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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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in denen sich eine ideale Gesinnung und muthige Aufopferungsfähigkeit mit der
unglaublichsten Verblendung über die Wünsche, Neigungen und innersten Ge¬
sinnungen des süddeutschen Volkes, speciell des dessen-darmstädtischen Völkleins,
seltsam paarten. Die Rührigkeit, mit welcher eine halb liberale, halb demokra-
tisch-radicale Agitation, unklar in den Zielen, bald kühn, bald kläglich klein in
den Mitteln, betrieben wurde, täuschte über die Möglichkeit, eine Umwälzung
ins Werk zu setzen und einem dnrch und durch monarchisch gesinnten Volke
republikanische Ideale einzuflößen. Wäre der Ausgang für die Mehrzahl der
Betheiligten nicht ein so erschütternd tragischer gewesen, so würde man sich ver¬
sucht fühlen, die komischen Züge in der Geschichte jener Geheimbünde und
Duodezverschwörungen der dreißiger Jahre hervorzuheben. So läßt sich eben
nur sagen, daß einer unglaublichen und fast frevelhaften Unklarheit, einer ver-
hängnißvollen Geschäftigkeit ohne innere Berechtigung, die würdeloseste kleine
Despotie und die armseligste Furcht gegenüber standen. Dem wirklich conservativ
gesinnten, der für Erhaltung sittlich-berechtigter und entwicklungsfähiger Zu-
stände lebt und wirkt, muß noch heute die Schamröthe ins Gesicht steigen, wenn
er in Franzos' Büchnerbiographie liest, mit welche" Mitteln die damalige hessi¬
sche Regierung die ihr drohenden Gefahren (welche natürlich gar keine Ge¬
fahren waren) bekämpfte.

Büchner suchte der ergriffenen Sache den Schwung großen Parteilebens und
dem kleinen Treiben der Agitatoren und Geheimbündler eine straffe Organisation
zu geben. Freilich hieß dies aus Wasser Kugeln gießen wollen -- allein es bewies
mindestens, daß der junge Gießner Student die Unzulänglichkeit der ganzen seit¬
herigen Wühlerei und die Geringfügigkeit ihrer Resultate begriff. Die Mittel, mit
denen er Abhilfe zuschaffen trachtete, waren allerdings die denkbar schlimmsten: die
Gründung einer neuen geheimen "Gesellschaft der Menschenrechte", welche auf das
republikanische Programm verpflichtet, und der Appell an die materiellen Inte¬
ressen der gedrückten unteren Volksclassen, denen mit bewußter Lüge vorgespiegelt
wurde, daß sie die ganze Last des Staates trügen, ohne auch nnr einen Vortheil
desselben zu haben. Der Abdruck der von Georg Büchner verfaßten und von
Weidig mit einigen Correcturen und biblischen Zusätzen versehenen Flugschrift
"Der Hessische Landbote" (S. 265--281 der "sämmtlichen Werke") gewährt
ein ziemliches historisches Interesse, insofern in dieser ältesten "socialdemokratische":"
Broschüre alle die Mittel aufgeboten siud, mit welchen bis diesen Tag der
Klassenhaß geschürt und gefördert wird. Auch der Herausgeber der Büchner-
schen Schriften, dem es wahrlich nicht einfällt, seinen Helden zu unterschätzen
und anzuklagen, räumt ein: "Eine Schrift, in welcher eine freie edle Seele
ihre tiefsten, besten Gedanken und Empfindungen ausströmt, mit der ein¬
zigen Absicht Gleichgesinnte zu stählen oder Kältere zu gleicher Muth zu er-


in denen sich eine ideale Gesinnung und muthige Aufopferungsfähigkeit mit der
unglaublichsten Verblendung über die Wünsche, Neigungen und innersten Ge¬
sinnungen des süddeutschen Volkes, speciell des dessen-darmstädtischen Völkleins,
seltsam paarten. Die Rührigkeit, mit welcher eine halb liberale, halb demokra-
tisch-radicale Agitation, unklar in den Zielen, bald kühn, bald kläglich klein in
den Mitteln, betrieben wurde, täuschte über die Möglichkeit, eine Umwälzung
ins Werk zu setzen und einem dnrch und durch monarchisch gesinnten Volke
republikanische Ideale einzuflößen. Wäre der Ausgang für die Mehrzahl der
Betheiligten nicht ein so erschütternd tragischer gewesen, so würde man sich ver¬
sucht fühlen, die komischen Züge in der Geschichte jener Geheimbünde und
Duodezverschwörungen der dreißiger Jahre hervorzuheben. So läßt sich eben
nur sagen, daß einer unglaublichen und fast frevelhaften Unklarheit, einer ver-
hängnißvollen Geschäftigkeit ohne innere Berechtigung, die würdeloseste kleine
Despotie und die armseligste Furcht gegenüber standen. Dem wirklich conservativ
gesinnten, der für Erhaltung sittlich-berechtigter und entwicklungsfähiger Zu-
stände lebt und wirkt, muß noch heute die Schamröthe ins Gesicht steigen, wenn
er in Franzos' Büchnerbiographie liest, mit welche» Mitteln die damalige hessi¬
sche Regierung die ihr drohenden Gefahren (welche natürlich gar keine Ge¬
fahren waren) bekämpfte.

Büchner suchte der ergriffenen Sache den Schwung großen Parteilebens und
dem kleinen Treiben der Agitatoren und Geheimbündler eine straffe Organisation
zu geben. Freilich hieß dies aus Wasser Kugeln gießen wollen — allein es bewies
mindestens, daß der junge Gießner Student die Unzulänglichkeit der ganzen seit¬
herigen Wühlerei und die Geringfügigkeit ihrer Resultate begriff. Die Mittel, mit
denen er Abhilfe zuschaffen trachtete, waren allerdings die denkbar schlimmsten: die
Gründung einer neuen geheimen „Gesellschaft der Menschenrechte", welche auf das
republikanische Programm verpflichtet, und der Appell an die materiellen Inte¬
ressen der gedrückten unteren Volksclassen, denen mit bewußter Lüge vorgespiegelt
wurde, daß sie die ganze Last des Staates trügen, ohne auch nnr einen Vortheil
desselben zu haben. Der Abdruck der von Georg Büchner verfaßten und von
Weidig mit einigen Correcturen und biblischen Zusätzen versehenen Flugschrift
„Der Hessische Landbote" (S. 265—281 der „sämmtlichen Werke") gewährt
ein ziemliches historisches Interesse, insofern in dieser ältesten „socialdemokratische«:"
Broschüre alle die Mittel aufgeboten siud, mit welchen bis diesen Tag der
Klassenhaß geschürt und gefördert wird. Auch der Herausgeber der Büchner-
schen Schriften, dem es wahrlich nicht einfällt, seinen Helden zu unterschätzen
und anzuklagen, räumt ein: „Eine Schrift, in welcher eine freie edle Seele
ihre tiefsten, besten Gedanken und Empfindungen ausströmt, mit der ein¬
zigen Absicht Gleichgesinnte zu stählen oder Kältere zu gleicher Muth zu er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/508>, abgerufen am 22.07.2024.