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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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ihre Gegner nicht sowohl für das Vergehen gegen den Staat zu strafen, als
in ihren Kerkern moralisch und physisch zu zerbrechen und zu vernichten trans-
-tete. Die Vollendung des "Danton" sollte Büchner die Mittel für die als noth¬
wendig erachtete Flucht gewähren, und kaum war das Manuscript an Gutzkow
in Frankfurt a. M. abgesandt, so mußte sich der Dichter dem Darmstädter Amts-
gesängniß durch einen raschen Entschluß entziehen. Er gelangte glücklich nach
Straßburg, wo ihn der Verkehr mit seiner anmuthigen Braut und einigen
Freunden und das glückliche Gefühl der ungestörten Wiederaufnahme seiner
Arbeiten und Studien für die letzte schlimme Zeit in der Heimat hinreichend
entschädigten. Es macht den Eindruck, als ob der Dichter, sowie er sich auf
französischem, auf fremdem Boden befand, die ganze Klarheit seines Blicks und
Urtheils zurückgewonnen habe. Denn er nahm an den demagogisch-revolutio¬
nären Plänen und Umtrieben keinen Antheil weiter, sondern widmete sich theils
seinem naturwissenschaftlichen, theils seinem poetischen Berufe. So unzufrieden er
mit den Aenderungen sein mochte, die Gutzkow und dann die Verlagsbuchhandlung
(durch Ed. Dullers Hand) in seiner wilden Dantonskizze vorgenommen hatten,
so that ihm der Erfolg, dessen sich diese Erstlings arbeit erfreute, doch sehr wohl,
er begann ein Lustspiel "Leonee und Lena", ein bürgerliches Trauerspiel "Wozzeck",
eine Novelle "Lenz" und trug sich mit anderen poetischen Plänen. Er arbeitete
fleißig, um eine feste Lebensstellung zu erringen, die ihn? erlauben sollte den eigenen
Herd zu gründen, und habilitirte sich im October 1836 als Privatdocent an
der Universität Zürich, wo er neben vergleichender Anatomie auch Philosophie
zu lesen beabsichtigte. Doch war seiner akademischen Thätigkeit eine noch kürzere
Entfaltung gegönnt als seiner poetischen. Im Februar 1837 wurde der jugend¬
lich strebende, der in Zürich auch wieder jugendlich froh geworden war, von
einem tückischen Nervenfieber jäh dahingerafft.

Die Neuausgabe seiner "sämmtlichen Werke" bringt das Fragment "Wozzeck"
zum erste" Male und veröffentlicht "Dantons Tod" völlig nach dem Original-
manuscript Büchners. Dadurch werden einige Stellen dieses Gedichts, das kein
Drama sondern nur die Skizze eines solchen, aber freilich eine Skizze von un¬
zweifelhafter Genialität ist, in ihrer Schlagkraft, ihrem Pathos oder Cynismus
hergestellt und erscheinen weit charakteristischer, als in den früheren Abdrücken.
Das Gesammturtheil über Büchners poetische Begabung kann durch den Neu-
abdrnck uicht geändert werden. Der Dichter steht zwischen Heinrich von Kleist
und Grabbe mitten inne. Die Art, wie sein lange Zeit schlummerndes und
von ihm selbst kaum geahntes Talent plötzlich in einer Handlung von fortrei¬
ßender Lebendigkeit und charakteristischer Gestaltung sich geltend macht, erinnert
an den romantischen Dramatiker und dessen Debüt mit der "Familie Schroffen-
stein". Auch das Heranstreifen der schärfsten Züge an die Fratze und Carri-


ihre Gegner nicht sowohl für das Vergehen gegen den Staat zu strafen, als
in ihren Kerkern moralisch und physisch zu zerbrechen und zu vernichten trans-
-tete. Die Vollendung des „Danton" sollte Büchner die Mittel für die als noth¬
wendig erachtete Flucht gewähren, und kaum war das Manuscript an Gutzkow
in Frankfurt a. M. abgesandt, so mußte sich der Dichter dem Darmstädter Amts-
gesängniß durch einen raschen Entschluß entziehen. Er gelangte glücklich nach
Straßburg, wo ihn der Verkehr mit seiner anmuthigen Braut und einigen
Freunden und das glückliche Gefühl der ungestörten Wiederaufnahme seiner
Arbeiten und Studien für die letzte schlimme Zeit in der Heimat hinreichend
entschädigten. Es macht den Eindruck, als ob der Dichter, sowie er sich auf
französischem, auf fremdem Boden befand, die ganze Klarheit seines Blicks und
Urtheils zurückgewonnen habe. Denn er nahm an den demagogisch-revolutio¬
nären Plänen und Umtrieben keinen Antheil weiter, sondern widmete sich theils
seinem naturwissenschaftlichen, theils seinem poetischen Berufe. So unzufrieden er
mit den Aenderungen sein mochte, die Gutzkow und dann die Verlagsbuchhandlung
(durch Ed. Dullers Hand) in seiner wilden Dantonskizze vorgenommen hatten,
so that ihm der Erfolg, dessen sich diese Erstlings arbeit erfreute, doch sehr wohl,
er begann ein Lustspiel „Leonee und Lena", ein bürgerliches Trauerspiel „Wozzeck",
eine Novelle „Lenz" und trug sich mit anderen poetischen Plänen. Er arbeitete
fleißig, um eine feste Lebensstellung zu erringen, die ihn? erlauben sollte den eigenen
Herd zu gründen, und habilitirte sich im October 1836 als Privatdocent an
der Universität Zürich, wo er neben vergleichender Anatomie auch Philosophie
zu lesen beabsichtigte. Doch war seiner akademischen Thätigkeit eine noch kürzere
Entfaltung gegönnt als seiner poetischen. Im Februar 1837 wurde der jugend¬
lich strebende, der in Zürich auch wieder jugendlich froh geworden war, von
einem tückischen Nervenfieber jäh dahingerafft.

Die Neuausgabe seiner „sämmtlichen Werke" bringt das Fragment „Wozzeck"
zum erste» Male und veröffentlicht „Dantons Tod" völlig nach dem Original-
manuscript Büchners. Dadurch werden einige Stellen dieses Gedichts, das kein
Drama sondern nur die Skizze eines solchen, aber freilich eine Skizze von un¬
zweifelhafter Genialität ist, in ihrer Schlagkraft, ihrem Pathos oder Cynismus
hergestellt und erscheinen weit charakteristischer, als in den früheren Abdrücken.
Das Gesammturtheil über Büchners poetische Begabung kann durch den Neu-
abdrnck uicht geändert werden. Der Dichter steht zwischen Heinrich von Kleist
und Grabbe mitten inne. Die Art, wie sein lange Zeit schlummerndes und
von ihm selbst kaum geahntes Talent plötzlich in einer Handlung von fortrei¬
ßender Lebendigkeit und charakteristischer Gestaltung sich geltend macht, erinnert
an den romantischen Dramatiker und dessen Debüt mit der „Familie Schroffen-
stein". Auch das Heranstreifen der schärfsten Züge an die Fratze und Carri-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/510>, abgerufen am 22.07.2024.