Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.das kleine Porträt einer jungen Bäuerin auf der internationalen Kunstausstel¬ Auch Wilhelm Diez ist mehr ein Schüler der alten Meister als Pilotys. Die Illustration füllt ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Mün¬ das kleine Porträt einer jungen Bäuerin auf der internationalen Kunstausstel¬ Auch Wilhelm Diez ist mehr ein Schüler der alten Meister als Pilotys. Die Illustration füllt ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Mün¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146980"/> <p xml:id="ID_1379" prev="#ID_1378"> das kleine Porträt einer jungen Bäuerin auf der internationalen Kunstausstel¬<lb/> lung in München (1879) behandelt; aber die großartige Virtuosität des Zeich -<lb/> mers offenbarte sich erst in vollstem Glänze auf drei Feder- und Bleistiftzeich¬<lb/> nungen. Die eine derselben stellte eine bejahrte Bäuerin von ehrfurchtgebietendem<lb/> Gesichtsausdruck dar, welche andächtig in einem Gebetbuche liest. Nur Holbein<lb/> noch hat mit solcher Einfachheit und zugleich mit einem solchen psychologischen<lb/> Scharfblick menschliche Physiognomien wiedergeben. Man denkt vor diesem<lb/> Porträt des modernen Künstlers an die herrliche Zeichnung des Goldschmiedes<lb/> Morett, welche in der Dresdner Galerie neben dem in Oel ausgeführten Bilde<lb/> hängt. Wie bei Holbein, tritt auch auf diesen Zeichnungen Leibls die Persön¬<lb/> lichkeit des Künstlers, seine subjective Auffassung völlig in den Hintergrund.<lb/> Ein mit der Feder gezeichnetes Studium zweier in einander gelegter Hände<lb/> zeigte, wie tief sich Leiht in die Schaffensweise und den Geist der alten Meister<lb/> eingelebt hat, welche der menschlichen Hand auf ihren Bildnissen eine so her¬<lb/> vorragende Rolle zuwiesen. Die Hand bildete ja gewissermaßen den Commentar<lb/> zu dem Texte, welchen große Seelenkündiger wie Dürer, Holbein und van Dyck<lb/> in die Physiognomien ihrer Auftraggeber hineinzeichneten. Namentlich sind die<lb/> von Dürer gezeichneten und gemalten Hände wahre Wunderwerke, und ihnen<lb/> vergleichbar ist auch die Zeichnung Leibls in ihrer scharfen Individualisirung,<lb/> in ihrer meisterlichen Behandlung der Textur der Haut und des grundlegenden<lb/> Knochengerüstes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1380"> Auch Wilhelm Diez ist mehr ein Schüler der alten Meister als Pilotys.<lb/> Geboren am 17. Januar 1839 in Bayreuth, kam er 1853 auf die Münchener<lb/> Akademie, wo er bis 1856, eine Zeit lang auch bei Piloty, studirte. Er begann<lb/> seine künstlerische Thätigkeit als Illustrator von Schillers „Geschichte des dreißig¬<lb/> jährigen Krieges" und offenbarte schon bei dieser Gelegenheit, trotz seiner Ab¬<lb/> hängigkeit von Wouvermann, eine Fülle von Geist und Originalität, die in der<lb/> Pilvtyschule sonst nicht allzu reichlich zu finden sind. Die Figuren waren flott<lb/> und lebendig gezeichnet und verriethen in ihrer Costümirung eingehende cultur¬<lb/> geschichtliche' Studien, welche Diez im Verlaufe seines Schaffens stets noch zu<lb/> erweitern bestrebt war. Er war auch fernerhin vielfach als Illustrator thätig<lb/> und wußte unter dem Heer von Münchener Künstlern, welchen der deutsche<lb/> Buchhandel seit länger als zwei Jahrzehnten eine schier unversiegbare Erwerbs¬<lb/> quelle geöffnet hat, immer eine sehr hervorragende Stellung zu behaupten. Seiner<lb/> Individualität angemessen, die auf das Lebhafte, Dramatischerregte gerichtet<lb/> ist, sind es vorzugsweise Kcuupfessceneu und Darstellungen aus dem flotten<lb/> Reiterlebeil, die er mit sicherem, scharf charakterisirenden Griffel festzuhalten<lb/> weiß. Dieser Reichthum dramatischen Lebens, diese oft ans Fieberhafte gren¬<lb/> zende Nervosität, welche auch die winzigsten seiner Figürchen durchzuckt, bildet<lb/> die originale Seite seines künstlerischen Schaffens, welches sonst unter dem<lb/> Einflüsse der niederländischen Kleinmeister und Meissonniers steht. Dem Be¬<lb/> streben, auf kleinem Raum möglichst viel Leben und Bewegung zu entfalten, ist<lb/> wohl auch die scheinbare Skizzenhastigkeit von manchen unter seinen Gemälden<lb/> und Zeichnungen beizumessen, die, mit erstaunlicher Virtuosität hingeschrieben,<lb/> dennoch ein solides Studium, scharfe Beobachtungen und solide Kenntnisse zur<lb/> Grundlage haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1381" next="#ID_1382"> Die Illustration füllt ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Mün¬<lb/> chener Kunstschule. Heute, nach einem Vierteljahrhundert der reichsten Produc-<lb/> twität auf diesem Gebiete, ist man sehr geneigt, nur noch die Schattenseiten<lb/> dieses Treibens zu sehen. Und wirklich ist die lange Reihe von Shakespeare-,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
