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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sagt ein anderer seiner Minister (Cibrario), "bei der Discussion der Staatsange¬
legenheiten eine Feinheit, einen Scharfsinn, welche diejenigen, die ihn nur als
einen tapfern, gutmüthigen und populären Monarchen kennen, in das höchste
Staunen versetzen. Ich kann Ihnen versichern, daß Victor Emanuel eine außer¬
ordentliche Regentenweisheit besitzt, verbunden mit einem unfehlbaren Scharfblick
und dem feinsten Tacte, und daß der beste Theil der Thronreden wie der diplo¬
matischen Actenstücke meist seiner Initiative zu verdanken ist." Dabei verstand
er es, trotz aller Geringschätzung äußeren Ceremoniells und höfischer Sitte, er¬
forderlichen Falls mit dem edeln und gebietenden Anstünde eingeborner Majestät
aufzutreten.

Kein Wunder, daß der Name Victor Emanuel, der so eng und un¬
auflöslich mit den großen Ereignissen der neuesten Geschichte Italiens verknüpft
war, zum nationalen Banner, zum Feldgeschrei aller Parteien wurde, und daß
die Nation in dem verehrten Könige die Verkörperung des nationalen Gedan¬
kens, das Fleisch und Blut gewordene Ideal ihrer politische:: Hoffnungen er¬
blickte. Es ist ihm in dem kurzen Zeitraume von 20 Jahren gelungen, den
alten Traum der italienischen Patrioten zu verwirklichen, das einheitliche Natio¬
nalreich Italien nicht nur zu schaffen, fondern es anch so zu festigen, daß ihm
nach menschlichem Ermessen eine lange Dauer beschieden ist. War er dabei
vom Glücke begünstigt wie selten ein Fürst, hat ihm der Himmel die trefflich¬
sten Helfer zu seinem großen Werke gesandt, so hat er diese Gunst des Schick¬
sals auch ausgezeichnet zu benutzen verstanden. Und war er nicht in jedem
Sinne des Wortes ein großer Mann, waren seine Neigungen nicht alle edelster
Art, sein Privatleben nicht tadellos, so dürfen wir doch mit dem Dichter von
ihm sagen, daß er "jeder Zoll ein König" war.




Aus Louis Schneiders Memoiren.
2. Schneider über A. v. Humboldt.

Auf den ersten Band der Schneiderschen Memoiren, den wir in Ur. 48
des vorigen Jahrgangs d. Vl. anzeigten, ist rasch der zweite gefolgt, welcher
ebenfalls eine gute Anzahl von Erinnerungen enthält, die allgemeines Interesse
beanspruchen, bei welchem aber noch mehr wie bei jenem die Schwächen dieser
Aufzeichnungen, breite Redseligkeit und Weitschweifigkeit, hervortreten, und in


sagt ein anderer seiner Minister (Cibrario), „bei der Discussion der Staatsange¬
legenheiten eine Feinheit, einen Scharfsinn, welche diejenigen, die ihn nur als
einen tapfern, gutmüthigen und populären Monarchen kennen, in das höchste
Staunen versetzen. Ich kann Ihnen versichern, daß Victor Emanuel eine außer¬
ordentliche Regentenweisheit besitzt, verbunden mit einem unfehlbaren Scharfblick
und dem feinsten Tacte, und daß der beste Theil der Thronreden wie der diplo¬
matischen Actenstücke meist seiner Initiative zu verdanken ist." Dabei verstand
er es, trotz aller Geringschätzung äußeren Ceremoniells und höfischer Sitte, er¬
forderlichen Falls mit dem edeln und gebietenden Anstünde eingeborner Majestät
aufzutreten.

