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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Buschwäldern und dem Geröhrig der toscanischen Maremmen, wo er den Eber,
den Damhirsch und das zahlreiche Sumpfgevögel verfolgte, oder in den wilden
Fels- und Eiswüsten am Südfuße des Monte Rosa, wo er der Gemse und
dem seltenen Steinbock nachspürte. Unermüdlich, allen Gefahren trotzend,
klomm er dem Wilde an Stellen nach, wohin ihm die Seinen kaum zu folgen
vermochten. Unempfindlich gegen Hitze und Kälte, wechselte er die Kleidung
nie nach der Jahreszeit und lebte im Winter meist in ungeheizten Räumen.
Nur wenn er sich unwohl fühlte, ließ er sich Mantel oder Paletot reichen.
Seine Garderobe war äußerst einfach, ihr Hauptbestandtheil die grobe Joppe
des Jägers. Die Uniform trug er in Friedenszeiten nur mit Widerwillen.
Feierliche Toilette zu machen nannte er wie alle Arten von Repräsentation 1o
nHs Ast rllöstiörs, die langweilige Seite des Handwerks. Es war charakte¬
ristisch, daß er sich nie das Maß zu seinen Kleidungsstücken nehmen ließ. Als
man ihn vor seiner Reise nach Berlin versicherte, am dortigen Hofe halte man
viel auf ein elegantes Aeußere, er müsse da durchaus eine "angemessene" Uni¬
form tragen, erwiederte er: "So bittet Baron C., der meine Statur hat, daß
er sie sich für mich anmessen lasse." Er war der entschiedenste Feind jener
steifen Hofetiquette nach spanischem Muster, die noch an seines Vaters Hofe
herrschte. "Natürlichkeit und freimüthige Offenheit, die Abwesenheit aller steifen
Förmlichkeit," sagt d'Azeglio, "bilden die Grundlage seines Wesens." Die regel¬
mäßigen Hoffestlichkeiten beschränkten sich auf vier Diners zu 30 Personen
jährlich; von Bällen und dergleichen war keine Rede.

Der Tag war streng bei ihm eingetheilt. Der König schlief nur 4--5
Stunden und stand Sommer und Winter um 4 Uhr auf. Auf einen Spazier¬
gang oder eine kleine Jagdexcursion folgten schon zu früher Stunde Privat¬
audienzen, dann die Arbeiten mit den Ministern und dem Militärcabinet. Nach
einer ein- bis zweistündigen Ruhepause durchmusterte er dann die eingegangenen
Briefe, Bittschriften und Auszüge aus den Zeitungen. Gegen Abend machte er
eine Spazierfahrt; bei der Rückkehr empfing er die Vertrauten, und zwar stets
nur einzeln. Bei guter Laune war er sehr gesprächig und hatte Interesse für
die Neuigkeiten des Tages. Er las gern und viel, vor allem Bücher, die von
der Jagd, von Pferden und Hunden handelten, sowie Reiseberichte. Ins
Theater ging er oft, aber erst zur Stunde des Ballets. Von der Musik war
er kein großer Verehrer; überhaupt lagen ihm Kunstgenüsse fern, während er
einen aufgeschlossenen Sinn für die Schönheiten der Natur hatte. Erst spät
abends hielt er seine einfache Hauptmahlzeit, nicht selten die einzige des Tages.

Ebenso einfach wie seine Kleidung und Lebensart war seine Sprache und
Ausdrucksweise. Am liebsten unterhielt er sich in dem häßlich klingenden Dialect
seiner Heimatprovinz; doch sprach er auch das classische Italienisch mit Eleganz


Buschwäldern und dem Geröhrig der toscanischen Maremmen, wo er den Eber,
den Damhirsch und das zahlreiche Sumpfgevögel verfolgte, oder in den wilden
Fels- und Eiswüsten am Südfuße des Monte Rosa, wo er der Gemse und
dem seltenen Steinbock nachspürte. Unermüdlich, allen Gefahren trotzend,
klomm er dem Wilde an Stellen nach, wohin ihm die Seinen kaum zu folgen
vermochten. Unempfindlich gegen Hitze und Kälte, wechselte er die Kleidung
nie nach der Jahreszeit und lebte im Winter meist in ungeheizten Räumen.
Nur wenn er sich unwohl fühlte, ließ er sich Mantel oder Paletot reichen.
Seine Garderobe war äußerst einfach, ihr Hauptbestandtheil die grobe Joppe
des Jägers. Die Uniform trug er in Friedenszeiten nur mit Widerwillen.
Feierliche Toilette zu machen nannte er wie alle Arten von Repräsentation 1o
nHs Ast rllöstiörs, die langweilige Seite des Handwerks. Es war charakte¬
ristisch, daß er sich nie das Maß zu seinen Kleidungsstücken nehmen ließ. Als
man ihn vor seiner Reise nach Berlin versicherte, am dortigen Hofe halte man
viel auf ein elegantes Aeußere, er müsse da durchaus eine „angemessene" Uni¬
form tragen, erwiederte er: „So bittet Baron C., der meine Statur hat, daß
er sie sich für mich anmessen lasse." Er war der entschiedenste Feind jener
steifen Hofetiquette nach spanischem Muster, die noch an seines Vaters Hofe
herrschte. „Natürlichkeit und freimüthige Offenheit, die Abwesenheit aller steifen
Förmlichkeit," sagt d'Azeglio, „bilden die Grundlage seines Wesens." Die regel¬
mäßigen Hoffestlichkeiten beschränkten sich auf vier Diners zu 30 Personen
jährlich; von Bällen und dergleichen war keine Rede.

