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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Al Hafi dentet vielleicht auf den Halleschen Theologen. Semler war, wie schon
erwähnt, ein großer Kenner der orientalischen Sprachen und der Bibel. Al Hafi
bezeichnet aber einen gelehrten Kenner des Koran. Lessing ist hier ähnlich ver¬
fahren wie in der Benennung der Daja. Im ersten EntWurfe hatte er sie Dina
genannt; später fand er in den Excerpten des Abulfeda, die das Leben des
Saladin betreffen (bei Schultens), das Wort Daja, das so viel als Amme be¬
deutet, und so'gab er Rechas Erzieherin jetzt diesen Namen. In beiden Fällen
hat er allgemeine, den Stand bezeichnende Worte gewählt.

Als Lessing den "Nathan" schrieb, stand er noch in Beziehung zu Semler;
erst als er den fünften Act begann, erschien Semlers "Beantwortung der Frag¬
mente eines Ungenannten" mit dem "satirischen Anhang". Lessing schreibt
darüber am 14. Mai 1779 an Elise Reimarus: "Der Schubiak Semler ist
einzig daran Schuld. Ich bekam sein Geschmiere, als ich noch den ganzen fünften
Act vom Nathan zu machen hatte." Al Hast ist hier vom Schauplätze abge¬
treten und ist bereits am Ganges. Lessing war also nicht mehr in der Lage
in der Charakterisirung des Al Hafi-Semler einen anderen Ton als den bis¬
herigen wohlwollenden anzuschlagen. Bisher war Nathan-Lessing dem Derwisch
wie einem Menschen gegenüber getreten, den man achtet, in dessen Wesen man
aber manches wunderliche, sich widersprechende findet. Dieses Schwanken zwi¬
schen Befremdung und Wohlwolle" drückt Nathan verschiedentlich' aus, z. B.
Act 3, Se. 1:


Nathan

"Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wäg' ich's drauf, der Kerl
Im Staat ist nur dein Kleid.


Derwisch

Das auch geehrt
Will sein -- Was meint ihr? rathet! Was wär ich
An eurem Hofe?


Nathan

Derwisch, weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich -- Koch!"

Weiter sagt Nathan:

"Al Hafi, mache daß du bald
In deine Wüste wieder kommst. Ich fürchte
Grad' unter Menschen möchtest dn ein Mensch
Zu sein verlernen."

Die letzte Aeußerung paßt ganz besonders ans Semlers Wesen, der als Pro¬
fessor der Theologie dnrch seine freie Forschung Gefahr lief, in einen Kampf
mit der Außenwelt zu gerathen, welchem seine ganze Natur abgeneigt war, und


Al Hafi dentet vielleicht auf den Halleschen Theologen. Semler war, wie schon
erwähnt, ein großer Kenner der orientalischen Sprachen und der Bibel. Al Hafi
bezeichnet aber einen gelehrten Kenner des Koran. Lessing ist hier ähnlich ver¬
fahren wie in der Benennung der Daja. Im ersten EntWurfe hatte er sie Dina
genannt; später fand er in den Excerpten des Abulfeda, die das Leben des
Saladin betreffen (bei Schultens), das Wort Daja, das so viel als Amme be¬
deutet, und so'gab er Rechas Erzieherin jetzt diesen Namen. In beiden Fällen
hat er allgemeine, den Stand bezeichnende Worte gewählt.

Als Lessing den „Nathan" schrieb, stand er noch in Beziehung zu Semler;
erst als er den fünften Act begann, erschien Semlers „Beantwortung der Frag¬
mente eines Ungenannten" mit dem „satirischen Anhang". Lessing schreibt
darüber am 14. Mai 1779 an Elise Reimarus: „Der Schubiak Semler ist
einzig daran Schuld. Ich bekam sein Geschmiere, als ich noch den ganzen fünften
Act vom Nathan zu machen hatte." Al Hast ist hier vom Schauplätze abge¬
treten und ist bereits am Ganges. Lessing war also nicht mehr in der Lage
in der Charakterisirung des Al Hafi-Semler einen anderen Ton als den bis¬
herigen wohlwollenden anzuschlagen. Bisher war Nathan-Lessing dem Derwisch
wie einem Menschen gegenüber getreten, den man achtet, in dessen Wesen man
aber manches wunderliche, sich widersprechende findet. Dieses Schwanken zwi¬
schen Befremdung und Wohlwolle» drückt Nathan verschiedentlich' aus, z. B.
Act 3, Se. 1:


