Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.und, wenn es sein mußte, ein geläufiges Französisch. Seine Ausdrücke waren So anspruchslos und einfach der König in Bezug auf seine Person war, Streng religiös erzogen, blieb der König Zeit seines Lebens ein frommer und, wenn es sein mußte, ein geläufiges Französisch. Seine Ausdrücke waren So anspruchslos und einfach der König in Bezug auf seine Person war, Streng religiös erzogen, blieb der König Zeit seines Lebens ein frommer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146038"/> <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> und, wenn es sein mußte, ein geläufiges Französisch. Seine Ausdrücke waren<lb/> oft von einer Derbheit, wie wir sie in den höchsten Ständen nicht zu hören<lb/> gewohnt sind. Er liebte es, mit Personen aller Klassen in ihrer eignen Sprach¬<lb/> weise zu verkehren und entzückte die Leute aus dem Volke durch sein Eingehen<lb/> auf ihre Anschauungen, Ideen und Interessen. Dabei hatte er einen trefflichen<lb/> Mutterwitz und verschmähte bei aller Gutmüthigkeit unter Umständen auch nicht<lb/> die beißende Satire. Als bei seinem Besuche der Kathedrale von Bologna der<lb/> Erzbischof nicht erschienen war und sich später deshalb entschuldigen wollte,<lb/> erwiederte der König: „Sie haben Recht gethan, denn ich war nicht gekommen,<lb/> um die Priester, sondern um Gott zu besuchen." Einst hatte er einem Komiker<lb/> des Theaters San Carlino in Neapel einen Orden verliehen. Als ihm die<lb/> Hofleute darüber lebhafte Vorwürfe machten, antwortete er in ironischem Tone:<lb/> „Es giebt ja so viele Narren, die nur um der Verdienste Jesu Christi willen<lb/> decorirt sind, warum soll da nicht auch ein Polichinell unter ihnen figuriren?"</p><lb/> <p xml:id="ID_266"> So anspruchslos und einfach der König in Bezug auf seine Person war,<lb/> so verschwenderisch war er Andern gegenüber. Er vermochte keine Bitte abzu¬<lb/> schlagen; seine Freigebigkeit gegen seine Günstlinge beiderlei Geschlechts wie<lb/> gegen die Armen und Bedürftigen kannte keine Grenze. Am meisten kosteten<lb/> ihn die Frauen. Victor Emanuel hat viel geliebt; hier war sein schwacher<lb/> Punkt; dem stark ausgeprägten sinnlichen Zuge seines Wesens ließ er gern die<lb/> Zügel schießen. Er verkehrte viel mit Tänzerinnen und Choristinnen, wurde<lb/> aber selbst noch mehr von den Frauen verfolgt, als er ihnen nachstellte. Dauernd<lb/> geliebt bis an seinen Tod hat er nur eine, die vielgenannte schöne Rosina, die<lb/> er aus einem Marketenderzelte geholt und zur Gräfin Mirafiore erhoben hatte,<lb/> und mit der er sich uach dem Tode seiner legitimen Gattin kirchlich, aber nicht<lb/> civilster trauen ließ. Die ehrgeizige Frau strebte eifrigst nach dem Titel einer<lb/> Königin und einem Einfluß auf die Regierung, aber Victor Emanuel weigerte<lb/> standhaft das eine wie das andere. Desto verschwenderischer überschüttete er<lb/> sie, ihre Kinder und Angehörigen mit Geld und Gut und machte sich ihret¬<lb/> halben zum armen Manne. Zwischen der morgcmatischen und der legitimen<lb/> Familie bestand eine naturgemäße Abneigung, welche zumal die stolze und hoch¬<lb/> gebildete Kronprinzessin Margherita, der Liebling des Volkes, die bei den fremden<lb/> Besuchen mit ebensoviel Tact wie Liebenswürdigkeit die Honneurs des Hofes<lb/> machte, sich zu verhehlen keine Mühe gab. Dennoch war Victor Emanuel, wie<lb/> seiner ersten Gemahlin ein zärtlicher Gatte, so auch ihren Kindern ein treuer,<lb/> liebevoller, um ihr Wohl und ihre Erziehung eifrig besorgter Vater.</p><lb/> <p xml:id="ID_267" next="#ID_268"> Streng religiös erzogen, blieb der König Zeit seines Lebens ein frommer<lb/> Katholik. Keinen Festtag versäumte er die Messe; auf seinen Jagden im Ge¬<lb/> birge ließ er im Freien einen Altar errichten und den nächsten Priester herbei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
