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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Theil der Directorialgeschäfte übertrug. Dieselben ließen ihm jedoch die Zeit,
fast gleichzeitig zwei Gemälde von romantisch-sentimentalen Charakter zu vollen¬
den, welche schon im nächsten Jahre zur öffentlichen Ausstellung gelangten. Auf
dem einen schilderte er nach Bürgers "Lenore", aber in mittelalterliches Costüm
übertragen, die Heimkehr der Krieger, von welchen Lenore die Kunde von dem
Schicksal Wilhelms erhält. Zu dem anderen Bilde "Der Räuber und sein Kind"
war er durch ein Buch über die Räuberbande am Mittel- und Unterrhein in-
spirirt worden, welches ihm schon bei seiner Ankunft in Düsseldorf in die Hände
gefallen war und welches eine Zeit lang seine Ideenwelt beherrschte. Der Räuber
sitzt in Gedanken verloren, als ob er Schmerz und Reue über sein verbrecherisches
Leben empfände, von der Abendsonne voll beleuchtet, auf der Spitze eines Felsens.
Das unschuldige Kind, welches auf seinen Knieen schläft, fügt zu dem Glänze
abenteuerlicher Romantik den sentimentalen Beigeschmack. Es verdient übrigens
erwähnt zu werden, daß das Ungesunde und Gefährliche, welches in dieser
Richtung liegt, von der gleichzeitigen Kritik keineswegs verkannt wurde. Nur
erkannte man in der kräftigen gediegenen, der Natur nachstrebenden Malweise
Lessings das beste Correctiv gegen diese sentimental-poetische Schwärmerei,
und es dauerte auch nicht lange, bis sich Lessing an der Hand der Natur
aus diesen unklaren, aber bei seiner Jugend leicht verzeihlichen und aus der
Zeitströmung doppelt erklärliche" Phantastereien in eine freiere Atmosphäre
herausarbeitete.

Wie eine Reise nach Rügen den landschaftlichen Sinn des Künstlers zu
voller Entwicklung gebracht hatte, so war es jetzt, 1832, ein längerer Ausflug
in das Eifelgebiet, welcher eine so vollständige Umwälzung in den Anschauungen
Lessings hervvrief, daß mit ihr eine neue Periode seines Schaffens begann.
Die moderne Landschaft mit ihrem wohl abgemessenen Ackerbau und ihrer po¬
lizeilich geregelten Forstcultur war seinem auf das Erhabene und Großartige
gerichteten Sinne unerträglich gewesen. Deshalb dachte er sich gern in die von
der modernen Civilisation noch unberührte Natur hinein, wie sie vielleicht das
Mittelalter noch gesehen, und wenn er Landschaften in solchem Geiste componirte,
mußte er sie auch mit einer mittelalterlichen Staffage bevölkern, welche mit der
ernsten Größe und erhabenen Einsamkeit der Natur besser harmonirte als der
simple Landmann seiner Zeit. In der Eifellandschaft fand er aber eine Natur
vor, die er bisher vergeblich gesucht hatte. Trotzige Felskegel und gigantische,
wild über einander geschichtete Gebirgsmassen blickten auf Thäler herab, in
welchen ein einfaches, kerniges Bauerngeschlecht in patriarchalischer Weise seinen
ländlichen Beschäftigungen lebte. Hier ging dem jungen Maler, der bisher
nur mit Rittern, Räubern und Mönchen harmonirt hatte, zum ersten Male der
Sinn für die Gegenwart auf. Die Eifelreise war nicht nur für ihn und seine


Theil der Directorialgeschäfte übertrug. Dieselben ließen ihm jedoch die Zeit,
fast gleichzeitig zwei Gemälde von romantisch-sentimentalen Charakter zu vollen¬
den, welche schon im nächsten Jahre zur öffentlichen Ausstellung gelangten. Auf
dem einen schilderte er nach Bürgers „Lenore", aber in mittelalterliches Costüm
übertragen, die Heimkehr der Krieger, von welchen Lenore die Kunde von dem
Schicksal Wilhelms erhält. Zu dem anderen Bilde „Der Räuber und sein Kind"
war er durch ein Buch über die Räuberbande am Mittel- und Unterrhein in-
spirirt worden, welches ihm schon bei seiner Ankunft in Düsseldorf in die Hände
gefallen war und welches eine Zeit lang seine Ideenwelt beherrschte. Der Räuber
sitzt in Gedanken verloren, als ob er Schmerz und Reue über sein verbrecherisches
Leben empfände, von der Abendsonne voll beleuchtet, auf der Spitze eines Felsens.
Das unschuldige Kind, welches auf seinen Knieen schläft, fügt zu dem Glänze
abenteuerlicher Romantik den sentimentalen Beigeschmack. Es verdient übrigens
erwähnt zu werden, daß das Ungesunde und Gefährliche, welches in dieser
Richtung liegt, von der gleichzeitigen Kritik keineswegs verkannt wurde. Nur
erkannte man in der kräftigen gediegenen, der Natur nachstrebenden Malweise
Lessings das beste Correctiv gegen diese sentimental-poetische Schwärmerei,
und es dauerte auch nicht lange, bis sich Lessing an der Hand der Natur
aus diesen unklaren, aber bei seiner Jugend leicht verzeihlichen und aus der
Zeitströmung doppelt erklärliche« Phantastereien in eine freiere Atmosphäre
herausarbeitete.