Nathan

„Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wäg' ich's drauf, der Kerl
Im Staat ist nur dein Kleid.


Derwisch

Das auch geehrt
Will sein — Was meint ihr? rathet! Was wär ich
An eurem Hofe?


Nathan

Derwisch, weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich — Koch!"

Weiter sagt Nathan:

„Al Hafi, mache daß du bald
In deine Wüste wieder kommst. Ich fürchte
Grad' unter Menschen möchtest dn ein Mensch
Zu sein verlernen."

Die letzte Aeußerung paßt ganz besonders ans Semlers Wesen, der als Pro¬
fessor der Theologie dnrch seine freie Forschung Gefahr lief, in einen Kampf
mit der Außenwelt zu gerathen, welchem seine ganze Natur abgeneigt war, und


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[0470] Al Hafi dentet vielleicht auf den Halleschen Theologen. Semler war, wie schon erwähnt, ein großer Kenner der orientalischen Sprachen und der Bibel. Al Hafi bezeichnet aber einen gelehrten Kenner des Koran. Lessing ist hier ähnlich ver¬ fahren wie in der Benennung der Daja. Im ersten EntWurfe hatte er sie Dina genannt; später fand er in den Excerpten des Abulfeda, die das Leben des Saladin betreffen (bei Schultens), das Wort Daja, das so viel als Amme be¬ deutet, und so'gab er Rechas Erzieherin jetzt diesen Namen. In beiden Fällen hat er allgemeine, den Stand bezeichnende Worte gewählt. Als Lessing den „Nathan" schrieb, stand er noch in Beziehung zu Semler; erst als er den fünften Act begann, erschien Semlers „Beantwortung der Frag¬ mente eines Ungenannten" mit dem „satirischen Anhang". Lessing schreibt darüber am 14. Mai 1779 an Elise Reimarus: „Der Schubiak Semler ist einzig daran Schuld. Ich bekam sein Geschmiere, als ich noch den ganzen fünften Act vom Nathan zu machen hatte." Al Hast ist hier vom Schauplätze abge¬ treten und ist bereits am Ganges. Lessing war also nicht mehr in der Lage in der Charakterisirung des Al Hafi-Semler einen anderen Ton als den bis¬ herigen wohlwollenden anzuschlagen. Bisher war Nathan-Lessing dem Derwisch wie einem Menschen gegenüber getreten, den man achtet, in dessen Wesen man aber manches wunderliche, sich widersprechende findet. Dieses Schwanken zwi¬ schen Befremdung und Wohlwolle» drückt Nathan verschiedentlich' aus, z. B. Act 3, Se. 1: Nathan „Wenn dein Herz Noch Derwisch ist, so wäg' ich's drauf, der Kerl Im Staat ist nur dein Kleid. Derwisch Das auch geehrt Will sein — Was meint ihr? rathet! Was wär ich An eurem Hofe? Nathan Derwisch, weiter nichts. Doch nebenher, wahrscheinlich — Koch!" Weiter sagt Nathan: „Al Hafi, mache daß du bald In deine Wüste wieder kommst. Ich fürchte Grad' unter Menschen möchtest dn ein Mensch Zu sein verlernen." Die letzte Aeußerung paßt ganz besonders ans Semlers Wesen, der als Pro¬ fessor der Theologie dnrch seine freie Forschung Gefahr lief, in einen Kampf mit der Außenwelt zu gerathen, welchem seine ganze Natur abgeneigt war, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/470>, abgerufen am 22.07.2024.