das kleine Porträt einer jungen Bäuerin auf der internationalen Kunstausstel¬
lung in München (1879) behandelt; aber die großartige Virtuosität des Zeich -
mers offenbarte sich erst in vollstem Glänze auf drei Feder- und Bleistiftzeich¬
nungen. Die eine derselben stellte eine bejahrte Bäuerin von ehrfurchtgebietendem
Gesichtsausdruck dar, welche andächtig in einem Gebetbuche liest. Nur Holbein
noch hat mit solcher Einfachheit und zugleich mit einem solchen psychologischen
Scharfblick menschliche Physiognomien wiedergeben. Man denkt vor diesem
Porträt des modernen Künstlers an die herrliche Zeichnung des Goldschmiedes
Morett, welche in der Dresdner Galerie neben dem in Oel ausgeführten Bilde
hängt. Wie bei Holbein, tritt auch auf diesen Zeichnungen Leibls die Persön¬
lichkeit des Künstlers, seine subjective Auffassung völlig in den Hintergrund.
Ein mit der Feder gezeichnetes Studium zweier in einander gelegter Hände
zeigte, wie tief sich Leiht in die Schaffensweise und den Geist der alten Meister
eingelebt hat, welche der menschlichen Hand auf ihren Bildnissen eine so her¬
vorragende Rolle zuwiesen. Die Hand bildete ja gewissermaßen den Commentar
zu dem Texte, welchen große Seelenkündiger wie Dürer, Holbein und van Dyck
in die Physiognomien ihrer Auftraggeber hineinzeichneten. Namentlich sind die
von Dürer gezeichneten und gemalten Hände wahre Wunderwerke, und ihnen
vergleichbar ist auch die Zeichnung Leibls in ihrer scharfen Individualisirung,
in ihrer meisterlichen Behandlung der Textur der Haut und des grundlegenden
Knochengerüstes.
Auch Wilhelm Diez ist mehr ein Schüler der alten Meister als Pilotys.
Geboren am 17. Januar 1839 in Bayreuth, kam er 1853 auf die Münchener
Akademie, wo er bis 1856, eine Zeit lang auch bei Piloty, studirte. Er begann
seine künstlerische Thätigkeit als Illustrator von Schillers „Geschichte des dreißig¬
jährigen Krieges" und offenbarte schon bei dieser Gelegenheit, trotz seiner Ab¬
hängigkeit von Wouvermann, eine Fülle von Geist und Originalität, die in der
Pilvtyschule sonst nicht allzu reichlich zu finden sind. Die Figuren waren flott
und lebendig gezeichnet und verriethen in ihrer Costümirung eingehende cultur¬
geschichtliche' Studien, welche Diez im Verlaufe seines Schaffens stets noch zu
erweitern bestrebt war. Er war auch fernerhin vielfach als Illustrator thätig
und wußte unter dem Heer von Münchener Künstlern, welchen der deutsche
Buchhandel seit länger als zwei Jahrzehnten eine schier unversiegbare Erwerbs¬
quelle geöffnet hat, immer eine sehr hervorragende Stellung zu behaupten. Seiner
Individualität angemessen, die auf das Lebhafte, Dramatischerregte gerichtet
ist, sind es vorzugsweise Kcuupfessceneu und Darstellungen aus dem flotten
Reiterlebeil, die er mit sicherem, scharf charakterisirenden Griffel festzuhalten
weiß. Dieser Reichthum dramatischen Lebens, diese oft ans Fieberhafte gren¬
zende Nervosität, welche auch die winzigsten seiner Figürchen durchzuckt, bildet
die originale Seite seines künstlerischen Schaffens, welches sonst unter dem
Einflüsse der niederländischen Kleinmeister und Meissonniers steht. Dem Be¬
streben, auf kleinem Raum möglichst viel Leben und Bewegung zu entfalten, ist
wohl auch die scheinbare Skizzenhastigkeit von manchen unter seinen Gemälden
und Zeichnungen beizumessen, die, mit erstaunlicher Virtuosität hingeschrieben,
dennoch ein solides Studium, scharfe Beobachtungen und solide Kenntnisse zur
Grundlage haben.
Die Illustration füllt ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Mün¬
chener Kunstschule. Heute, nach einem Vierteljahrhundert der reichsten Produc-
twität auf diesem Gebiete, ist man sehr geneigt, nur noch die Schattenseiten
dieses Treibens zu sehen. Und wirklich ist die lange Reihe von Shakespeare-,
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