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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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die lediglich der Kirche überlassene Erziehung des Clerus und der lediglich von
der Kirche geleitete Religionsunterricht der katholischen Jugend. Wenn diese
Fragen günstig beantwortet würde,:, sollte die Instruction wegen der Anzeige¬
pflicht sofort erlassen werden.

Der Leser wird wohl das Bedürfniß haben, inne zu halte" und sich die
Augen zu reiben. Welch ein Zugeständnis und welch ein Preis! Nichts bieten
und Alles fordern, das kann in der That nur die Curie, und sie ist dabei un¬
erschöpflich, Formen zu finden, worin der einseitige Tribut, den sie fordert, als
zweiseitiges Geschäft erscheint. Diese Forderung der Unterwerfung verhüllte die
Curie in dem Breve vom 24. Februar unter dem Schein eines großen Zu¬
geständnisses von ihrer Seite, und mit diesem Breve trat sie vor die Öffent¬
lichkeit. Als die preußische Regierung ihre Antwort durch den Beschluß vom
17. März gegeben, war die Curie sehr ungehalten. Zunächst theilte Jacobini
diese Auffassung dem Botschafter als persönliche mit, am 16. April aber über¬
brachte er den "allerpeinlichsten" Eindruck des heiligen Vaters und hoffte seiner-
seits, der Botschafter werde seine Regierung noch auf die praktische Wichtigkeit
der Depesche vom 23. März, jenes winzigen Zugeständnisses und jener colossalen
Preisfordernng, aufmerksam machen. Der Pronuntius verlangte, daß die dis-
cretionäre Vollmacht zur Außerkraftsetzung der Maigesetze, welche die Regierung
sich verschaffen wolle, wenigstens als Uebergang zur definitiven Beseitigung de-
finirt werde. Der Cardinal zeigt sich sehr besorgt, daß der römische Stuhl die
Verhandlungen abbrechen und als Ankläger der preußischen Regierung wegen
vereitelter Friedensbemühungen vor die Öffentlichkeit treten werde.

Hierauf folgte nun der klassische Erlaß des Reichskanzlers vom 20. April.
Der Kanzler erklärte, daß er nie Veranlassung gegeben habe, bei den Unter¬
haltungen, welche zu den Wiener Besprechungen geführt, daran zu denken, daß
Preußen in eine Revision, beziehentlich Abschaffung der Maigesetze nach Maßgbe
der clericalen Forderungen willigen würde. Ihm sei immer nur ein woäus
vivsnäi erreichbar erschienen, was ja schon in dem berühmten Schreiben des
Kronprinzen an den Papst vom 10. Juni 1878 als das äußerste Erreichbare
bezeichnet ist. Wenn der Reichskanzler in demselben Erlaß sich über die Haltung
des Centrums beklagt, so wird diese Klage doch sehr verkehrt gedeutet, wenn
man sie auffaßt, als wolle der Kanzler dem Papste alles bewilligen, wenn dieser
ihm aus dem Centrum eine gehorsame Truppe mache. Die Klage über das
Centrum ist lediglich ein dialectisches Argument, das folgendermaßen spricht:
Ihr verlangt alle Machtmittel zurück, welche in der unbegrenzten Entfaltung
des römischen Organismus liegen, und nebenbei wollt ihr auch noch eine Truppe
halten, welche unter der Maske einer unabhängigen politischen Partei die ganze
innere und äußere Politik der Regierung auf parlamentarischem Boden bekämpft
und durch Verbindung mit jeder zufälligen oder principiell reichsfeindlichen


die lediglich der Kirche überlassene Erziehung des Clerus und der lediglich von
der Kirche geleitete Religionsunterricht der katholischen Jugend. Wenn diese
Fragen günstig beantwortet würde,:, sollte die Instruction wegen der Anzeige¬
pflicht sofort erlassen werden.

Der Leser wird wohl das Bedürfniß haben, inne zu halte» und sich die
Augen zu reiben. Welch ein Zugeständnis und welch ein Preis! Nichts bieten
und Alles fordern, das kann in der That nur die Curie, und sie ist dabei un¬
erschöpflich, Formen zu finden, worin der einseitige Tribut, den sie fordert, als
zweiseitiges Geschäft erscheint. Diese Forderung der Unterwerfung verhüllte die
Curie in dem Breve vom 24. Februar unter dem Schein eines großen Zu¬
geständnisses von ihrer Seite, und mit diesem Breve trat sie vor die Öffent¬
lichkeit. Als die preußische Regierung ihre Antwort durch den Beschluß vom
17. März gegeben, war die Curie sehr ungehalten. Zunächst theilte Jacobini
diese Auffassung dem Botschafter als persönliche mit, am 16. April aber über¬
brachte er den „allerpeinlichsten" Eindruck des heiligen Vaters und hoffte seiner-
seits, der Botschafter werde seine Regierung noch auf die praktische Wichtigkeit
der Depesche vom 23. März, jenes winzigen Zugeständnisses und jener colossalen
Preisfordernng, aufmerksam machen. Der Pronuntius verlangte, daß die dis-
cretionäre Vollmacht zur Außerkraftsetzung der Maigesetze, welche die Regierung
sich verschaffen wolle, wenigstens als Uebergang zur definitiven Beseitigung de-
finirt werde. Der Cardinal zeigt sich sehr besorgt, daß der römische Stuhl die
Verhandlungen abbrechen und als Ankläger der preußischen Regierung wegen
vereitelter Friedensbemühungen vor die Öffentlichkeit treten werde.

Hierauf folgte nun der klassische Erlaß des Reichskanzlers vom 20. April.
Der Kanzler erklärte, daß er nie Veranlassung gegeben habe, bei den Unter¬
haltungen, welche zu den Wiener Besprechungen geführt, daran zu denken, daß
Preußen in eine Revision, beziehentlich Abschaffung der Maigesetze nach Maßgbe
der clericalen Forderungen willigen würde. Ihm sei immer nur ein woäus
vivsnäi erreichbar erschienen, was ja schon in dem berühmten Schreiben des
Kronprinzen an den Papst vom 10. Juni 1878 als das äußerste Erreichbare
bezeichnet ist. Wenn der Reichskanzler in demselben Erlaß sich über die Haltung
des Centrums beklagt, so wird diese Klage doch sehr verkehrt gedeutet, wenn
man sie auffaßt, als wolle der Kanzler dem Papste alles bewilligen, wenn dieser
ihm aus dem Centrum eine gehorsame Truppe mache. Die Klage über das
Centrum ist lediglich ein dialectisches Argument, das folgendermaßen spricht:
Ihr verlangt alle Machtmittel zurück, welche in der unbegrenzten Entfaltung
des römischen Organismus liegen, und nebenbei wollt ihr auch noch eine Truppe
halten, welche unter der Maske einer unabhängigen politischen Partei die ganze
innere und äußere Politik der Regierung auf parlamentarischem Boden bekämpft
und durch Verbindung mit jeder zufälligen oder principiell reichsfeindlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/486>, abgerufen am 03.07.2024.