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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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wenn er sich nicht bessere, er ihm sein Thronfolgerecht entziehen und ihn wie ein
brandiges Glied ablösen werde. Alexei erklärte seinen Verzicht auf den Thron-
Dem Vater genügte das nicht, Alexei blieb doch der legitime Erbe und ein ge¬
fährlicher Prätendent. Der Vater verlangte wiederum Aenderung oder Ein¬
schließung in ein Kloster. Da flieht 1716 Alexei ins Ausland zu Kaiser
Karl VI., dem er durch seine Frau verwandt war. Man bringt ihn nach
Ehrenberg in Tirol, von da nach Se. Elmo in Neapel. Aber die russischen
Agenten finden seine Zuflucht. Der Kaiser kann die Auslieferung nicht ver¬
weigern. Ueberredet von den Gesandten seines Vaters, kehrt Alexei nach Ru߬
land zurück.

Nun begann der Proceß. Peter hatte von dem schwachbegabten, energie¬
losen Jünglinge nichts zu fürchten, aber er empfand in dem Gebahren seines
Thronerben den Druck einer ihm feindlichen Partei, er fühlte, daß es sich hier
nicht um einen häuslichen Zwist handele, sondern Principien auf dem Spiele
standen. Daher entfaltete er eine rege inquisitorische Thätigkeit. Jedes vor
Jahren flüchtig hingeworfene unbedachte Wort wurde zur Belastung herbeige¬
zogen. Aus den Mienen, welche Alexei bei der Nachricht von einer gefährlichen
Erkrankung des Zaren gezeigt, wurde auf verräterische Gedanken geschlossen.
Wer zu dem vertrauten Umgange des Prinzen gehörte, wer um die Flucht ge¬
wußt hatte, galt als Staatsverbrecher. Die Folter brachte Jeden zum Geständ¬
nis;. Beständen auch die Vergehen nur in Aeußerungen der Unzufriedenheit
und Erbitterung, in Wünschen zu Gunsten des Zarewitsch, die härtesten Strafen
wurden verhängt. Ueber den Erben des größten Reiches Europas sprach das
niedergesetzte Gericht das Todesurtheil aus. Nach dem Rundschreiben an die
russischen Gesandten soll die Mittheilung dieses Urtheils Alexei so erschüttert
haben, daß ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende machte und Peter der Ent¬
scheidung über die Vollstreckung überhob. Mit Recht zweifelt Bruckner an der
Wahrheit dieses Berichtes. Er hält es für wahrscheinlicher, daß Alexei an den
Folgen der Folter und der Knutenhiebe, die er wiederholt erhalten, gestorben
ist. Die Möglichkeit, daß das gefällte Todesurtheil insgeheim vollstreckt wurde,
ist übrigens auch nach Bruckner nicht ausgeschlossen.

Wir wünschen dem gutgeschriebenen Buche Brückners, welches das gesammte
vorhandene Material in trefflicher Verarbeitung enthält, Verbreitung auch in
weiteren Kreisen.




wenn er sich nicht bessere, er ihm sein Thronfolgerecht entziehen und ihn wie ein
brandiges Glied ablösen werde. Alexei erklärte seinen Verzicht auf den Thron-
Dem Vater genügte das nicht, Alexei blieb doch der legitime Erbe und ein ge¬
fährlicher Prätendent. Der Vater verlangte wiederum Aenderung oder Ein¬
schließung in ein Kloster. Da flieht 1716 Alexei ins Ausland zu Kaiser
Karl VI., dem er durch seine Frau verwandt war. Man bringt ihn nach
Ehrenberg in Tirol, von da nach Se. Elmo in Neapel. Aber die russischen
Agenten finden seine Zuflucht. Der Kaiser kann die Auslieferung nicht ver¬
weigern. Ueberredet von den Gesandten seines Vaters, kehrt Alexei nach Ru߬
land zurück.

