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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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wärmen, eine Schrift, in welcher nur sittliche Wahrheit und Würde waltet, eine
Schrift endlich, die keine Behauptung, keine Folgerung, keine Phrase enthält,
an welche der Autor nicht selbst geglaubt hätte -- eine solche Schrift ist der ,Land-
bote^ nicht, und wer ihn so charakterisirt, hat ihn nicht gelesen oder aus falscher
Pietät für den Verfasser gegen sein eignes besseres Wissen gesündigt -- ein
Drittes ist undenkbar. Denn der Charakter des ,Landboteu' liegt Kar zu Tage:
ein Pamphlet, welches nur solche Thatsachen anführt, die zur Erreichung einer
bestimmten Absicht dienlich sind, andere Thatsachen, welcher dieser Ansicht gegen¬
überstehen konnten, verschweigt oder entstellt, und endlich auch Behauptungen
aufstellt, für welche der Autor die ernstliche Verantwortung nicht über¬
nehmen könnte, kurz ein Pamphlet von so entschieden tendenziösem Charakter,
wie deren unsere Literatur nur wenige zu verzeichnen hat." Die sophistische
und mit bewußter Lüge in die Massen hinaus geschleuderte Brandschrift wirkte
übrigens im Jahre 1834 auf die Massen so gut wie gar nicht, wohl aber führte sie
eine Katastrophe für ihren Verfasser und Verbreiter herbei. Durch einen erkauften
Denuncianten erhielt die Darmstädtische Regierung Kenntniß über die betheiligten
Persönlichkeiten, und obschon es diesem Denuncianten gefiel, ans irgend welchen Ur¬
sachen den schuldigster, Büchner selbst, zu "schonen", brachte doch die heimlich gedruckte
Ansprache an die Hessen den Verbreitern der Schrift Unheil genug. Der Verdacht
der Behörden lenkte sich trotz des "wohlwollenden" Denuncianten auf ihn, und
die besorgten Eltern riefen im Herbst von 1834 den Sohn von der Univer¬
sität heim. Im väterlichen Hause in Darmstadt durchlebte Georg qualvoll¬
bewegte Tage. Auch jetzt kitzelte es ihn noch, das frevle Spiel mit einem revolu-
tiouüreu Geheimbund (denn etwas anderes als Spiel konnte es nach der Entdeckung
der besten Genossen nicht mehr sein, wenn es ja mehr gewesen war) fortzusetzen.
Am Tage trieb er anatomische nud physiologische Studien, begann dazwischen
an seiner Tragödie "Dantons Tod", die er schon länger im Kopfe trug, zu arbeiten,
bei Nacht versammelte er ein Häuflein jugendlicher Wagehälse in einem kleinen
Hanse an der Dieburger Landstraße, hielt ihnen Vorträge über die französische
Revolution und vereidigte sie auf die künftige Republik. Von einer ernste"
Thätigkeit des Vereins konnte keine Rede mehr sein, als die versuchte Befrei¬
ung einiger Gefangnen scheiterte. Der Trotz allein, der uicht nachgeben und
um keinen Preis einräumen mochte geirrt zu haben, hielt Büchner bei der
nutzlosen Agitation fest, der Trotz und ein Bedürfniß der Erregung, das eine
verzweifelte Aehnlichkeit mit der Gewohnheit des Absynthtrinlens und anderen
Gewohnheiten gleichen Schlages hatte. Dabei schwebte die Entdeckung und
Verhaftung wie ein Damoklesschwert über ihm -- er begann zu fühlen, daß
es ein Wahnsinn sei, Jugend und Zukunft für ein Nichts, eine hohle Phanta-
stik gegen eine äußere Gewalt eingesetzt zu haben, die mit hämischer Rachsucht


wärmen, eine Schrift, in welcher nur sittliche Wahrheit und Würde waltet, eine
Schrift endlich, die keine Behauptung, keine Folgerung, keine Phrase enthält,
an welche der Autor nicht selbst geglaubt hätte — eine solche Schrift ist der ,Land-
bote^ nicht, und wer ihn so charakterisirt, hat ihn nicht gelesen oder aus falscher
Pietät für den Verfasser gegen sein eignes besseres Wissen gesündigt — ein
Drittes ist undenkbar. Denn der Charakter des ,Landboteu' liegt Kar zu Tage:
ein Pamphlet, welches nur solche Thatsachen anführt, die zur Erreichung einer
bestimmten Absicht dienlich sind, andere Thatsachen, welcher dieser Ansicht gegen¬
überstehen konnten, verschweigt oder entstellt, und endlich auch Behauptungen
aufstellt, für welche der Autor die ernstliche Verantwortung nicht über¬
nehmen könnte, kurz ein Pamphlet von so entschieden tendenziösem Charakter,
wie deren unsere Literatur nur wenige zu verzeichnen hat." Die sophistische
und mit bewußter Lüge in die Massen hinaus geschleuderte Brandschrift wirkte
übrigens im Jahre 1834 auf die Massen so gut wie gar nicht, wohl aber führte sie
eine Katastrophe für ihren Verfasser und Verbreiter herbei. Durch einen erkauften
Denuncianten erhielt die Darmstädtische Regierung Kenntniß über die betheiligten
Persönlichkeiten, und obschon es diesem Denuncianten gefiel, ans irgend welchen Ur¬
sachen den schuldigster, Büchner selbst, zu „schonen", brachte doch die heimlich gedruckte
Ansprache an die Hessen den Verbreitern der Schrift Unheil genug. Der Verdacht
der Behörden lenkte sich trotz des „wohlwollenden" Denuncianten auf ihn, und
die besorgten Eltern riefen im Herbst von 1834 den Sohn von der Univer¬
sität heim. Im väterlichen Hause in Darmstadt durchlebte Georg qualvoll¬
bewegte Tage. Auch jetzt kitzelte es ihn noch, das frevle Spiel mit einem revolu-
tiouüreu Geheimbund (denn etwas anderes als Spiel konnte es nach der Entdeckung
der besten Genossen nicht mehr sein, wenn es ja mehr gewesen war) fortzusetzen.
