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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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welchem wir auch dem Uebelstande häufiger begegnen, daß dieselben Thatsachen,
die der Verfasser in dem einen Aufsatze erzählt, in dem folgenden, ja bisweilen
noch in einem dritten wieder berichtet werden, und daß andrerseits oft auf
fernere Mittheilungen und darunter auf solche verwiesen wird, die vom Autor
nur beabsichtigt, aber nicht niedergeschrieben, wenigstens nicht in die vorliegende
Sammlung aufgenommen worden sind. (Vgl. S. 205 Anm.) Würde daher
eine Ueberarbeitung, die hier ausgeschieden, dort ergänzt hätte, dem Buche
wesentlich zu gute gekommen sein, und ist es zu bedauern, daß sie unterblieben
ist, so bleibt das Buch dessen ungeachtet eine willkommene Gabe; denn auch hier
wieder erfreuen neben der Befähigung des Verfassers, Dinge und Personen
wohl zu beobachten und festzuhalten, die Ehrlichkeit, der tapfere königstreue
Sinn, der stramme preußische Patriotismus und der gesunde, nur bisweilen
etwas flache Humor, die aus dem ersten Bande zu uns sprachen.

Die ersten drei Abschnitte führen uns in die Revolutionszeit von 1848
zurück und geben ein lebendiges Bild von den Thorheiten und Gemeinheiten,
denen sich ein großer Theil der Berliner in diesen aufgeregten Tagen überließ,
und von den Verfolgungen, denen alle damals ausgesetzt waren, die nicht in
das Horn der Führer der Bewegung zu blase" geneigt waren oder gar den¬
selben entgegenzuwirken den Muth besaßen. Die Rolle, die Schneider nach
seinen Berichten hierbei auf dem Theater und außerhalb desselben inmitten
vieler Verzagten gespielt, die Unerschrockenst, mit der er seine Gesinnung allen
Bedrohungen und Gefahren gegenüber öffentlich bekannt hat, das Geschick, mit
dem er den Wühlern entgegengetreten ist, sind in hohem Grade cmerkennens-
werth und lassen uns gern über kleine Schwächen, die neben so rühmlichen
Eigenschaften hergehen, hinwegsehen. Sehr wacker hält er sich als Schauspieler
im Vergleich mit ängstlichen Vorgesetzten und abtrünnigen Collegen. Ein Muster
volkstümlicher Beredtsamkeit ist die im Kapitel "Katzenmusiken" S. 61. ff. mit¬
getheilte Stegreifrede, die er im Pvsthofe in der Oranienburger Straße vom
Dache eines Postwagens herab an die versammelten Landwehrmänuer Berlins
gehalten hat, um gegen die Umtriebe der Braßscheu Rotte zu wirken, und mit
der er diese Umtriebe in der That lahmlegte. Höchst anschaulich ist die Schil¬
derung der Katzenmusik, die ihm dasür zu Theil wurde, und der Nachstellungen,
Mißhandlungen und Beleidigungen, mit denen er für seine furchtlose Opposition
gegen die Helden der Clubbs büßte, Beleidigungen, die ihm dann bis auf die
Hamburger Bühne folgten, und die ihn dort (vgl. S. 110 ff.) veranlaßten, der
Bühne auf immer Valet zu sagen. Seine Stimmung während dieser Auftritte
giebt der Verfasser so vortrefflich wieder, daß wir dieselben gewissermaßen mit ihm
erleben. Von geringerem Interesse ist der vierte Abschnitt, in welchem der Autor
erzählt, wie er das preußische Heer während des Feldzuges in Schleswig be-


welchem wir auch dem Uebelstande häufiger begegnen, daß dieselben Thatsachen,
die der Verfasser in dem einen Aufsatze erzählt, in dem folgenden, ja bisweilen
noch in einem dritten wieder berichtet werden, und daß andrerseits oft auf
fernere Mittheilungen und darunter auf solche verwiesen wird, die vom Autor
nur beabsichtigt, aber nicht niedergeschrieben, wenigstens nicht in die vorliegende
Sammlung aufgenommen worden sind. (Vgl. S. 205 Anm.) Würde daher
eine Ueberarbeitung, die hier ausgeschieden, dort ergänzt hätte, dem Buche
wesentlich zu gute gekommen sein, und ist es zu bedauern, daß sie unterblieben
ist, so bleibt das Buch dessen ungeachtet eine willkommene Gabe; denn auch hier
wieder erfreuen neben der Befähigung des Verfassers, Dinge und Personen
wohl zu beobachten und festzuhalten, die Ehrlichkeit, der tapfere königstreue
Sinn, der stramme preußische Patriotismus und der gesunde, nur bisweilen
etwas flache Humor, die aus dem ersten Bande zu uns sprachen.

Die ersten drei Abschnitte führen uns in die Revolutionszeit von 1848
zurück und geben ein lebendiges Bild von den Thorheiten und Gemeinheiten,
denen sich ein großer Theil der Berliner in diesen aufgeregten Tagen überließ,
und von den Verfolgungen, denen alle damals ausgesetzt waren, die nicht in
das Horn der Führer der Bewegung zu blase» geneigt waren oder gar den¬
selben entgegenzuwirken den Muth besaßen. Die Rolle, die Schneider nach
seinen Berichten hierbei auf dem Theater und außerhalb desselben inmitten
vieler Verzagten gespielt, die Unerschrockenst, mit der er seine Gesinnung allen
Bedrohungen und Gefahren gegenüber öffentlich bekannt hat, das Geschick, mit
dem er den Wühlern entgegengetreten ist, sind in hohem Grade cmerkennens-
werth und lassen uns gern über kleine Schwächen, die neben so rühmlichen
Eigenschaften hergehen, hinwegsehen. Sehr wacker hält er sich als Schauspieler
im Vergleich mit ängstlichen Vorgesetzten und abtrünnigen Collegen. Ein Muster
volkstümlicher Beredtsamkeit ist die im Kapitel „Katzenmusiken" S. 61. ff. mit¬
getheilte Stegreifrede, die er im Pvsthofe in der Oranienburger Straße vom
Dache eines Postwagens herab an die versammelten Landwehrmänuer Berlins
gehalten hat, um gegen die Umtriebe der Braßscheu Rotte zu wirken, und mit
der er diese Umtriebe in der That lahmlegte. Höchst anschaulich ist die Schil¬
derung der Katzenmusik, die ihm dasür zu Theil wurde, und der Nachstellungen,
Mißhandlungen und Beleidigungen, mit denen er für seine furchtlose Opposition
gegen die Helden der Clubbs büßte, Beleidigungen, die ihm dann bis auf die
Hamburger Bühne folgten, und die ihn dort (vgl. S. 110 ff.) veranlaßten, der
Bühne auf immer Valet zu sagen. Seine Stimmung während dieser Auftritte
giebt der Verfasser so vortrefflich wieder, daß wir dieselben gewissermaßen mit ihm
erleben. Von geringerem Interesse ist der vierte Abschnitt, in welchem der Autor
erzählt, wie er das preußische Heer während des Feldzuges in Schleswig be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/112>, abgerufen am 22.07.2024.