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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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dieser Forscher nun stand Semler, der das Verdienst hat, die Stellung des
griechischen Textes gegenüber der lateinischen Vulgata befestigt zu haben. Semler
hatte aber in früherer Zeit unter pietistischen Einfluß gestanden, und manches
aus dieser Zeit haftete noch in seinem Wesen. Er fürchtete sich gewissermaßen
selbst vor den Resultaten seiner eigenen Forschungen, und machte eine Schei¬
dung zwischen Religion und Theologie, zwischen Glauben des Herzens und
gelehrtem theologischen Wissen. Er ist der Derwisch, der das Amt des Schatz¬
meisters annimmt, um seinem Drange nach Wohlthun zu genügen, sobald er
aber das Amt näher kennen lernt, in Conflict mit sich kommt und sich scheu
zurückzieht.

Seinler hatte bei Gelegenheit seiner wissenschaftlichen Forschungen manche
freundliche Berührung mit Lessing gehabt. Als aber Lessing durch Herausgabe
der "Wolfenbüttler Fragmente" aus dem Bereich des bloßen gelehrten Streites
heraustrat, und als auch das große Publikum anfing, sich für den Streit zu
interessiren, trat Semler in einem "satirischen Anhang" auf, und verspottete
Lessing als einen "Narren aus Bedlam". Es trat also wieder die mystisch-
pietistische Richtung bei ihm hervor, die er im Hause seines Vaters in Saal¬
feld und am dortigen Hofe kennen gelernt, und der er bis zu seinem Abgange
nach der Universität Halle, wo er sich an die kritische Schule, besonders an
Baumgärtner anschloß, angehangen hatte.

Ueber sein eigenthümlich angelegtes Wesen giebt uns Semler in seiner
eigenen Lebensbeschreibung mehrfach Aufschluß. Diese Schrift des gelehrten
Mannes ist betitelt: "Joh. Salomo Semlers Lebensbeschreibung von ihm selbst
verfaßt. 1782". Dort sagt er u. a. über sich: "Wie viel Fleiß habe ich auf
mystische, erbauliche oder fanatische, theosophische Schriften gewandt. Dieser
geheime Hang gehört zu den innersten Falten meiner Neigung." Selbst mit
alchymistischen Studien beschäftigte er sich, wie er denn z. B. erzählt, daß einst
ein afrikanischer Jude nach Halle gekommen sei, um ihn eine arabisch-türkische
Schrift, in der die Kunst Gold zu machen beschrieben war, entziffern zu lassen.
Der Jude wunderte sich dabei über die alchymistischen Kenntnisse, die der Halle¬
sche Professor entwickelte.

Diese Mischung von Scharfsinn und Gelehrsamkeit einerseits, andererseits
von dem Vorwaltenlassen mystischer Gefühlsschwärmerei, wo es gegolten hätte
zu wirken, hatte auch Lessing in Semler kennen gelernt, und sie ist es, die er
im Al Hast gezeichnet hat. Auch Al Hafi neigt sich vom orthodoxen Muha-
medanismus zum Parsismus, auch er will als Schatzmeister das Gute und
Wahre; aber die Wirklichkeit stößt ihn aus diesem Berufe des Wohlthatenspeu-
ders zurück, er eilt wieder zurück nach den Ufern des geheimnißvollen Ganges,
wo er ganz seinen Gedanken und seiner Schwärmerei leben kann. Auch der Name


dieser Forscher nun stand Semler, der das Verdienst hat, die Stellung des
griechischen Textes gegenüber der lateinischen Vulgata befestigt zu haben. Semler
hatte aber in früherer Zeit unter pietistischen Einfluß gestanden, und manches
aus dieser Zeit haftete noch in seinem Wesen. Er fürchtete sich gewissermaßen
selbst vor den Resultaten seiner eigenen Forschungen, und machte eine Schei¬
dung zwischen Religion und Theologie, zwischen Glauben des Herzens und
gelehrtem theologischen Wissen. Er ist der Derwisch, der das Amt des Schatz¬
meisters annimmt, um seinem Drange nach Wohlthun zu genügen, sobald er
aber das Amt näher kennen lernt, in Conflict mit sich kommt und sich scheu
zurückzieht.

Seinler hatte bei Gelegenheit seiner wissenschaftlichen Forschungen manche
freundliche Berührung mit Lessing gehabt. Als aber Lessing durch Herausgabe
der „Wolfenbüttler Fragmente" aus dem Bereich des bloßen gelehrten Streites
heraustrat, und als auch das große Publikum anfing, sich für den Streit zu
interessiren, trat Semler in einem „satirischen Anhang" auf, und verspottete
Lessing als einen „Narren aus Bedlam". Es trat also wieder die mystisch-
pietistische Richtung bei ihm hervor, die er im Hause seines Vaters in Saal¬
feld und am dortigen Hofe kennen gelernt, und der er bis zu seinem Abgange
nach der Universität Halle, wo er sich an die kritische Schule, besonders an
Baumgärtner anschloß, angehangen hatte.

