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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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addirt, sondern gleichsam übergipfelt sind, so daß sie, diese Vielen, sogar wieder
Objecte repräsentiren, die von diesem Gipfel herab angeschaut werden, so ist
es einfach Mißbrauch der Sprache, noch das Wort "Summe" anzuwenden.
Fechner's Bezeichnung "Resultante" ist bei Weitem annehmbarer. Denn "Resul¬
tante" darf wohl auch eine neue eigenthümliche Thätigkeit genannt werden, die
aus einem einheitlichen, selbständigen Thätigkeitseentrum als Reaction auf eine
Vielheit von Einwirkungen auf dasselbe Centrum in gesetzmäßig bestimmter Weise
hervorbricht. Aber diese Betrachtungen entscheiden ja nicht darüber, ob eine Ansicht
monadologisch sei oder nicht. Auch ganz empfindungslose Atome, wenn sie nicht
mehr als raumerfüllende Stofftheile, sondern als punktuelleWirkungsherde gedacht
würden, müßten Monaten genannt werden. Wenn nun nach Fechner jedes höhere,
umfassendere Bewußtsein eine Vielheit niederer Centren voraussetzt, über welche es
sich erhebt, welche es umspannt, über welche es, nach Fechners Lieblingsausdrücke,
"übergreift", so würden wir uns doch zu erinnern haben, daß alle diese Aus¬
drücke bildliche sind, räumlichen Anschauungen entlehnt. Was ist der Sinn dieser
Bilder? Doch wohl kein anderer als der: es giebt eine Stufenfolge von
Monaden, in welcher jede höhere Gattung die Fähigkeit besitzt, von den niederen
Erscheinungsbilder zu empfangen, deren Vielheit eine Vielheit von Objecten dar¬
stellt für das vorstellende Bewußtsein der je höheren Monas. Wir sehen nicht
wie hierbei die Welt der dunkeln "Dinge an sich" vermieden werden soll. So
hell es auch im Innern jeder dieser Monaden wäre, der Träger dieses Innern
bliebe für jeden andern derartigen Träger, ja anch für Gott, ein selbständig
ihm gegenüberstehendes Anderes, ein undnrchdringbares, festes, eigenes Ich.
Fechner selbst fühlt die Annäherung dieser Skylla und deutet deshalb an, daß
er die Charybdis, die denn allein übrig zu bleiben scheint, weniger fürchte: die
gänzliche Auslosung der Vielen, die erst Atome, Kraftcentren u. s. w. genannt
wurden, und an deren selbständige Existenz nach allen sonstigen Ausführungen
Fechner selbst zu glauben schien, in bloße Kraftthätigkeiten, bloße Wirkungen der sie
umspannenden höheren Wesenseinheit (S. 251 s.). Ist nun aber jede dieser höhern
Einheiten (außer der göttlichen) wieder nur Glied einer analogen höheren Vielheit,
über welcher wiederum sich ein umspannendes und übergreifendes Bewußtsein
wölbt, so würde es schließlich nur ein selbständiges, substantiell existirendes
Wesen gebe", nämlich Gott, und alle unter und in ihm enthaltenen Vielheiten
wären nur seine Wirkungen, aber keineswegs selbst wirkende Centren. Wir
glauben in der That, daß die "Tagesansicht" nur die Wahl hat zwischen diesen
beiden Möglichkeiten: Monadologie oder All-Einheitslehre. Fechner
sucht seine Ansicht, die in diesen: Stück das Dunkel gar mancher anderen An¬
sicht theilt und die Verwerfung aller anderen unter dem Gesammttitel der


addirt, sondern gleichsam übergipfelt sind, so daß sie, diese Vielen, sogar wieder
Objecte repräsentiren, die von diesem Gipfel herab angeschaut werden, so ist
es einfach Mißbrauch der Sprache, noch das Wort „Summe" anzuwenden.
Fechner's Bezeichnung „Resultante" ist bei Weitem annehmbarer. Denn „Resul¬
tante" darf wohl auch eine neue eigenthümliche Thätigkeit genannt werden, die
aus einem einheitlichen, selbständigen Thätigkeitseentrum als Reaction auf eine
Vielheit von Einwirkungen auf dasselbe Centrum in gesetzmäßig bestimmter Weise
hervorbricht. Aber diese Betrachtungen entscheiden ja nicht darüber, ob eine Ansicht
monadologisch sei oder nicht. Auch ganz empfindungslose Atome, wenn sie nicht
mehr als raumerfüllende Stofftheile, sondern als punktuelleWirkungsherde gedacht
würden, müßten Monaten genannt werden. Wenn nun nach Fechner jedes höhere,
umfassendere Bewußtsein eine Vielheit niederer Centren voraussetzt, über welche es
sich erhebt, welche es umspannt, über welche es, nach Fechners Lieblingsausdrücke,
„übergreift", so würden wir uns doch zu erinnern haben, daß alle diese Aus¬
drücke bildliche sind, räumlichen Anschauungen entlehnt. Was ist der Sinn dieser
Bilder? Doch wohl kein anderer als der: es giebt eine Stufenfolge von
Monaden, in welcher jede höhere Gattung die Fähigkeit besitzt, von den niederen
Erscheinungsbilder zu empfangen, deren Vielheit eine Vielheit von Objecten dar¬
stellt für das vorstellende Bewußtsein der je höheren Monas. Wir sehen nicht
wie hierbei die Welt der dunkeln „Dinge an sich" vermieden werden soll. So
hell es auch im Innern jeder dieser Monaden wäre, der Träger dieses Innern
bliebe für jeden andern derartigen Träger, ja anch für Gott, ein selbständig
ihm gegenüberstehendes Anderes, ein undnrchdringbares, festes, eigenes Ich.
Fechner selbst fühlt die Annäherung dieser Skylla und deutet deshalb an, daß
er die Charybdis, die denn allein übrig zu bleiben scheint, weniger fürchte: die
gänzliche Auslosung der Vielen, die erst Atome, Kraftcentren u. s. w. genannt
wurden, und an deren selbständige Existenz nach allen sonstigen Ausführungen
Fechner selbst zu glauben schien, in bloße Kraftthätigkeiten, bloße Wirkungen der sie
umspannenden höheren Wesenseinheit (S. 251 s.). Ist nun aber jede dieser höhern
Einheiten (außer der göttlichen) wieder nur Glied einer analogen höheren Vielheit,
über welcher wiederum sich ein umspannendes und übergreifendes Bewußtsein
wölbt, so würde es schließlich nur ein selbständiges, substantiell existirendes
Wesen gebe«, nämlich Gott, und alle unter und in ihm enthaltenen Vielheiten
wären nur seine Wirkungen, aber keineswegs selbst wirkende Centren. Wir
glauben in der That, daß die „Tagesansicht" nur die Wahl hat zwischen diesen
beiden Möglichkeiten: Monadologie oder All-Einheitslehre. Fechner
sucht seine Ansicht, die in diesen: Stück das Dunkel gar mancher anderen An¬
sicht theilt und die Verwerfung aller anderen unter dem Gesammttitel der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/546>, abgerufen am 22.07.2024.