Am Tage trieb er anatomische nud physiologische Studien, begann dazwischen
an seiner Tragödie „Dantons Tod", die er schon länger im Kopfe trug, zu arbeiten,
bei Nacht versammelte er ein Häuflein jugendlicher Wagehälse in einem kleinen
Hanse an der Dieburger Landstraße, hielt ihnen Vorträge über die französische
Revolution und vereidigte sie auf die künftige Republik. Von einer ernste»
Thätigkeit des Vereins konnte keine Rede mehr sein, als die versuchte Befrei¬
ung einiger Gefangnen scheiterte. Der Trotz allein, der uicht nachgeben und
um keinen Preis einräumen mochte geirrt zu haben, hielt Büchner bei der
nutzlosen Agitation fest, der Trotz und ein Bedürfniß der Erregung, das eine
verzweifelte Aehnlichkeit mit der Gewohnheit des Absynthtrinlens und anderen
Gewohnheiten gleichen Schlages hatte. Dabei schwebte die Entdeckung und
Verhaftung wie ein Damoklesschwert über ihm — er begann zu fühlen, daß
es ein Wahnsinn sei, Jugend und Zukunft für ein Nichts, eine hohle Phanta-
stik gegen eine äußere Gewalt eingesetzt zu haben, die mit hämischer Rachsucht


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[0509] wärmen, eine Schrift, in welcher nur sittliche Wahrheit und Würde waltet, eine Schrift endlich, die keine Behauptung, keine Folgerung, keine Phrase enthält, an welche der Autor nicht selbst geglaubt hätte — eine solche Schrift ist der ,Land- bote^ nicht, und wer ihn so charakterisirt, hat ihn nicht gelesen oder aus falscher Pietät für den Verfasser gegen sein eignes besseres Wissen gesündigt — ein Drittes ist undenkbar. Denn der Charakter des ,Landboteu' liegt Kar zu Tage: ein Pamphlet, welches nur solche Thatsachen anführt, die zur Erreichung einer bestimmten Absicht dienlich sind, andere Thatsachen, welcher dieser Ansicht gegen¬ überstehen konnten, verschweigt oder entstellt, und endlich auch Behauptungen aufstellt, für welche der Autor die ernstliche Verantwortung nicht über¬ nehmen könnte, kurz ein Pamphlet von so entschieden tendenziösem Charakter, wie deren unsere Literatur nur wenige zu verzeichnen hat." Die sophistische und mit bewußter Lüge in die Massen hinaus geschleuderte Brandschrift wirkte übrigens im Jahre 1834 auf die Massen so gut wie gar nicht, wohl aber führte sie eine Katastrophe für ihren Verfasser und Verbreiter herbei. Durch einen erkauften Denuncianten erhielt die Darmstädtische Regierung Kenntniß über die betheiligten Persönlichkeiten, und obschon es diesem Denuncianten gefiel, ans irgend welchen Ur¬ sachen den schuldigster, Büchner selbst, zu „schonen", brachte doch die heimlich gedruckte Ansprache an die Hessen den Verbreitern der Schrift Unheil genug. Der Verdacht der Behörden lenkte sich trotz des „wohlwollenden" Denuncianten auf ihn, und die besorgten Eltern riefen im Herbst von 1834 den Sohn von der Univer¬ sität heim. Im väterlichen Hause in Darmstadt durchlebte Georg qualvoll¬ bewegte Tage. Auch jetzt kitzelte es ihn noch, das frevle Spiel mit einem revolu- tiouüreu Geheimbund (denn etwas anderes als Spiel konnte es nach der Entdeckung der besten Genossen nicht mehr sein, wenn es ja mehr gewesen war) fortzusetzen. Am Tage trieb er anatomische nud physiologische Studien, begann dazwischen an seiner Tragödie „Dantons Tod", die er schon länger im Kopfe trug, zu arbeiten, bei Nacht versammelte er ein Häuflein jugendlicher Wagehälse in einem kleinen Hanse an der Dieburger Landstraße, hielt ihnen Vorträge über die französische Revolution und vereidigte sie auf die künftige Republik. Von einer ernste» Thätigkeit des Vereins konnte keine Rede mehr sein, als die versuchte Befrei¬ ung einiger Gefangnen scheiterte. Der Trotz allein, der uicht nachgeben und um keinen Preis einräumen mochte geirrt zu haben, hielt Büchner bei der nutzlosen Agitation fest, der Trotz und ein Bedürfniß der Erregung, das eine verzweifelte Aehnlichkeit mit der Gewohnheit des Absynthtrinlens und anderen Gewohnheiten gleichen Schlages hatte. Dabei schwebte die Entdeckung und Verhaftung wie ein Damoklesschwert über ihm — er begann zu fühlen, daß es ein Wahnsinn sei, Jugend und Zukunft für ein Nichts, eine hohle Phanta- stik gegen eine äußere Gewalt eingesetzt zu haben, die mit hämischer Rachsucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/509>, abgerufen am 22.07.2024.