen Mann gefunden", und es scheint, als ob der König sich darüber gefreut hätte, wenn Humboldt in solchen Fällen vor den gelehrten Citaten Nie- buhrs verstummen mußte. Wenn Varnhagen gemeint haben sollte, Humboldt sei wenigstens ihm ein ehrlicher Freund gewesen, so würde er sich ebenso getäuscht haben wie die Vielen, die während seines Lebens diese Freundschaft für echt angesehen haben werden. Schneider schreibt: „Zu mir sagte v. Humboldt einmal: Mrnhagen treibt ja auch Russisch. Vielleicht will er bei den Russen seine diplomatischen Talente verwerthen, weil hier doch niemand etwas von ihnen wissen will/ Da ich Herrn Varnhagen v. Ense nicht kannte, so ging diese Aeußerung unbeachtet an mir vorüber. Als aber jene Humboldtsche Correspondenz mit ihm erschien, stand sie plötzlich vor meinem Gedächtniß, und ich fragte mich: Was kann den bevorzugten, beneideten, über alles Kleinliche so erhaben gestellten Mann zu solcher Doppelzüngigkeit und Perfidie bewogen haben?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/119>, abgerufen am 22.07.2024.