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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Gebrauchs seltener wird, ohne daß der Gebrauch in entsprechendem Maße
abnimmt, dieser Gegenstand im Preise steigt. Da um, wie ebenfalls allbekannt
ist, die Edelmetalle in der Form von Geld in ganz hervorragender Weise solche
Gegenstände des allgemeinen Gebrauchs sind, so muß die fortgesetzte Ausfuhr
von sehr großen Summen davon, so lange im Uebrigen die Verhältnisse des
betreffenden Landes die nämlichen bleiben, unbedingt eine beträchtliche Steige¬
rung in ihrem Preise hervorrufen, welche fortdauert, bis der Verlust ersetzt ist,
oder in andern Worten, alle andern Waaren werden so lange im Preise sticken;
während umgekehrt an den Plätzen, wohin das exportirte Geld gebracht wird,
letzteres im Preise sinken, die übrigen Waaren dagegen steigen würden. Be¬
kanntlich ist aber der Transport von Gold und Silber und namentlich von
ersterem unendlich viel billiger zu bewerkstelligen als der von fast allen andern
Waaren. Wenn daher in Wahrheit aus Deutschland enorme Massen davon
exportirt würden, so würde ohne Zweifel sehr bald die bloße Gewinnsucht
schon von überall her die bösen Fremden herbeilocken, um uns im Austausch für
unsere billigeren Waaren das bei ihnen billiger, bei uns aber theurer gewordene
Geld zurückzubringen.

Hier wird uns nun sofort von Seiten derer, die mit gläubigem, wenn auch
vielleicht betrübtem Herzen am Dogma von der continuirlichen großen Geld-
ausfithr hängen -- und das sind, beiläufig gesagt, sicherlich mindestens neun
Zehntel von denen, die sich überhaupt für derartige Dinge interesstren -- mit
dem Einwürfe begegnet werden: "Ja, das klingt alles auf dem Papiere sehr
schön, aber wir wissen ja jetzt zur Gellüge, daß im praktischen Leben die Dinge
sich meistens ganz anders gestalten, als die Theorie will. In unserm speciellen
Falle ist es nun einmal eine Thatsache, daß jahraus jahrein um über eine
halbe Milliarde mehr Waaren ein- als ausgeführt worden. Das Ausland
schenkt uns doch diese Werthe nicht. Was bleibt folglich anders übrig, als daß
wir dieselben mit unserm Gelde bezahlen müssen?"

Wir sind auf diesen Einwurf gefaßt und möchten zunächst mit Bescheiden¬
heit dagegen erinnern, daß es jedenfalls auch keine erwiesene Thatsache ist, daß
alljährlich ungeheuere Summen an gemünzten oder ungemüilztem Edelmetall
aus dem deutschen Reiche fließen, sondern daß wir es auch hier mit einer bloßen,
wenn auch noch fo plausibler Annahme zu thun habe, die gemacht wird, um
die Thatsache der sogenannten "ungünstigen Handelsbilanz" zu erklären. Es ist
demnach ebenfalls eine Theorie und zwar eine Theorie, welche, um eine auf¬
fallende Thatsache zu erklären, viel auffallendere, ja geradezu unglaubliche Dinge
gelten lassen muß. In England, Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien
zusammengenommen betrug nach Neumann-Spaliere im Jahre 1878 der Ueber¬
schuß der Einfuhr mehr als 4 Milliarden. Aehnliche Ziffern weisen die vor-


Gebrauchs seltener wird, ohne daß der Gebrauch in entsprechendem Maße
abnimmt, dieser Gegenstand im Preise steigt. Da um, wie ebenfalls allbekannt
ist, die Edelmetalle in der Form von Geld in ganz hervorragender Weise solche
Gegenstände des allgemeinen Gebrauchs sind, so muß die fortgesetzte Ausfuhr
von sehr großen Summen davon, so lange im Uebrigen die Verhältnisse des
betreffenden Landes die nämlichen bleiben, unbedingt eine beträchtliche Steige¬
rung in ihrem Preise hervorrufen, welche fortdauert, bis der Verlust ersetzt ist,
oder in andern Worten, alle andern Waaren werden so lange im Preise sticken;
während umgekehrt an den Plätzen, wohin das exportirte Geld gebracht wird,
letzteres im Preise sinken, die übrigen Waaren dagegen steigen würden. Be¬
kanntlich ist aber der Transport von Gold und Silber und namentlich von
ersterem unendlich viel billiger zu bewerkstelligen als der von fast allen andern
Waaren. Wenn daher in Wahrheit aus Deutschland enorme Massen davon
exportirt würden, so würde ohne Zweifel sehr bald die bloße Gewinnsucht
schon von überall her die bösen Fremden herbeilocken, um uns im Austausch für
unsere billigeren Waaren das bei ihnen billiger, bei uns aber theurer gewordene
Geld zurückzubringen.

Hier wird uns nun sofort von Seiten derer, die mit gläubigem, wenn auch
vielleicht betrübtem Herzen am Dogma von der continuirlichen großen Geld-
ausfithr hängen — und das sind, beiläufig gesagt, sicherlich mindestens neun
Zehntel von denen, die sich überhaupt für derartige Dinge interesstren — mit
dem Einwürfe begegnet werden: „Ja, das klingt alles auf dem Papiere sehr
schön, aber wir wissen ja jetzt zur Gellüge, daß im praktischen Leben die Dinge
sich meistens ganz anders gestalten, als die Theorie will. In unserm speciellen
Falle ist es nun einmal eine Thatsache, daß jahraus jahrein um über eine
halbe Milliarde mehr Waaren ein- als ausgeführt worden. Das Ausland
schenkt uns doch diese Werthe nicht. Was bleibt folglich anders übrig, als daß
wir dieselben mit unserm Gelde bezahlen müssen?"

Wir sind auf diesen Einwurf gefaßt und möchten zunächst mit Bescheiden¬
heit dagegen erinnern, daß es jedenfalls auch keine erwiesene Thatsache ist, daß
alljährlich ungeheuere Summen an gemünzten oder ungemüilztem Edelmetall
aus dem deutschen Reiche fließen, sondern daß wir es auch hier mit einer bloßen,
wenn auch noch fo plausibler Annahme zu thun habe, die gemacht wird, um
die Thatsache der sogenannten „ungünstigen Handelsbilanz" zu erklären. Es ist
demnach ebenfalls eine Theorie und zwar eine Theorie, welche, um eine auf¬
fallende Thatsache zu erklären, viel auffallendere, ja geradezu unglaubliche Dinge
gelten lassen muß. In England, Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien
zusammengenommen betrug nach Neumann-Spaliere im Jahre 1878 der Ueber¬
schuß der Einfuhr mehr als 4 Milliarden. Aehnliche Ziffern weisen die vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/7>, abgerufen am 26.06.2024.