Der Tag war streng bei ihm eingetheilt. Der König schlief nur 4—5
Stunden und stand Sommer und Winter um 4 Uhr auf. Auf einen Spazier¬
gang oder eine kleine Jagdexcursion folgten schon zu früher Stunde Privat¬
audienzen, dann die Arbeiten mit den Ministern und dem Militärcabinet. Nach
einer ein- bis zweistündigen Ruhepause durchmusterte er dann die eingegangenen
Briefe, Bittschriften und Auszüge aus den Zeitungen. Gegen Abend machte er
eine Spazierfahrt; bei der Rückkehr empfing er die Vertrauten, und zwar stets
nur einzeln. Bei guter Laune war er sehr gesprächig und hatte Interesse für
die Neuigkeiten des Tages. Er las gern und viel, vor allem Bücher, die von
der Jagd, von Pferden und Hunden handelten, sowie Reiseberichte. Ins
Theater ging er oft, aber erst zur Stunde des Ballets. Von der Musik war
er kein großer Verehrer; überhaupt lagen ihm Kunstgenüsse fern, während er
einen aufgeschlossenen Sinn für die Schönheiten der Natur hatte. Erst spät
abends hielt er seine einfache Hauptmahlzeit, nicht selten die einzige des Tages.

Ebenso einfach wie seine Kleidung und Lebensart war seine Sprache und
Ausdrucksweise. Am liebsten unterhielt er sich in dem häßlich klingenden Dialect
seiner Heimatprovinz; doch sprach er auch das classische Italienisch mit Eleganz


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[0108] Buschwäldern und dem Geröhrig der toscanischen Maremmen, wo er den Eber, den Damhirsch und das zahlreiche Sumpfgevögel verfolgte, oder in den wilden Fels- und Eiswüsten am Südfuße des Monte Rosa, wo er der Gemse und dem seltenen Steinbock nachspürte. Unermüdlich, allen Gefahren trotzend, klomm er dem Wilde an Stellen nach, wohin ihm die Seinen kaum zu folgen vermochten. Unempfindlich gegen Hitze und Kälte, wechselte er die Kleidung nie nach der Jahreszeit und lebte im Winter meist in ungeheizten Räumen. Nur wenn er sich unwohl fühlte, ließ er sich Mantel oder Paletot reichen. Seine Garderobe war äußerst einfach, ihr Hauptbestandtheil die grobe Joppe des Jägers. Die Uniform trug er in Friedenszeiten nur mit Widerwillen. Feierliche Toilette zu machen nannte er wie alle Arten von Repräsentation 1o nHs Ast rllöstiörs, die langweilige Seite des Handwerks. Es war charakte¬ ristisch, daß er sich nie das Maß zu seinen Kleidungsstücken nehmen ließ. Als man ihn vor seiner Reise nach Berlin versicherte, am dortigen Hofe halte man viel auf ein elegantes Aeußere, er müsse da durchaus eine „angemessene" Uni¬ form tragen, erwiederte er: „So bittet Baron C., der meine Statur hat, daß er sie sich für mich anmessen lasse." Er war der entschiedenste Feind jener steifen Hofetiquette nach spanischem Muster, die noch an seines Vaters Hofe herrschte. „Natürlichkeit und freimüthige Offenheit, die Abwesenheit aller steifen Förmlichkeit," sagt d'Azeglio, „bilden die Grundlage seines Wesens." Die regel¬ mäßigen Hoffestlichkeiten beschränkten sich auf vier Diners zu 30 Personen jährlich; von Bällen und dergleichen war keine Rede. Der Tag war streng bei ihm eingetheilt. Der König schlief nur 4—5 Stunden und stand Sommer und Winter um 4 Uhr auf. Auf einen Spazier¬ gang oder eine kleine Jagdexcursion folgten schon zu früher Stunde Privat¬ audienzen, dann die Arbeiten mit den Ministern und dem Militärcabinet. Nach einer ein- bis zweistündigen Ruhepause durchmusterte er dann die eingegangenen Briefe, Bittschriften und Auszüge aus den Zeitungen. Gegen Abend machte er eine Spazierfahrt; bei der Rückkehr empfing er die Vertrauten, und zwar stets nur einzeln. Bei guter Laune war er sehr gesprächig und hatte Interesse für die Neuigkeiten des Tages. Er las gern und viel, vor allem Bücher, die von der Jagd, von Pferden und Hunden handelten, sowie Reiseberichte. Ins Theater ging er oft, aber erst zur Stunde des Ballets. Von der Musik war er kein großer Verehrer; überhaupt lagen ihm Kunstgenüsse fern, während er einen aufgeschlossenen Sinn für die Schönheiten der Natur hatte. Erst spät abends hielt er seine einfache Hauptmahlzeit, nicht selten die einzige des Tages. Ebenso einfach wie seine Kleidung und Lebensart war seine Sprache und Ausdrucksweise. Am liebsten unterhielt er sich in dem häßlich klingenden Dialect seiner Heimatprovinz; doch sprach er auch das classische Italienisch mit Eleganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/108>, abgerufen am 23.07.2024.