Ueber sein eigenthümlich angelegtes Wesen giebt uns Semler in seiner
eigenen Lebensbeschreibung mehrfach Aufschluß. Diese Schrift des gelehrten
Mannes ist betitelt: „Joh. Salomo Semlers Lebensbeschreibung von ihm selbst
verfaßt. 1782". Dort sagt er u. a. über sich: „Wie viel Fleiß habe ich auf
mystische, erbauliche oder fanatische, theosophische Schriften gewandt. Dieser
geheime Hang gehört zu den innersten Falten meiner Neigung." Selbst mit
alchymistischen Studien beschäftigte er sich, wie er denn z. B. erzählt, daß einst
ein afrikanischer Jude nach Halle gekommen sei, um ihn eine arabisch-türkische
Schrift, in der die Kunst Gold zu machen beschrieben war, entziffern zu lassen.
Der Jude wunderte sich dabei über die alchymistischen Kenntnisse, die der Halle¬
sche Professor entwickelte.

Diese Mischung von Scharfsinn und Gelehrsamkeit einerseits, andererseits
von dem Vorwaltenlassen mystischer Gefühlsschwärmerei, wo es gegolten hätte
zu wirken, hatte auch Lessing in Semler kennen gelernt, und sie ist es, die er
im Al Hast gezeichnet hat. Auch Al Hafi neigt sich vom orthodoxen Muha-
medanismus zum Parsismus, auch er will als Schatzmeister das Gute und
Wahre; aber die Wirklichkeit stößt ihn aus diesem Berufe des Wohlthatenspeu-
ders zurück, er eilt wieder zurück nach den Ufern des geheimnißvollen Ganges,
wo er ganz seinen Gedanken und seiner Schwärmerei leben kann. Auch der Name


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[0469] dieser Forscher nun stand Semler, der das Verdienst hat, die Stellung des griechischen Textes gegenüber der lateinischen Vulgata befestigt zu haben. Semler hatte aber in früherer Zeit unter pietistischen Einfluß gestanden, und manches aus dieser Zeit haftete noch in seinem Wesen. Er fürchtete sich gewissermaßen selbst vor den Resultaten seiner eigenen Forschungen, und machte eine Schei¬ dung zwischen Religion und Theologie, zwischen Glauben des Herzens und gelehrtem theologischen Wissen. Er ist der Derwisch, der das Amt des Schatz¬ meisters annimmt, um seinem Drange nach Wohlthun zu genügen, sobald er aber das Amt näher kennen lernt, in Conflict mit sich kommt und sich scheu zurückzieht. Seinler hatte bei Gelegenheit seiner wissenschaftlichen Forschungen manche freundliche Berührung mit Lessing gehabt. Als aber Lessing durch Herausgabe der „Wolfenbüttler Fragmente" aus dem Bereich des bloßen gelehrten Streites heraustrat, und als auch das große Publikum anfing, sich für den Streit zu interessiren, trat Semler in einem „satirischen Anhang" auf, und verspottete Lessing als einen „Narren aus Bedlam". Es trat also wieder die mystisch- pietistische Richtung bei ihm hervor, die er im Hause seines Vaters in Saal¬ feld und am dortigen Hofe kennen gelernt, und der er bis zu seinem Abgange nach der Universität Halle, wo er sich an die kritische Schule, besonders an Baumgärtner anschloß, angehangen hatte. Ueber sein eigenthümlich angelegtes Wesen giebt uns Semler in seiner eigenen Lebensbeschreibung mehrfach Aufschluß. Diese Schrift des gelehrten Mannes ist betitelt: „Joh. Salomo Semlers Lebensbeschreibung von ihm selbst verfaßt. 1782". Dort sagt er u. a. über sich: „Wie viel Fleiß habe ich auf mystische, erbauliche oder fanatische, theosophische Schriften gewandt. Dieser geheime Hang gehört zu den innersten Falten meiner Neigung." Selbst mit alchymistischen Studien beschäftigte er sich, wie er denn z. B. erzählt, daß einst ein afrikanischer Jude nach Halle gekommen sei, um ihn eine arabisch-türkische Schrift, in der die Kunst Gold zu machen beschrieben war, entziffern zu lassen. Der Jude wunderte sich dabei über die alchymistischen Kenntnisse, die der Halle¬ sche Professor entwickelte. Diese Mischung von Scharfsinn und Gelehrsamkeit einerseits, andererseits von dem Vorwaltenlassen mystischer Gefühlsschwärmerei, wo es gegolten hätte zu wirken, hatte auch Lessing in Semler kennen gelernt, und sie ist es, die er im Al Hast gezeichnet hat. Auch Al Hafi neigt sich vom orthodoxen Muha- medanismus zum Parsismus, auch er will als Schatzmeister das Gute und Wahre; aber die Wirklichkeit stößt ihn aus diesem Berufe des Wohlthatenspeu- ders zurück, er eilt wieder zurück nach den Ufern des geheimnißvollen Ganges, wo er ganz seinen Gedanken und seiner Schwärmerei leben kann. Auch der Name

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/469>, abgerufen am 22.07.2024.