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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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seine Mutter, verstoßen von ihrem Gemahl, ins Kloster wandern mußte, zählte
der Knabe nahezu neun Jahre. Der Vater übertrug auf ihn die Abneigung,
die er schon der Mutter gegenüber gezeigt hatte, und der Sohn that nichts, die
Liebe seines Vaters sich zu gewinnen. Der Mangel an Fähigkeiten, der früh¬
zeitig hervortrat, hätte durch eine sorgsame Bildung ausgeglichen werden können.
Peter vernachlässigte aber die Erziehung seines Sohnes, er versäumte alles, um
ihn in der wünschenswerthen Richtung, im Sinne der Reform, im Geiste des
Fortschritts zu entwickeln, ihn zur Arbeit und Selbstzucht zu erziehen. Ja,
gerade zu der Zeit, in welcher der Charakter sich entwickelt, vom fünfzehnten
bis zum zwanzigsten Lebensjahre, überließ Peter den Erben seines Thrones
allerhand demoralisirenden Einflüssen. Alexei kam in Kreise, in denen man dem
Zaren entschieden feindlich gesinnt war. Diese Opposition hatte eine religiöse
Färbung. Sie schrieb die Rechtgläubigkeit auf ihre Fahne und brandmarkte den
Zaren als Ketzer und Ausgeburt der Hölle. Alexei erschien als das Gegenbild
seines Vaters. Während dieser ganz Nerv und Arbeit war, erscheint der Sohn
träge, jede ernste Arbeit scheuend; während Peter die Geistlichkeit, die seinen Plänen
mißgünstig gegenüberstand, haßte, hängt Alexei scholastischen Spitzfindigkeiten und
theologischer Kleinkrämerei mit Popen und Mönchen nach. Es ist nicht zu
verwundern, daß die altrussische Partei alle Hoffnungen auf das Temperament
des Prinzen setzte, daß er allmählich der Repräsentant des Unwillens und der
Wünsche desjenigen Theiles des Volkes wurde, welcher uicht aufhörte, Peters
Reformen mit Abneigung zu betrachten. Aber Alexei war kein Mann der That,
er litt unter der Energie seines Vaters, der aus seiner Unzufriedenheit, als er
den Sohn in die Staatsgeschäfte einzuführen versuchte, kein Hehl machte; er
grollte nur inmitten seiner Popen und ließ hie und da in der Trunkenheit
seinen Dienern gegenüber Aeußerungen fallen, welche zeigten, daß er ans Peters
Tod wie auf die Stunde der Erlösung hoffe.

Peter suchte den Gedanken seines Erben eine andere Richtung zu geben.
Alexei mußte sich mit einer ausländischen Prinzessin, Charlotte von Braunschweig,
vermählen. Aber die Ehe war unglücklich. Alexei ergab sich immer mehr dem
Trunke und vergaß in den Armen der finnischen Leibeigenen Affrosinja Ehre
und Pflicht. Am 12. October 1715 starb die unglückliche Prinzessin Charlotte,
nachdem sie einem Sohne, dem nachmaligen Kaiser Peter II., das Leben gegeben
hatte. Einen Tag nach ihrer Bestattung gebar Katharina, die Peter als seine
Gemahlin anerkannte, einen Sohn, für Alexei einen gefährlichen Rivalen. Peter
hatte sich schon früher mit dem Gedanken getragen, seinem Sohne das Recht
auf die Krone zu entziehen, da er durch einen solchen Thronfolger die Reformen,
an die er sein thatenreiches Leben gewendet hatte, vernichtet sah. Jetzt, da die
Zukunft seiner Dynastie gesichert war, konnte er dem Sohne schreiben, daß,


seine Mutter, verstoßen von ihrem Gemahl, ins Kloster wandern mußte, zählte
der Knabe nahezu neun Jahre. Der Vater übertrug auf ihn die Abneigung,
die er schon der Mutter gegenüber gezeigt hatte, und der Sohn that nichts, die
Liebe seines Vaters sich zu gewinnen. Der Mangel an Fähigkeiten, der früh¬
zeitig hervortrat, hätte durch eine sorgsame Bildung ausgeglichen werden können.
Peter vernachlässigte aber die Erziehung seines Sohnes, er versäumte alles, um
ihn in der wünschenswerthen Richtung, im Sinne der Reform, im Geiste des
Fortschritts zu entwickeln, ihn zur Arbeit und Selbstzucht zu erziehen. Ja,
gerade zu der Zeit, in welcher der Charakter sich entwickelt, vom fünfzehnten
bis zum zwanzigsten Lebensjahre, überließ Peter den Erben seines Thrones
allerhand demoralisirenden Einflüssen. Alexei kam in Kreise, in denen man dem
Zaren entschieden feindlich gesinnt war. Diese Opposition hatte eine religiöse
Färbung. Sie schrieb die Rechtgläubigkeit auf ihre Fahne und brandmarkte den
Zaren als Ketzer und Ausgeburt der Hölle. Alexei erschien als das Gegenbild
seines Vaters. Während dieser ganz Nerv und Arbeit war, erscheint der Sohn
träge, jede ernste Arbeit scheuend; während Peter die Geistlichkeit, die seinen Plänen
mißgünstig gegenüberstand, haßte, hängt Alexei scholastischen Spitzfindigkeiten und
theologischer Kleinkrämerei mit Popen und Mönchen nach. Es ist nicht zu
verwundern, daß die altrussische Partei alle Hoffnungen auf das Temperament
des Prinzen setzte, daß er allmählich der Repräsentant des Unwillens und der
Wünsche desjenigen Theiles des Volkes wurde, welcher uicht aufhörte, Peters
Reformen mit Abneigung zu betrachten. Aber Alexei war kein Mann der That,
er litt unter der Energie seines Vaters, der aus seiner Unzufriedenheit, als er
den Sohn in die Staatsgeschäfte einzuführen versuchte, kein Hehl machte; er
grollte nur inmitten seiner Popen und ließ hie und da in der Trunkenheit
seinen Dienern gegenüber Aeußerungen fallen, welche zeigten, daß er ans Peters
Tod wie auf die Stunde der Erlösung hoffe.

Peter suchte den Gedanken seines Erben eine andere Richtung zu geben.
Alexei mußte sich mit einer ausländischen Prinzessin, Charlotte von Braunschweig,
vermählen. Aber die Ehe war unglücklich. Alexei ergab sich immer mehr dem
Trunke und vergaß in den Armen der finnischen Leibeigenen Affrosinja Ehre
und Pflicht. Am 12. October 1715 starb die unglückliche Prinzessin Charlotte,
nachdem sie einem Sohne, dem nachmaligen Kaiser Peter II., das Leben gegeben
hatte. Einen Tag nach ihrer Bestattung gebar Katharina, die Peter als seine
Gemahlin anerkannte, einen Sohn, für Alexei einen gefährlichen Rivalen. Peter
hatte sich schon früher mit dem Gedanken getragen, seinem Sohne das Recht
auf die Krone zu entziehen, da er durch einen solchen Thronfolger die Reformen,
an die er sein thatenreiches Leben gewendet hatte, vernichtet sah. Jetzt, da die
Zukunft seiner Dynastie gesichert war, konnte er dem Sohne schreiben, daß,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/87>, abgerufen am 03.07.2024.