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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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schiedenen, in der uns bekannten aufsteigenden Reihe abgestuften unzähligen
Bewußtseinsträger, auch wenn nicht materiell, doch in ihrer selbständigen sub-
jectiven Sonderexistenz eine Außenwelt für die Gottheit? Sind wir doch zunächst
versucht, uns Fechners Welt sehr nach Art der Leibnitzischen Monadenwelt vor¬
zustellen. Wir denken uns die Weltkörper in Fechners Sinne als Systeme vieler
Stufen solcher Monadenreiche, die vom Gesammtbewußtsein des jedesmaligen
Weltkörper- oder Gestirngeistes umfaßt sind, wie diese vom Bewußtsein der
Gottheit, wie abwärts wieder die Monadensysteme des Menschen, des Thieres,
der Pflanze, des Krystalls je von den das Einzelwesen zur Einheit zusammen¬
fassenden Bewußtseinscentren umfaßt sind. Am tiefsten Punkte dieser Reihe stünden
jene philosophischen, punctuellen Atome, welche Fechners "Atomenlehre" (1855)
über die physikalischen Atome hinaus als deren letzte Grundbestandtheile annahm.
Sind auch diese Atome Bewußtseinscentren, die allerdings nichts weiter um¬
fassen, sondern selbst nur umfaßt sind, die keine Außenwelt, fondern nur eine
einfachste Innenwelt haben, welche nur für Wesen höherer Stufen zur Außen¬
welt wird, so würde in diesen Atomen die Leibnitzische uicmaäo doues
nahezu wiederkehren. Alle diese Monaden, all diese immerhin immateriellen,
aber doch als selbständige Centren, subjective Bewußtseinsherde, Ausstrahlungs¬
punkte gedachten Wesen, sind sie nicht ebensoviele Glieder einer Außenwelt
Gottes? Können sie lediglich Objecte des göttlichen Universalbewußtseins
oder des göttlichen Subjects sein, da sie doch selbst Subjecte sind?

Die Lösung dieser Fragen läßt ein besonderer Abschnitt unseres Buches
hoffen, der die Ueberschrift trägt: "Stellung der Tagesansicht zur Monadologie"
(S. 246 ff.). Wir müssen bekennen, daß die Ausführungen dieses Abschnitts uns
nicht davon überzeugen konnten, daß zwischen der monadologischen Ansicht und
der Fechnerschen ein wesentlicher Unterschied bestehe. Höchstens, daß Fechner es sehr
zweifelhaft läßt, ob den einzelnen Atomen ein Innenleben, ein Empfinden zu¬
komme oder nicht, und daß er keinesfalls aus den Summationen dieser Atom¬
empfindungen die zusammenfassenden Bewußtseinsphänomene höherer Seelen¬
einheiten hervorgehen lassen will. In letzterem Punkte nun wird ihm jeder
besonnene Denker ohne weiteres zustimmen, und nur selten hat ein Mona-
dolog, am wenigstens hat Leibnitz darüber anders geurtheilt. Eine Summe ist an
und für sich niemals eine Einheit, sondern ein äußerliches Nebeneinander der
Vielen, welche darin summirt sind. Das bewußte Ziehen einer Summe
freilich, das Denken und Benennen des einheitlichen Zahlbegriffs z. B., der das
Ergebniß einer Summirung mehrerer Zahlen enthält und ausdrückt, ist ein ein¬
heitlicher Bewußtseinsact, aber dieses Ziehen der Summe ist nicht selbst die
Summe. Ist nun vollends gar nicht mehr von einer Summirung der Vielen
die Rede, sondern von der Erzeugung eines Neuen über ihnen, wodurch sie nicht


schiedenen, in der uns bekannten aufsteigenden Reihe abgestuften unzähligen
Bewußtseinsträger, auch wenn nicht materiell, doch in ihrer selbständigen sub-
jectiven Sonderexistenz eine Außenwelt für die Gottheit? Sind wir doch zunächst
versucht, uns Fechners Welt sehr nach Art der Leibnitzischen Monadenwelt vor¬
zustellen. Wir denken uns die Weltkörper in Fechners Sinne als Systeme vieler
Stufen solcher Monadenreiche, die vom Gesammtbewußtsein des jedesmaligen
Weltkörper- oder Gestirngeistes umfaßt sind, wie diese vom Bewußtsein der
Gottheit, wie abwärts wieder die Monadensysteme des Menschen, des Thieres,
der Pflanze, des Krystalls je von den das Einzelwesen zur Einheit zusammen¬
fassenden Bewußtseinscentren umfaßt sind. Am tiefsten Punkte dieser Reihe stünden
jene philosophischen, punctuellen Atome, welche Fechners „Atomenlehre" (1855)
über die physikalischen Atome hinaus als deren letzte Grundbestandtheile annahm.
Sind auch diese Atome Bewußtseinscentren, die allerdings nichts weiter um¬
fassen, sondern selbst nur umfaßt sind, die keine Außenwelt, fondern nur eine
einfachste Innenwelt haben, welche nur für Wesen höherer Stufen zur Außen¬
welt wird, so würde in diesen Atomen die Leibnitzische uicmaäo doues
nahezu wiederkehren. Alle diese Monaden, all diese immerhin immateriellen,
aber doch als selbständige Centren, subjective Bewußtseinsherde, Ausstrahlungs¬
punkte gedachten Wesen, sind sie nicht ebensoviele Glieder einer Außenwelt
Gottes? Können sie lediglich Objecte des göttlichen Universalbewußtseins
oder des göttlichen Subjects sein, da sie doch selbst Subjecte sind?