Kein Wunder, daß der Name Victor Emanuel, der so eng und un¬
auflöslich mit den großen Ereignissen der neuesten Geschichte Italiens verknüpft
war, zum nationalen Banner, zum Feldgeschrei aller Parteien wurde, und daß
die Nation in dem verehrten Könige die Verkörperung des nationalen Gedan¬
kens, das Fleisch und Blut gewordene Ideal ihrer politische:: Hoffnungen er¬
blickte. Es ist ihm in dem kurzen Zeitraume von 20 Jahren gelungen, den
alten Traum der italienischen Patrioten zu verwirklichen, das einheitliche Natio¬
nalreich Italien nicht nur zu schaffen, fondern es anch so zu festigen, daß ihm
nach menschlichem Ermessen eine lange Dauer beschieden ist. War er dabei
vom Glücke begünstigt wie selten ein Fürst, hat ihm der Himmel die trefflich¬
sten Helfer zu seinem großen Werke gesandt, so hat er diese Gunst des Schick¬
sals auch ausgezeichnet zu benutzen verstanden. Und war er nicht in jedem
Sinne des Wortes ein großer Mann, waren seine Neigungen nicht alle edelster
Art, sein Privatleben nicht tadellos, so dürfen wir doch mit dem Dichter von
ihm sagen, daß er „jeder Zoll ein König" war.




Aus Louis Schneiders Memoiren.
2. Schneider über A. v. Humboldt.

Auf den ersten Band der Schneiderschen Memoiren, den wir in Ur. 48
des vorigen Jahrgangs d. Vl. anzeigten, ist rasch der zweite gefolgt, welcher
ebenfalls eine gute Anzahl von Erinnerungen enthält, die allgemeines Interesse
beanspruchen, bei welchem aber noch mehr wie bei jenem die Schwächen dieser
Aufzeichnungen, breite Redseligkeit und Weitschweifigkeit, hervortreten, und in


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[0111] sagt ein anderer seiner Minister (Cibrario), „bei der Discussion der Staatsange¬ legenheiten eine Feinheit, einen Scharfsinn, welche diejenigen, die ihn nur als einen tapfern, gutmüthigen und populären Monarchen kennen, in das höchste Staunen versetzen. Ich kann Ihnen versichern, daß Victor Emanuel eine außer¬ ordentliche Regentenweisheit besitzt, verbunden mit einem unfehlbaren Scharfblick und dem feinsten Tacte, und daß der beste Theil der Thronreden wie der diplo¬ matischen Actenstücke meist seiner Initiative zu verdanken ist." Dabei verstand er es, trotz aller Geringschätzung äußeren Ceremoniells und höfischer Sitte, er¬ forderlichen Falls mit dem edeln und gebietenden Anstünde eingeborner Majestät aufzutreten. Kein Wunder, daß der Name Victor Emanuel, der so eng und un¬ auflöslich mit den großen Ereignissen der neuesten Geschichte Italiens verknüpft war, zum nationalen Banner, zum Feldgeschrei aller Parteien wurde, und daß die Nation in dem verehrten Könige die Verkörperung des nationalen Gedan¬ kens, das Fleisch und Blut gewordene Ideal ihrer politische:: Hoffnungen er¬ blickte. Es ist ihm in dem kurzen Zeitraume von 20 Jahren gelungen, den alten Traum der italienischen Patrioten zu verwirklichen, das einheitliche Natio¬ nalreich Italien nicht nur zu schaffen, fondern es anch so zu festigen, daß ihm nach menschlichem Ermessen eine lange Dauer beschieden ist. War er dabei vom Glücke begünstigt wie selten ein Fürst, hat ihm der Himmel die trefflich¬ sten Helfer zu seinem großen Werke gesandt, so hat er diese Gunst des Schick¬ sals auch ausgezeichnet zu benutzen verstanden. Und war er nicht in jedem Sinne des Wortes ein großer Mann, waren seine Neigungen nicht alle edelster Art, sein Privatleben nicht tadellos, so dürfen wir doch mit dem Dichter von ihm sagen, daß er „jeder Zoll ein König" war. Aus Louis Schneiders Memoiren. 2. Schneider über A. v. Humboldt. Auf den ersten Band der Schneiderschen Memoiren, den wir in Ur. 48 des vorigen Jahrgangs d. Vl. anzeigten, ist rasch der zweite gefolgt, welcher ebenfalls eine gute Anzahl von Erinnerungen enthält, die allgemeines Interesse beanspruchen, bei welchem aber noch mehr wie bei jenem die Schwächen dieser Aufzeichnungen, breite Redseligkeit und Weitschweifigkeit, hervortreten, und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/111>, abgerufen am 22.07.2024.