und, wenn es sein mußte, ein geläufiges Französisch. Seine Ausdrücke waren
oft von einer Derbheit, wie wir sie in den höchsten Ständen nicht zu hören
gewohnt sind. Er liebte es, mit Personen aller Klassen in ihrer eignen Sprach¬
weise zu verkehren und entzückte die Leute aus dem Volke durch sein Eingehen
auf ihre Anschauungen, Ideen und Interessen. Dabei hatte er einen trefflichen
Mutterwitz und verschmähte bei aller Gutmüthigkeit unter Umständen auch nicht
die beißende Satire. Als bei seinem Besuche der Kathedrale von Bologna der
Erzbischof nicht erschienen war und sich später deshalb entschuldigen wollte,
erwiederte der König: „Sie haben Recht gethan, denn ich war nicht gekommen,
um die Priester, sondern um Gott zu besuchen." Einst hatte er einem Komiker
des Theaters San Carlino in Neapel einen Orden verliehen. Als ihm die
Hofleute darüber lebhafte Vorwürfe machten, antwortete er in ironischem Tone:
„Es giebt ja so viele Narren, die nur um der Verdienste Jesu Christi willen
decorirt sind, warum soll da nicht auch ein Polichinell unter ihnen figuriren?"
So anspruchslos und einfach der König in Bezug auf seine Person war,
so verschwenderisch war er Andern gegenüber. Er vermochte keine Bitte abzu¬
schlagen; seine Freigebigkeit gegen seine Günstlinge beiderlei Geschlechts wie
gegen die Armen und Bedürftigen kannte keine Grenze. Am meisten kosteten
ihn die Frauen. Victor Emanuel hat viel geliebt; hier war sein schwacher
Punkt; dem stark ausgeprägten sinnlichen Zuge seines Wesens ließ er gern die
Zügel schießen. Er verkehrte viel mit Tänzerinnen und Choristinnen, wurde
aber selbst noch mehr von den Frauen verfolgt, als er ihnen nachstellte. Dauernd
geliebt bis an seinen Tod hat er nur eine, die vielgenannte schöne Rosina, die
er aus einem Marketenderzelte geholt und zur Gräfin Mirafiore erhoben hatte,
und mit der er sich uach dem Tode seiner legitimen Gattin kirchlich, aber nicht
civilster trauen ließ. Die ehrgeizige Frau strebte eifrigst nach dem Titel einer
Königin und einem Einfluß auf die Regierung, aber Victor Emanuel weigerte
standhaft das eine wie das andere. Desto verschwenderischer überschüttete er
sie, ihre Kinder und Angehörigen mit Geld und Gut und machte sich ihret¬
halben zum armen Manne. Zwischen der morgcmatischen und der legitimen
Familie bestand eine naturgemäße Abneigung, welche zumal die stolze und hoch¬
gebildete Kronprinzessin Margherita, der Liebling des Volkes, die bei den fremden
Besuchen mit ebensoviel Tact wie Liebenswürdigkeit die Honneurs des Hofes
machte, sich zu verhehlen keine Mühe gab. Dennoch war Victor Emanuel, wie
seiner ersten Gemahlin ein zärtlicher Gatte, so auch ihren Kindern ein treuer,
liebevoller, um ihr Wohl und ihre Erziehung eifrig besorgter Vater.
Streng religiös erzogen, blieb der König Zeit seines Lebens ein frommer
Katholik. Keinen Festtag versäumte er die Messe; auf seinen Jagden im Ge¬
birge ließ er im Freien einen Altar errichten und den nächsten Priester herbei-
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