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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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ständniß nur dem, der sich von der Beschaffenheit der der heißeren Sonne ent¬
sprechenden Natur des Landes, von seinen mannigfachen Naturprodukten und
selbst von den Hilfsmitteln und Erzeugnissen seines Gewerbfleißes ein klares
Bild verschafft hat. Nur wer deu Granatbaum und seine Frucht kennt, versteht
den Sinn des Dichterwortes, welches die mit sanftem Roth übergossenen Schläfe
der von der Sonne lieblich gebräunten Hirtin dem Inneren der Granate ver¬
gleicht; nur wer den Unterschied kennt zwischen unserem Esel und dem Wild¬
esel, jenem schönen und flinken Thiere, dessen pfeilschnelle Geschwindigkeit alle
Nachstellungen zu Schanden macht, kann die plastische Anschaulichkeit des Ver¬
gleichs würdigen, welcher den in ungemessener Freiheitsliebe ans seinem Rosse sich
tummelnden, abgehärteten und genügsamen Beduinen der Wüste jenem Thiere
gleichstellt. Von demselben Werthe für eine richtige Auffassung des Inhalts der
biblischen Bücher ist ferner die Kenntniß der Sitten und Gebräuche, die ja be¬
sonders bei der nomadisirenden und ackerbautreibenden Bevölkerung in vielen
Beziehungen dieselben geblieben find. Wenn der von schrecklicher Krankheit
heimgesuchte Hiob "in der Asche saß", wie Luther übersetzt, so ist dies nicht,
wie man gewöhnlich erklärt, ein Zeichen seiner Trauer, sondern noch heute liegt
der arme Verlassene, dem wegen ansteckender, ekelhafter Krankheit der Zutritt
in die Wohnungen verwehrt ist, auf der Mezbele vor dem Dorfe, d. h. auf dem
Hügel, der sich durch die unaufhörlich wiederholte Aufschichtung des zu Asche
verbrannten Mistes in der Nähe jedes Hauranischen Dorfes gebildet hat, indem
er am Tage die Vorübergehenden um Almosen anruft und des Nachts sich
in die von der Sonne erwärmte Asche birgt. Erscheint auch die Kenntniß des
Heiligen Landes nach dieser Seite hin vielleicht nur von secundärer Bedeu¬
tung, so ist sie doch für die richtige Auffassung des biblischen Inhalts ent¬
schieden von Wichtigkeit, und es erfüllt uns mit Befriedigung, daß wir die
neuesten und ausgiebigsten Aufschlüsse dieser Art dem Forschungseifer und der
genauen Naturbeobachtung eines Deutschen, des Dr. Wetzstein in Berlin, ver¬
danken, der sich als tgi. preußischer Consul in Damascus eine eingehende Ver¬
trautheit mit der Natur von Land und Leuten des Ostjordanlandes verschaffte
und diese in der glücklichsten Weise für die Aufschließung des Sinnes so
mancher schwierigen Stelle des alten Testaments in Delitzschs Bibeleommentaren
verwerthet hat.

Auf dem Gebiete der rein geographischen und topographischen Erforschung
Palästinas hatten wir Deutschen dagegen bis vor nicht langer Zeit den Eng-


Rechenschaft, welche den Titel trägt: Orr port in l^lestine: vsinx an account ok tue ein'-
ksrsnt exxsclitions hört our to rue noix- I"n<l dz? tuo eomwittse ok tlisVxvl. I?uns sinvs
tre estÄdUsNinviit ok ins luna in 18os. (343 S.) Dies treffliche Buch können Wir jedem,
der sich über die Aufgaben der Palästina-Vereine orientiren will, aufs wärmste empfehlen.

ständniß nur dem, der sich von der Beschaffenheit der der heißeren Sonne ent¬
sprechenden Natur des Landes, von seinen mannigfachen Naturprodukten und
selbst von den Hilfsmitteln und Erzeugnissen seines Gewerbfleißes ein klares
Bild verschafft hat. Nur wer deu Granatbaum und seine Frucht kennt, versteht
den Sinn des Dichterwortes, welches die mit sanftem Roth übergossenen Schläfe
der von der Sonne lieblich gebräunten Hirtin dem Inneren der Granate ver¬
gleicht; nur wer den Unterschied kennt zwischen unserem Esel und dem Wild¬
esel, jenem schönen und flinken Thiere, dessen pfeilschnelle Geschwindigkeit alle
Nachstellungen zu Schanden macht, kann die plastische Anschaulichkeit des Ver¬
gleichs würdigen, welcher den in ungemessener Freiheitsliebe ans seinem Rosse sich
tummelnden, abgehärteten und genügsamen Beduinen der Wüste jenem Thiere
gleichstellt. Von demselben Werthe für eine richtige Auffassung des Inhalts der
biblischen Bücher ist ferner die Kenntniß der Sitten und Gebräuche, die ja be¬
sonders bei der nomadisirenden und ackerbautreibenden Bevölkerung in vielen
Beziehungen dieselben geblieben find. Wenn der von schrecklicher Krankheit
heimgesuchte Hiob „in der Asche saß", wie Luther übersetzt, so ist dies nicht,
wie man gewöhnlich erklärt, ein Zeichen seiner Trauer, sondern noch heute liegt
der arme Verlassene, dem wegen ansteckender, ekelhafter Krankheit der Zutritt
in die Wohnungen verwehrt ist, auf der Mezbele vor dem Dorfe, d. h. auf dem
Hügel, der sich durch die unaufhörlich wiederholte Aufschichtung des zu Asche
verbrannten Mistes in der Nähe jedes Hauranischen Dorfes gebildet hat, indem
er am Tage die Vorübergehenden um Almosen anruft und des Nachts sich
in die von der Sonne erwärmte Asche birgt. Erscheint auch die Kenntniß des
Heiligen Landes nach dieser Seite hin vielleicht nur von secundärer Bedeu¬
tung, so ist sie doch für die richtige Auffassung des biblischen Inhalts ent¬
schieden von Wichtigkeit, und es erfüllt uns mit Befriedigung, daß wir die
neuesten und ausgiebigsten Aufschlüsse dieser Art dem Forschungseifer und der
genauen Naturbeobachtung eines Deutschen, des Dr. Wetzstein in Berlin, ver¬
danken, der sich als tgi. preußischer Consul in Damascus eine eingehende Ver¬
trautheit mit der Natur von Land und Leuten des Ostjordanlandes verschaffte
und diese in der glücklichsten Weise für die Aufschließung des Sinnes so
mancher schwierigen Stelle des alten Testaments in Delitzschs Bibeleommentaren
verwerthet hat.

Auf dem Gebiete der rein geographischen und topographischen Erforschung
Palästinas hatten wir Deutschen dagegen bis vor nicht langer Zeit den Eng-


Rechenschaft, welche den Titel trägt: Orr port in l^lestine: vsinx an account ok tue ein'-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/555>, abgerufen am 22.07.2024.