Nun begann der Proceß. Peter hatte von dem schwachbegabten, energie¬
losen Jünglinge nichts zu fürchten, aber er empfand in dem Gebahren seines
Thronerben den Druck einer ihm feindlichen Partei, er fühlte, daß es sich hier
nicht um einen häuslichen Zwist handele, sondern Principien auf dem Spiele
standen. Daher entfaltete er eine rege inquisitorische Thätigkeit. Jedes vor
Jahren flüchtig hingeworfene unbedachte Wort wurde zur Belastung herbeige¬
zogen. Aus den Mienen, welche Alexei bei der Nachricht von einer gefährlichen
Erkrankung des Zaren gezeigt, wurde auf verräterische Gedanken geschlossen.
Wer zu dem vertrauten Umgange des Prinzen gehörte, wer um die Flucht ge¬
wußt hatte, galt als Staatsverbrecher. Die Folter brachte Jeden zum Geständ¬
nis;. Beständen auch die Vergehen nur in Aeußerungen der Unzufriedenheit
und Erbitterung, in Wünschen zu Gunsten des Zarewitsch, die härtesten Strafen
wurden verhängt. Ueber den Erben des größten Reiches Europas sprach das
niedergesetzte Gericht das Todesurtheil aus. Nach dem Rundschreiben an die
russischen Gesandten soll die Mittheilung dieses Urtheils Alexei so erschüttert
haben, daß ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende machte und Peter der Ent¬
scheidung über die Vollstreckung überhob. Mit Recht zweifelt Bruckner an der
Wahrheit dieses Berichtes. Er hält es für wahrscheinlicher, daß Alexei an den
Folgen der Folter und der Knutenhiebe, die er wiederholt erhalten, gestorben
ist. Die Möglichkeit, daß das gefällte Todesurtheil insgeheim vollstreckt wurde,
ist übrigens auch nach Bruckner nicht ausgeschlossen.

Wir wünschen dem gutgeschriebenen Buche Brückners, welches das gesammte
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[0088] wenn er sich nicht bessere, er ihm sein Thronfolgerecht entziehen und ihn wie ein brandiges Glied ablösen werde. Alexei erklärte seinen Verzicht auf den Thron- Dem Vater genügte das nicht, Alexei blieb doch der legitime Erbe und ein ge¬ fährlicher Prätendent. Der Vater verlangte wiederum Aenderung oder Ein¬ schließung in ein Kloster. Da flieht 1716 Alexei ins Ausland zu Kaiser Karl VI., dem er durch seine Frau verwandt war. Man bringt ihn nach Ehrenberg in Tirol, von da nach Se. Elmo in Neapel. Aber die russischen Agenten finden seine Zuflucht. Der Kaiser kann die Auslieferung nicht ver¬ weigern. Ueberredet von den Gesandten seines Vaters, kehrt Alexei nach Ru߬ land zurück. Nun begann der Proceß. Peter hatte von dem schwachbegabten, energie¬ losen Jünglinge nichts zu fürchten, aber er empfand in dem Gebahren seines Thronerben den Druck einer ihm feindlichen Partei, er fühlte, daß es sich hier nicht um einen häuslichen Zwist handele, sondern Principien auf dem Spiele standen. Daher entfaltete er eine rege inquisitorische Thätigkeit. Jedes vor Jahren flüchtig hingeworfene unbedachte Wort wurde zur Belastung herbeige¬ zogen. Aus den Mienen, welche Alexei bei der Nachricht von einer gefährlichen Erkrankung des Zaren gezeigt, wurde auf verräterische Gedanken geschlossen. Wer zu dem vertrauten Umgange des Prinzen gehörte, wer um die Flucht ge¬ wußt hatte, galt als Staatsverbrecher. Die Folter brachte Jeden zum Geständ¬ nis;. Beständen auch die Vergehen nur in Aeußerungen der Unzufriedenheit und Erbitterung, in Wünschen zu Gunsten des Zarewitsch, die härtesten Strafen wurden verhängt. Ueber den Erben des größten Reiches Europas sprach das niedergesetzte Gericht das Todesurtheil aus. Nach dem Rundschreiben an die russischen Gesandten soll die Mittheilung dieses Urtheils Alexei so erschüttert haben, daß ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende machte und Peter der Ent¬ scheidung über die Vollstreckung überhob. Mit Recht zweifelt Bruckner an der Wahrheit dieses Berichtes. Er hält es für wahrscheinlicher, daß Alexei an den Folgen der Folter und der Knutenhiebe, die er wiederholt erhalten, gestorben ist. Die Möglichkeit, daß das gefällte Todesurtheil insgeheim vollstreckt wurde, ist übrigens auch nach Bruckner nicht ausgeschlossen. Wir wünschen dem gutgeschriebenen Buche Brückners, welches das gesammte vorhandene Material in trefflicher Verarbeitung enthält, Verbreitung auch in weiteren Kreisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/88>, abgerufen am 01.07.2024.