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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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künstlerische Entwicklung von tief einschneidender Bedeutung; mit den Bildern,
welche er nach den in der Eifel gemachte:: Studien vollendete, hebt auch die
realistische Epoche in der neueren deutschen Landschaftsmalern an. Damals
spann Lessing die Fäden, an welche später die Achenbachs und andere Koryphäen
der Düsseldorfer Landschaftsmalerei anknüpften.

Die eine der drei ersten Eifellandschasten, die schönste, ist aus der
Wagner'schen Sammlung in den Besitz der Natioualgalerie gekommen. Am
Fuße eines hoch aufragenden Berges mit breitem Rücken, dessen unterer Theil
beackert ist, liegt ein Städtchen tief eingebettet, und davor ein See, in welchem
sich der Bergriese spiegelt. Um den See zieht sich ein Weg in den Vordergrund,
auf welchem ein Landmann auf seinem Gaule dahintrabt. Zwei Mädchen, die
auf einer Brücke stehe:?, blicken dein Reitenden nach. Die peinlich genaue
Detaillirung der Einzelheiten, der Häuser, der Bäume und Sträucher, der Wege,
der Ackerparzelleu u. s. w. erinnert zwar noch ganz an die Erstlingslandschaften
Lessings, und auch die unmuthigen Effecte des Sonnenlichts, welches alle
Contouren mit einem duftigen Schleier umzieht und denselben ihre Schärfe
nimmt, wurden schon auf den frühesten Bildern des Künstlers mit Recht be¬
wundert. Als neues Element aber tritt uns hier der eigenartige Charakter
entgegen, welcher die ideale Composition von dem landschaftlichen Porträt
unterscheidet. Der moderne Realismus macht hier in der treuen, von keiner
Reflexion getrübte" Wiedergabe des Geschauten seine ersten schüchternen Ver¬
suche. Jetzt kam anch Lessing sein geologisches Wissen zu Gute, welches er
überdies auf der Eifelreise noch dadurch erweiterte, daß er ein Werk von
Nöggerath "Das Gebirge in Rheinland - Westphalen nach mineralogischen und
chemischem Bezüge" fleißig zu Rathe zog. Die Früchte dieses Studiums zeigten
sich auf dem oben erwähnten Bilde in der treffenden Charakteristik der Fels¬
schichten und in der richtigen Anordnung ihrer Reihenfolge. Durch dieses
energische Festhalten ihrer realen Erscheinung verlor die Landschaft zunächst ihr
unbestimmtes, verschwommenes Ansehen. Das Auge schärfte sich im Anblick
dieser gleichsam monumentalen Felsmassen, und so wurde die Landschaft all¬
mählich ans der romantischen Stimmung zum plastischen Charakter hinübergeführt.

Die Eifel hatte auf Lessing einen so mächtigen Eindruck gemacht, daß er
sich demselben sein ganzes Leben lang nicht mehr zu entziehen vermochte. Wenn
er auch gelegentlich Motive aus Schlesien (Wiesenlandschaft von 1841, Berliner
Nationalgalerie) oder aus Mitteldeutschland (Gebirgslandschaft von 1847, im
Leipziger Museum) verwerthet, kehrt er doch immer wieder mit Vorliebe zur
Eifel zurück, und gerade an diesen verschiedenen Eifellandschaften läßt sich am
besten verfolgen, wie sich Lessing allgemach aus der kindlichen Befangenheit des
romantischen Stils zur vollsten Freiheit des modernen Realismus, der sich mit


künstlerische Entwicklung von tief einschneidender Bedeutung; mit den Bildern,
welche er nach den in der Eifel gemachte:: Studien vollendete, hebt auch die
realistische Epoche in der neueren deutschen Landschaftsmalern an. Damals
spann Lessing die Fäden, an welche später die Achenbachs und andere Koryphäen
der Düsseldorfer Landschaftsmalerei anknüpften.

Die eine der drei ersten Eifellandschasten, die schönste, ist aus der
Wagner'schen Sammlung in den Besitz der Natioualgalerie gekommen. Am
Fuße eines hoch aufragenden Berges mit breitem Rücken, dessen unterer Theil
beackert ist, liegt ein Städtchen tief eingebettet, und davor ein See, in welchem
sich der Bergriese spiegelt. Um den See zieht sich ein Weg in den Vordergrund,
auf welchem ein Landmann auf seinem Gaule dahintrabt. Zwei Mädchen, die
auf einer Brücke stehe:?, blicken dein Reitenden nach. Die peinlich genaue
Detaillirung der Einzelheiten, der Häuser, der Bäume und Sträucher, der Wege,
der Ackerparzelleu u. s. w. erinnert zwar noch ganz an die Erstlingslandschaften
Lessings, und auch die unmuthigen Effecte des Sonnenlichts, welches alle
Contouren mit einem duftigen Schleier umzieht und denselben ihre Schärfe
nimmt, wurden schon auf den frühesten Bildern des Künstlers mit Recht be¬
wundert. Als neues Element aber tritt uns hier der eigenartige Charakter
entgegen, welcher die ideale Composition von dem landschaftlichen Porträt
unterscheidet. Der moderne Realismus macht hier in der treuen, von keiner
Reflexion getrübte» Wiedergabe des Geschauten seine ersten schüchternen Ver¬
suche. Jetzt kam anch Lessing sein geologisches Wissen zu Gute, welches er
überdies auf der Eifelreise noch dadurch erweiterte, daß er ein Werk von
Nöggerath „Das Gebirge in Rheinland - Westphalen nach mineralogischen und
chemischem Bezüge" fleißig zu Rathe zog. Die Früchte dieses Studiums zeigten
sich auf dem oben erwähnten Bilde in der treffenden Charakteristik der Fels¬
schichten und in der richtigen Anordnung ihrer Reihenfolge. Durch dieses
energische Festhalten ihrer realen Erscheinung verlor die Landschaft zunächst ihr
unbestimmtes, verschwommenes Ansehen. Das Auge schärfte sich im Anblick
dieser gleichsam monumentalen Felsmassen, und so wurde die Landschaft all¬
mählich ans der romantischen Stimmung zum plastischen Charakter hinübergeführt.

Die Eifel hatte auf Lessing einen so mächtigen Eindruck gemacht, daß er
sich demselben sein ganzes Leben lang nicht mehr zu entziehen vermochte. Wenn
er auch gelegentlich Motive aus Schlesien (Wiesenlandschaft von 1841, Berliner
Nationalgalerie) oder aus Mitteldeutschland (Gebirgslandschaft von 1847, im
Leipziger Museum) verwerthet, kehrt er doch immer wieder mit Vorliebe zur
Eifel zurück, und gerade an diesen verschiedenen Eifellandschaften läßt sich am
besten verfolgen, wie sich Lessing allgemach aus der kindlichen Befangenheit des
romantischen Stils zur vollsten Freiheit des modernen Realismus, der sich mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/518>, abgerufen am 22.07.2024.