Wie eine Reise nach Rügen den landschaftlichen Sinn des Künstlers zu
voller Entwicklung gebracht hatte, so war es jetzt, 1832, ein längerer Ausflug
in das Eifelgebiet, welcher eine so vollständige Umwälzung in den Anschauungen
Lessings hervvrief, daß mit ihr eine neue Periode seines Schaffens begann.
Die moderne Landschaft mit ihrem wohl abgemessenen Ackerbau und ihrer po¬
lizeilich geregelten Forstcultur war seinem auf das Erhabene und Großartige
gerichteten Sinne unerträglich gewesen. Deshalb dachte er sich gern in die von
der modernen Civilisation noch unberührte Natur hinein, wie sie vielleicht das
Mittelalter noch gesehen, und wenn er Landschaften in solchem Geiste componirte,
mußte er sie auch mit einer mittelalterlichen Staffage bevölkern, welche mit der
ernsten Größe und erhabenen Einsamkeit der Natur besser harmonirte als der
simple Landmann seiner Zeit. In der Eifellandschaft fand er aber eine Natur
vor, die er bisher vergeblich gesucht hatte. Trotzige Felskegel und gigantische,
wild über einander geschichtete Gebirgsmassen blickten auf Thäler herab, in
welchen ein einfaches, kerniges Bauerngeschlecht in patriarchalischer Weise seinen
ländlichen Beschäftigungen lebte. Hier ging dem jungen Maler, der bisher
nur mit Rittern, Räubern und Mönchen harmonirt hatte, zum ersten Male der
Sinn für die Gegenwart auf. Die Eifelreise war nicht nur für ihn und seine


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[0517] Theil der Directorialgeschäfte übertrug. Dieselben ließen ihm jedoch die Zeit, fast gleichzeitig zwei Gemälde von romantisch-sentimentalen Charakter zu vollen¬ den, welche schon im nächsten Jahre zur öffentlichen Ausstellung gelangten. Auf dem einen schilderte er nach Bürgers „Lenore", aber in mittelalterliches Costüm übertragen, die Heimkehr der Krieger, von welchen Lenore die Kunde von dem Schicksal Wilhelms erhält. Zu dem anderen Bilde „Der Räuber und sein Kind" war er durch ein Buch über die Räuberbande am Mittel- und Unterrhein in- spirirt worden, welches ihm schon bei seiner Ankunft in Düsseldorf in die Hände gefallen war und welches eine Zeit lang seine Ideenwelt beherrschte. Der Räuber sitzt in Gedanken verloren, als ob er Schmerz und Reue über sein verbrecherisches Leben empfände, von der Abendsonne voll beleuchtet, auf der Spitze eines Felsens. Das unschuldige Kind, welches auf seinen Knieen schläft, fügt zu dem Glänze abenteuerlicher Romantik den sentimentalen Beigeschmack. Es verdient übrigens erwähnt zu werden, daß das Ungesunde und Gefährliche, welches in dieser Richtung liegt, von der gleichzeitigen Kritik keineswegs verkannt wurde. Nur erkannte man in der kräftigen gediegenen, der Natur nachstrebenden Malweise Lessings das beste Correctiv gegen diese sentimental-poetische Schwärmerei, und es dauerte auch nicht lange, bis sich Lessing an der Hand der Natur aus diesen unklaren, aber bei seiner Jugend leicht verzeihlichen und aus der Zeitströmung doppelt erklärliche« Phantastereien in eine freiere Atmosphäre herausarbeitete. Wie eine Reise nach Rügen den landschaftlichen Sinn des Künstlers zu voller Entwicklung gebracht hatte, so war es jetzt, 1832, ein längerer Ausflug in das Eifelgebiet, welcher eine so vollständige Umwälzung in den Anschauungen Lessings hervvrief, daß mit ihr eine neue Periode seines Schaffens begann. Die moderne Landschaft mit ihrem wohl abgemessenen Ackerbau und ihrer po¬ lizeilich geregelten Forstcultur war seinem auf das Erhabene und Großartige gerichteten Sinne unerträglich gewesen. Deshalb dachte er sich gern in die von der modernen Civilisation noch unberührte Natur hinein, wie sie vielleicht das Mittelalter noch gesehen, und wenn er Landschaften in solchem Geiste componirte, mußte er sie auch mit einer mittelalterlichen Staffage bevölkern, welche mit der ernsten Größe und erhabenen Einsamkeit der Natur besser harmonirte als der simple Landmann seiner Zeit. In der Eifellandschaft fand er aber eine Natur vor, die er bisher vergeblich gesucht hatte. Trotzige Felskegel und gigantische, wild über einander geschichtete Gebirgsmassen blickten auf Thäler herab, in welchen ein einfaches, kerniges Bauerngeschlecht in patriarchalischer Weise seinen ländlichen Beschäftigungen lebte. Hier ging dem jungen Maler, der bisher nur mit Rittern, Räubern und Mönchen harmonirt hatte, zum ersten Male der Sinn für die Gegenwart auf. Die Eifelreise war nicht nur für ihn und seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/517>, abgerufen am 22.07.2024.