Die Lösung dieser Fragen läßt ein besonderer Abschnitt unseres Buches
hoffen, der die Ueberschrift trägt: „Stellung der Tagesansicht zur Monadologie"
(S. 246 ff.). Wir müssen bekennen, daß die Ausführungen dieses Abschnitts uns
nicht davon überzeugen konnten, daß zwischen der monadologischen Ansicht und
der Fechnerschen ein wesentlicher Unterschied bestehe. Höchstens, daß Fechner es sehr
zweifelhaft läßt, ob den einzelnen Atomen ein Innenleben, ein Empfinden zu¬
komme oder nicht, und daß er keinesfalls aus den Summationen dieser Atom¬
empfindungen die zusammenfassenden Bewußtseinsphänomene höherer Seelen¬
einheiten hervorgehen lassen will. In letzterem Punkte nun wird ihm jeder
besonnene Denker ohne weiteres zustimmen, und nur selten hat ein Mona-
dolog, am wenigstens hat Leibnitz darüber anders geurtheilt. Eine Summe ist an
und für sich niemals eine Einheit, sondern ein äußerliches Nebeneinander der
Vielen, welche darin summirt sind. Das bewußte Ziehen einer Summe
freilich, das Denken und Benennen des einheitlichen Zahlbegriffs z. B., der das
Ergebniß einer Summirung mehrerer Zahlen enthält und ausdrückt, ist ein ein¬
heitlicher Bewußtseinsact, aber dieses Ziehen der Summe ist nicht selbst die
Summe. Ist nun vollends gar nicht mehr von einer Summirung der Vielen
die Rede, sondern von der Erzeugung eines Neuen über ihnen, wodurch sie nicht


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[0545] schiedenen, in der uns bekannten aufsteigenden Reihe abgestuften unzähligen Bewußtseinsträger, auch wenn nicht materiell, doch in ihrer selbständigen sub- jectiven Sonderexistenz eine Außenwelt für die Gottheit? Sind wir doch zunächst versucht, uns Fechners Welt sehr nach Art der Leibnitzischen Monadenwelt vor¬ zustellen. Wir denken uns die Weltkörper in Fechners Sinne als Systeme vieler Stufen solcher Monadenreiche, die vom Gesammtbewußtsein des jedesmaligen Weltkörper- oder Gestirngeistes umfaßt sind, wie diese vom Bewußtsein der Gottheit, wie abwärts wieder die Monadensysteme des Menschen, des Thieres, der Pflanze, des Krystalls je von den das Einzelwesen zur Einheit zusammen¬ fassenden Bewußtseinscentren umfaßt sind. Am tiefsten Punkte dieser Reihe stünden jene philosophischen, punctuellen Atome, welche Fechners „Atomenlehre" (1855) über die physikalischen Atome hinaus als deren letzte Grundbestandtheile annahm. Sind auch diese Atome Bewußtseinscentren, die allerdings nichts weiter um¬ fassen, sondern selbst nur umfaßt sind, die keine Außenwelt, fondern nur eine einfachste Innenwelt haben, welche nur für Wesen höherer Stufen zur Außen¬ welt wird, so würde in diesen Atomen die Leibnitzische uicmaäo doues nahezu wiederkehren. Alle diese Monaden, all diese immerhin immateriellen, aber doch als selbständige Centren, subjective Bewußtseinsherde, Ausstrahlungs¬ punkte gedachten Wesen, sind sie nicht ebensoviele Glieder einer Außenwelt Gottes? Können sie lediglich Objecte des göttlichen Universalbewußtseins oder des göttlichen Subjects sein, da sie doch selbst Subjecte sind? Die Lösung dieser Fragen läßt ein besonderer Abschnitt unseres Buches hoffen, der die Ueberschrift trägt: „Stellung der Tagesansicht zur Monadologie" (S. 246 ff.). Wir müssen bekennen, daß die Ausführungen dieses Abschnitts uns nicht davon überzeugen konnten, daß zwischen der monadologischen Ansicht und der Fechnerschen ein wesentlicher Unterschied bestehe. Höchstens, daß Fechner es sehr zweifelhaft läßt, ob den einzelnen Atomen ein Innenleben, ein Empfinden zu¬ komme oder nicht, und daß er keinesfalls aus den Summationen dieser Atom¬ empfindungen die zusammenfassenden Bewußtseinsphänomene höherer Seelen¬ einheiten hervorgehen lassen will. In letzterem Punkte nun wird ihm jeder besonnene Denker ohne weiteres zustimmen, und nur selten hat ein Mona- dolog, am wenigstens hat Leibnitz darüber anders geurtheilt. Eine Summe ist an und für sich niemals eine Einheit, sondern ein äußerliches Nebeneinander der Vielen, welche darin summirt sind. Das bewußte Ziehen einer Summe freilich, das Denken und Benennen des einheitlichen Zahlbegriffs z. B., der das Ergebniß einer Summirung mehrerer Zahlen enthält und ausdrückt, ist ein ein¬ heitlicher Bewußtseinsact, aber dieses Ziehen der Summe ist nicht selbst die Summe. Ist nun vollends gar nicht mehr von einer Summirung der Vielen die Rede, sondern von der Erzeugung eines Neuen über ihnen, wodurch sie nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/545>, abgerufen am 22.07.2024.