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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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hergehenden Jahre auf und werden die folgenden zweifellos ebenso aufweisen.
Und solche colossale Werthe sollten jedes Jahr durch eine entsprechende Aus¬
fuhr von Gold und Silber aus jenen Ländern gedeckt werden, und zwar ohne
daß Jemand etwas davon merkte, ohne daß Jemand zu sagen wüßte, wohin
diese Massen kommen, ohne daß sich irgendwo Spuren der Erschöpfung zeigten?
Die Sache ist doch, gelinde gesagt, höchst unwahrscheinlich, und wenn es für
jene auf den ersten Blick allerdings auffallende Thatsache eine einfachere, natür¬
lichere Erklärung giebt, so dürfte diese wohl deu Vorzug verdienen.

Vergegenwärtigen wir uns einmal die Vorgänge, wie sie bei der Herstel¬
lung der Export- und Jmportlisten stattfinden. Nehmen wir zu diesem Zwecke
an, daß ein fremdes, sagen wir ein Londoner Handelshaus Waaren, die auf
dem Platze London einen Werth von SO 000 Mark haben, nach Hamburg schickt.
Auf die englische Exportliste wird gesetzt: Waaren im Werthe
von 50000 Mark. In Hamburg jedoch besitzen diese Waaren, wenn anders
die Speculation eine richtige war, einen um die Transportkosten, sonstigen Spesen
und Gewinn des Verkäufers höheren Werth, setzen wir z. B. 75000 Mark.
Auf die deutsche Jmportliste kommt also: Waaren im Werthe
von 75000 Mark. Was geschieht nun weiter? Der Engländer verkauft seine
Waaren in Hamburg, erhält dafür den vollen dortigen Marktwerth in Geld
und -- werden die Anhänger der Geldausfuhr-Theorie sagen -- steckt dasselbe
in die Tasche und eilt damit Hals über Kopf nach Hause. In Wirklichkeit
aber thut der Engländer unter tausend Fällen neunhundertneunundneunzigmal
nichts dergleichen. Er ist ein viel zu geriebener Kaufmann und weiß recht
gut, daß man Gold und Silber unter gewöhnlichen Verhältnissen in Amerika,
Australien und Afrika, wo es in großen Massen producirt wird, viel billiger
erhält als in Deutschland. Er kauft daher für seine 75000 Mark in Hamburg
Waaren, um sie in London mit Vortheil wieder zu verkaufen. Auf die
deutsche Export ufte werden nun Waaren geschrieben im Werthe
von 75000 Mark, die jedoch, bis sie nach London kommen, wieder um
Transportkosten, sonstige Spesen und Gewinn des Kaufmanns, sagen wir um
25000 Mark, mehr werth geworden sind, und demgemäß in der englischen
Jmportliste mit einem Werthe von 100000 Mark figuriren. In
Deutschland decken sich also nnn Einfuhr und Ausfuhr, in England dagegen ist
die Einfuhr doppelt so groß wie die Ausfuhr, und doch ist kein Pfennig her¬
über zu uns gekommen.

Wir sind aber mit unserm Beispiele noch nicht zu Ende. Auf die ange¬
gebene Weise verkehrt wohl eine hocheivilisirte Handelsnation mit einem auf
niederer Stufe stehenden Volke, welches sich nicht selbstthätig am Außenhandel
betheiligt; aber der Handel zwischen England und Deutschland wird nicht so


hergehenden Jahre auf und werden die folgenden zweifellos ebenso aufweisen.
Und solche colossale Werthe sollten jedes Jahr durch eine entsprechende Aus¬
fuhr von Gold und Silber aus jenen Ländern gedeckt werden, und zwar ohne
daß Jemand etwas davon merkte, ohne daß Jemand zu sagen wüßte, wohin
diese Massen kommen, ohne daß sich irgendwo Spuren der Erschöpfung zeigten?
Die Sache ist doch, gelinde gesagt, höchst unwahrscheinlich, und wenn es für
jene auf den ersten Blick allerdings auffallende Thatsache eine einfachere, natür¬
lichere Erklärung giebt, so dürfte diese wohl deu Vorzug verdienen.

Vergegenwärtigen wir uns einmal die Vorgänge, wie sie bei der Herstel¬
lung der Export- und Jmportlisten stattfinden. Nehmen wir zu diesem Zwecke
an, daß ein fremdes, sagen wir ein Londoner Handelshaus Waaren, die auf
dem Platze London einen Werth von SO 000 Mark haben, nach Hamburg schickt.
Auf die englische Exportliste wird gesetzt: Waaren im Werthe
von 50000 Mark. In Hamburg jedoch besitzen diese Waaren, wenn anders
die Speculation eine richtige war, einen um die Transportkosten, sonstigen Spesen
und Gewinn des Verkäufers höheren Werth, setzen wir z. B. 75000 Mark.
Auf die deutsche Jmportliste kommt also: Waaren im Werthe
von 75000 Mark. Was geschieht nun weiter? Der Engländer verkauft seine
Waaren in Hamburg, erhält dafür den vollen dortigen Marktwerth in Geld
und — werden die Anhänger der Geldausfuhr-Theorie sagen — steckt dasselbe
in die Tasche und eilt damit Hals über Kopf nach Hause. In Wirklichkeit
aber thut der Engländer unter tausend Fällen neunhundertneunundneunzigmal
nichts dergleichen. Er ist ein viel zu geriebener Kaufmann und weiß recht
gut, daß man Gold und Silber unter gewöhnlichen Verhältnissen in Amerika,
Australien und Afrika, wo es in großen Massen producirt wird, viel billiger
erhält als in Deutschland. Er kauft daher für seine 75000 Mark in Hamburg
Waaren, um sie in London mit Vortheil wieder zu verkaufen. Auf die
deutsche Export ufte werden nun Waaren geschrieben im Werthe
von 75000 Mark, die jedoch, bis sie nach London kommen, wieder um
Transportkosten, sonstige Spesen und Gewinn des Kaufmanns, sagen wir um
25000 Mark, mehr werth geworden sind, und demgemäß in der englischen
Jmportliste mit einem Werthe von 100000 Mark figuriren. In
Deutschland decken sich also nnn Einfuhr und Ausfuhr, in England dagegen ist
die Einfuhr doppelt so groß wie die Ausfuhr, und doch ist kein Pfennig her¬
über zu uns gekommen.

Wir sind aber mit unserm Beispiele noch nicht zu Ende. Auf die ange¬
gebene Weise verkehrt wohl eine hocheivilisirte Handelsnation mit einem auf
niederer Stufe stehenden Volke, welches sich nicht selbstthätig am Außenhandel
betheiligt; aber der Handel zwischen England und Deutschland wird nicht so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/8>, abgerufen am 29.09.2024.